„Das größte Privileg ist, dass ich meine Tätigkeit in meiner Heimatstadt ausüben kann“

Interview mit Ioan-Dragoș Dimitriu, neuer Intendant der Kronstädter Philharmonie

Der neue Intendant der Kronstädter Philharmonie. | Foto: privat

Die Philharmonie Kronstadt vor leeren Sitzreihen während der Pandemie. | Bild: Filarmonica Brașov

Seit Ende 2020 hat die Kronstädter Philharmonie einen neuen Intendanten: Der 1991 geborene Ioan-Dragoș Dimitriu, ein ehemaliger Schüler des Honterus-Lyzeums. Dimitriu bringt viel Know-how aus dem Ausland mit – er hat Klavier an der Wiener Universität für Musik und Darstellende Kunst studiert und tritt auf Konzertbühnen der ganzen Welt auf. Es besteht Hoffnung, dass durch seine neuen Projekte die Kronstädter Kulturlandschaft in den nächsten Jahren auflebt. Über die Herausforderungen des neuen Amtes und die Zukunftspläne für die Kronstädter Philharmonie sprach mit Ioan-Dragoș Dimitriu die ADZ-Redakteurin Elise Wilk. 

Herr Dimitriu, Sie sind ein junger Künstler, der wesentlich zum Kronstädter Kulturleben beigetragen hat, als Initiator und Veranstalter von Events wie dem Tamtam-Festival oder dem Klavierwettbewerb „Transylvanian International Piano Competition“. Nun sind Sie seit Ende 2020 Intendant der Philharmonie und haben sicherlich viele Ziele – wie jeder, der ein neues Amt antritt. Welches sind das, und was planen Sie, in Zukunft für Kronstadt zu tun?
Erstmals möchte ich mich für die Gelegenheit zu diesem Interview herzlichst bedanken. Die Verbindung zur deutschsprachigen Minderheit Rumäniens war für mich immer sehr wichtig und ich freue mich sehr, dass ich Ihnen ein paar Ideen mitteilen darf.Dass Kultur ein wichtiger Teil unseres Lebens ist, sollte für alle klar sein. In diesem Sinne wünsche ich mir, dass wir als Philharmonie mehr in der Gesellschaft präsent sind. Wir, die Künstler, sind da für die Gemeinschaft und tragen dazu bei, dass wir die Lebensqualität der Bürger so gut wie möglich erhöhen. 
Weiterhin sollten wir auf nationaler und internationaler Ebene als „Botschafter“ unsere wunderschöne Stadt vertreten, so dass Veranstaltungen der Philharmonie für Touristen zu einem Anziehungspunkt werden. Ein weiteres Ziel wäre, dass wir unsere Türen weit offen für die jüngere Generation halten, da eine gute Erziehung immer mit Kunst und Kultur eng verbunden war. Auch finde ich wichtig, dass wir eine engere Beziehung zu den Minderheiten Rumäniens aufbauen und deren Kultur durch unterschiedliche Programme bewahren und fördern.

Wie verlief der Wettbewerb für den Intendantenposten, der im vergangenen  Dezember stattfand? 
Gott sei Dank war es in meinem Fall ein Erfolg. Zuerst wurde das Managementprojekt schriftlich an die Wettbewerbskommission geschickt und in der zweiten Runde durfte ich in einem Gespräch meinen Plan für die nächsten fünf Jahre vorstellen. Natürlich gab es da einen ziemlich hohen Grad an Nervosität, abgesehen davon, dass ich auch nicht der einzige Kandidat war.
 Es freut mich, dass ich die Kommission überzeugen konnte, genug Vertrauen in meine Fähigkeit als zukünftiger Manager der Philharmonie zu haben. Seit mehr als fünf Jahren war ich als Manager des „Ton der Jugend“-Symphonieorchesters Wien tätig, habe in diesen Jahren ziemlich viele Kontakte zu der internationalen Musikszene aufgebaut und auch sehr viel Erfahrung gesammelt.

Welches sind die wichtigsten Punkte des Management-Projekts, das Sie vorgeschlagen haben? 
Die Hauptidee meines Projektes bezieht sich auf die Zusammenarbeit. Von Anfang an habe ich meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, seien es Musikerinnen und Musiker oder Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter, empfohlen, dass wir offen kommunizieren sollen, mit unserem Arbeitgeber (dem Bürgermeisteramt) einen direkten Dialog führen und auch die Vorschläge des Publikums beachten müssen. Auch wünsche ich mir, dass die Kronstädter Philharmonie neue Partnerschaften im In- und Ausland aufbaut. In diesem Sinne haben wir schon einen Partnervertrag mit der Nationalen Oper in Klausenburg, mit der Hermannstädter Philharmonie und mit dem Internationalen Enescu-Wettbewerb abgeschlossen. Bezüglich der Transilvania-Universität gibt es zurzeit sowohl eine Zusammenarbeit mit der Musikfakultät, als auch mit der Fakultät für Soziologie und Kommunikation, Studiengang Public Relations. Jedes Semester haben die Studenten die Möglichkeit, ein Praktikum bei uns zu absolvieren. 

Was sind für Sie als Intendant der Philharmonie jetzt die größten Herausforderungen?
Das Kollektiv der Philharmonie besteht aus sehr offenen und arbeitsfreudigen Menschen. Die Musiker möchten so gerne wie noch nie spielen und die Büromitarbeiter finden täglich die besten Lösungen, damit wir unsere Tätigkeit so gut wie möglich durchführen können. Die unangenehme Herausforderung entsteht zu 100% aufgrund der Kulturgesetze des Landes, die leider sehr veraltet und gar nicht für unseren Bereich optimiert sind.
 Als Beispiel kann man sich etwa die Arbeitsbelastung der Musikerinnen und Musiker anschauen: Natürlich ist es nicht realistisch, dass diese acht Stunden pro Tag arbeiten müssen. Das wird auch nie möglich sein, weil es gar nicht mit einer normalen Büroarbeit zu vergleichen ist. Stattdessen kann man ein System empfehlen, wo Dienste zählen und nicht Stunden. Ein Dienst bedeutet zwei Stunden Probe oder ein Konzertauftritt. Dieses System hat sich bereits als sehr erfolgreich etabliert, weil man dadurch tatsächlich gründlich und optimal proben und musizieren kann und nicht nur Zahlen auf ein Blatt Papier schreibt. 
Ein anderes Problem unseres Landes wäre das Fehlen der Digitalisierung, die uns sehr viel Zeit sparen würde. Ich hätte da eine ziemlich lange Liste, die hoffentlich eines Tages auf dem Tisch des Parlamentes liegen wird. Wir müssen das Rad nicht neu erfinden, sondern nur auf die gelungenen Beispiele berühmter Kulturhäuser und Veranstalter schauen.

Wie sind die Auswirkungen der Corona-Krise für die Institution, die Sie leiten?
Bezüglich der Corona-Pandemie, die natürlich für uns alle eine riesige Herausforderung darstellt, sollte man mehr auf wissenschaftliche Studien achten. Es gibt welche aus Deutschland, die nachweisen, dass in einem zu 50 Prozent mit Publikum gefüllten Veranstaltungssaal, in dem alle die empfohlenen Maßnahmen respektieren, kein Verbreitungsrisiko besteht. Ich bin mir daher sicher, dass wir unsere Tätigkeit in einem zu 30 bis 50 Prozent gefüllten Saal durchführen könnten, ohne dass es für die Zuschauer gefährlich wird. Im Oktober 2020 haben wir jede Woche zwei Konzerte aufgeführt, damit mehr Musikliebhaber dabei sein konnten.

Gleichzeitig bietet uns die Krise auch eine Chance, mit neuen Ansätzen zu experimentieren. An welche neuen Formate ohne Publikum denken Sie, außer den Live-Übertragungen der Konzerte? 
Im Moment ist das unsere beste, wenn auch keine optimale Lösung. Kunst kann man leider nur sehr begrenzt auf einem Bildschirm genießen, weil die Vibration, die Stimmung, fehlt. Wenn es draußen wärmer wird, können wir Konzerte auch außerhalb des Konzerthauses veranstalten. Meines Erachtens wird die Sommersaison einen sehr wichtigen Teil unserer Aktivität darstellen.

Wie sieht aktuell Ihr Berufsalltag aus?
Im Moment nimmt der administrative Teil meine Zeit stark in Anspruch, was ziemlich unangenehm ist, abgesehen davon, dass ein Manager eines Kulturhauses sich eigentlich um das künstlerische Programm kümmern sollte. Eigentlich ist der Intendant ein Kulturdiplomat der Stadt, sein Beruf bezieht sich auf viel mehr als nur Büroarbeit. Ich hoffe, dass ich in den nächsten zwei Jahren ein Verhältnis von 20 Prozent Büroarbeit und 80 Prozent künstlerischer Arbeit schaffe. Damit meine ich, die Mehrheit der Zeit damit zu verbringen, viel mehr wertvolle Künstler und kreative Ideen nach Kronstadt als je zuvor zu bringen. Um ganz ehrlich zu sein, sind die schönsten Tage diejenigen, wo ich es auch für ein paar Minuten ans Klavier schaffe. 

Viele beklagen sich über das eher armselige Kulturleben in Kronstadt im Vergleich zu anderen Städten Rumäniens. Auch wird den öffentlichen lokalen Kulturinstitutionen vorgeworfen, eher konventionell und rumänienweit nicht sehr bedeutend zu sein. Woran liegt das? 
Es gibt es in Kronstadt sehr wertvolle Kulturmenschen, die eher zurückhaltend ihrer Tätigkeit nachgehen. Auf diese Weise, mit der Hoffnung, dass sie vielleicht diese Zeilen lesen, möchte ich allen mitteilen, dass wir in diesem Punkt eine große Chance haben, fast von Null alles wieder aufzubauen. Diese Gelegenheit wird Kronstadt in den nächsten 10-15 Jahren ermöglichen, eine Modell-Kulturstadt Europas zu werden. Dafür brauchen wir Leute, die sich für das kulturelle Leben Kronstadts einsetzen. Auch müssen wir viel mehr von dem profitieren, was schon aufgebaut wurde, oder was es schon gibt: Die Kultur der Minderheiten, die Verbindung zu den Partnerstädten, die Rückkehr vieler gut ausgebildeter junger Leute aus dem Ausland. 

Die Kronstädter Philharmonie hat ein Stammpublikum, das (in normalen Zeiten) jeden Donnerstag ins Konzert geht. Was für Pläne gibt es im Bereich Audience Development? Nimmt man sich vor, auch das jüngere Publikum für die Konzerte zu begeistern?
Wir sind unserem Stammpublikum sehr dankbar, dass es uns nicht vergessen hat. Was Audience Development betrifft, möchte ich einige PR-Kampagnen erwähnen: „Symphonic Show“, ein Projekt, das neue Programme wie die „Sommersaison“, den musikalischen Kindergarten, den Tag der Offenen Tür und die Lange Nacht der Philharmonie zum Leben bringen wird. Neue Partnerschaften werden da aufgebaut, wie zum Beispiel mit der Musikschule „Tudor Ciortea“, damit wir den Kindern und Jugendlichen einen Impuls auf ihren Weg mitgeben können.  Eine weitere Kampagne heißt „Building Bridges“: Dabei werden die Musiker des Orchesters vorgestellt. Wer ist der Musiker, den wir wöchentlich auf der Bühne spielen sehen? Was tut er in seiner Freizeit? Das Ziel dieser Kampagne ist, dass das Publikum versteht, dass die Musiker keine eingebildeten, „grauen“, ernsthaft langweiligen Menschen sind, ganz im Gegenteil. Eine weitere Idee trägt den Namen „Die Grüne Philharmonie“, eine Initiative, in der wir uns der Umwelt widmen werden. 

Was sehen Sie als größtes Privileg Ihres Berufs?
Vor genau 20 Jahren saß ich im Militärklub (Cercul Militar) Kronstadt, wo die Philharmonie zu der Zeit ihre Auftritte hatte, im Publikum. Als kleines Kind habe ich mir gedacht, es muss herrlich sein, so ein wunderbares Ensemble zu leiten und mit denen zusammen zu arbeiten. Jetzt ist es passiert, in einem unerwarteten Zusammenhang, für den ich täglich dankbar bin. Das größte Privileg ist, dass ich meine Tätigkeit in meiner Heimatstadt ausüben kann. Was kann schöner als eine solche Gelegenheit sein? 

Herr Dimitriu, wir danken für das Gespräch!