Das offene Geheimnis oder wie die Vergangenheit auch Zukunft sein wird 

Johannis bekommt wohl eine zweite Amtszeit, doch auf Dauer reicht der Antipesedismus nicht

Treffen und Gespräche zwischen Präsident Klaus Johannis und Ex-Ministerpräsidentin Viorica Dăncilă gab es in den letzten beiden Jahren zuhauf. Vor der Stichwahl weigerte sich Johannis, mit Dăncilă zu debattieren. Laut seinem Wahlkampfteam bringe ein potenzielles TV-Duell nichts Neues, die Tätigkeit und Positionierungen der beiden Kandidaten seien der Öffentlichkeit bestens bekannt. Archivfoto: gov.ro

Seit dem 20. Mai 1990, dem Tag der ersten freien Wahlen nach dem Ende der kommunistischen Diktatur, waren die Präsidentschaftswahlen von herausragender Bedeutung für Rumäniens Politik, denn von ihnen hingen Koalitionen, Regierungsprogramme und letztendlich die gesamte politische Entwicklung der jeweiligen Amtszeit ab. Dennoch hat die 1991 geschmiedete Verfassung dem Präsidenten eine Rolle zugewiesen, die zwar nicht jener eines Staatsnotars entspricht, aber auch nicht jene Fülle an Kompetenzen in sich vereint, die dem Staatsaufbau Frankreichs entspricht, jenem Modell, von dem sich Rumänien seit der Mitte des 19. Jahrhunderts inspirieren lässt. Einerseits war damals die Erinnerung an den diktatorischen Machtanspruch Ceaușescus zu groß, andererseits wollten die FSN-treuen Verfassungsexperten ihrem Übervater Ion Iliescu doch einen Gefallen tun. 

So kommt es also, dass die Kernkompetenzen des Präsidenten Rumäniens (nicht der Rumänen oder aller Rumänen, wie gegenwärtig gesagt wird) vor allem in den Bereichen der Regierungsbildung, der Vertretung im Ausland und der Ernennung verschiedener Amtsträger angesiedelt sind. Alle vorherigen Präsidenten haben diese Kompetenzen ausgeübt und dabei oft eine entscheidende politische Rolle eingenommen, doch keiner hat das getan, was die Landesverfassung allein vom Präsidenten erwartet: Artikel 80 Absatz 2 spricht von einer Vermittlerrolle zwischen den Mächten im Staat sowie zwischen dem Staat und der Gesellschaft. Eine solche Funktion setzt eine parteipolitische Unabhängigkeit voraus, die die Verfassung zwar proklamiert, die jedoch kei-nesfalls gewährleistet ist. Parteipolitisch unabhängig war niemand, Ion Iliescu war es nicht, sein Nachfolger Emil Constantinescu auch nicht, Traian Băsescu war es überhaupt nicht und Klaus Johannis ist es leider auch nicht. Keiner konnte oder wollte es sein, auch wenn es sich im Falle von Iliescu und Băsescu – und nun auch bei Johannis – um eine zweite und letzte Amtszeit handelt.

Denn es steht heute schon fest, dass Johannis am Sonntag zum Präsidenten Rumäniens wiedergewählt wird. Klar war dies bereits im Vorfeld des ersten Wahlgangs, genauso wie es zweifellos war, dass die Kandidatin der PSD in die Stichwahl gelangen wird und nicht der glücklose USR-PLUS-Kandidat Dan Barna. Was ist vor dem 10. November geschehen? Einen echten Wahlkampf hat es nicht gegeben, da Amtsinhaber Johannis die für ihn sicherste Strategie gewählt und sich auf jene Kernbotschaft konzentriert hat, die bei seiner Wählerschaft und auch bei den Anhängern der USR-PLUS-Allianz am stärksten ankam: der Antipesedismus. So konnte der Sturz der sich selbst zerlegenden Dăncilă-Regierung als erster Schritt für die Beseitigung der Sozialdemokraten inszeniert werden, die Präsidentschaftswahlen sodann als zweiter, selbstverständlich unverzichtbarer Schritt in dieselbe Richtung. 

Viele behaupteten, dass es für Johannis viel schwieriger geworden wäre, wenn es Barna und nicht Dăncilă auf den zweiten Platz geschafft hätte. Das Gegenteil dessen ist wahr. Es wäre für ihn genauso leicht gewesen, denn wenn beide Kandidaten dieselbe Botschaft senden, entscheidet sich das Volk eben für denjenigen, den es bereits kennt, der erfahren in seiner Amtsausübung ist und der keine große Überraschungen parat hat. Also für den bisherigen Amtsinhaber. Die Enthüllungen von Rise Project und der innere Zwist in der USR-PLUS-Allianz hätten für den Rest gesorgt, egal wie viel sich Barna noch angestrengt hätte. Schwarze Schwäne sind, man weiß es, äußerst seltene Vögel.

Der Antipesedismus verdient jedoch einige weitere Ausführungen. Kurzfristig wird er sicherlich greifen, die Wiederwahl von Johannis steht außer Zweifel. Langfristig ist er aber weitaus problematischer. Als politisches Langzeitmodell, ja gar als Lebenshaltung, taugt der Antipesedismus wenig. Denn er höhlt nicht nur die Demokratie aus und vertieft die gesellschaftliche Spaltung, sondern verkommt auch ins Lächerliche. So zum Beispiel, wenn man erklärt, dass man seit drei Jahren keine Ferien gehabt habe, weil man ständig im Krieg mit der PSD war, oder wenn der frischgebackene Premierminister klagt, die Hand täte ihm weh, da er seine Unterschrift auf so viele Entlassungsurkunden für PSD-nahe Regierungsbeamte setzen musste. 

Interessanterweise tut demselben Premierminister die Hand nicht weh, wenn anstelle der PSD-Leute jene der PNL nachrücken und Ernennungsurkunden unterzeichnet werden müssen. Seit wenigen Wochen im Amt, beweist die PNL-Regierung, dass sie Vieles genauso macht wie das Vorgänger-Kabinett. Wie alle Regierungen eben, die das Land bereits gehabt hat. Wenn also die Fahne des Antipesedismus von der Orban-Regierung getragen wird, kann man sich ihn getrost sparen, denn alsbald muss der Antipenelismus aus der Mottenkiste geholt werden, beide scheinen beliebig austauschbar zu sein. Deshalb sollte man auch nicht alles glauben, was Orban und Kumpanen dieser Tage von sich geben, auch nicht die Mär von den fiktiven Kassen der PSD-Regierung, die Finanzminister Florin Cîțu am Morgen heraus posaunt und am Abend zurechtbiegt. Oder zurechtbiegen muss, zum Beispiel, weil ihm Notenbankgouverneur Mugur Isărescu und jene Handvoll Leute, die noch bei Verstand sind und ein bisschen Verantwortungsgefühl haben, erklären, dass er spinnt. Sicher: Die Finanzlage ist prekär, die Auswüchse der PSD-Wirtschaftspolitik müssen beseitigt werden, doch mit Antipesedismus allein wird die Ordnung in den Staatsfinanzen ganz gewiss nicht wieder hergestellt.

Während Johannis am Sonntag wiedergewählt wird, kämpft seine Gegenkandidatin Dăncilă ums Überleben. Dabei hat sie gute Chancen, denn wenn sie 30 bis 35 Prozent der Stimmen bekommen sollte, wird sie, die zufälligerweise in die Rolle ihres Lebens hineingestolpert ist, die PSD weiter führen dürfen. Deshalb wird sie sich als (Frauen-)Opfer darstellen, als jene, die für das Volk gekämpft hat und im doppelten Maß, nämlich am Präsidenten und, ganz wichtig, am Ausland scheitern musste. Die Wähler des Mircea Diaconu, des Alexandru Cumpănașu und einiger anderer Unbekannter werden für sie stimmen, bei einer niedrigeren Beteiligung als im ersten Wahlgang klettert Dăncilă leicht über 30 Prozent. Dabei hilft auch, ein bisschen nur, aber immerhin, die Weigerung von Johannis, mit Dăncilă zu debattieren. Er bricht mit einer Gepflogenheit, auf die bisher ein einziges Mal verzichtet wurde: Vor der Stichwahl im Jahr 2000, als Ion Iliescu mit Corneliu Vadim Tudor nicht debattieren wollte. In der damaligen Lage befindet sich das Land heuer nicht, die Hauptakteure sind andere; Dăncilă ist, was auch immer man ihr vorwerfen kann, mit Vadim Tudor nicht zu vergleichen. Johannis’ Weigerung ist taktisch nachvollziehbar, ein Fernsehduell der beiden Kandidaten hätte allerdings dem Präsidenten wenig geschadet, der Demokratie aber geholfen. Zumindest in der Auffassung der Bürger, die an solche Debatten gewohnt sind und auf diese auch mit Neugierde gewartet haben.

Ein 30-Plus-Ergebnis für Dăncilă wird wahrscheinlich reichen, um ihre internen Widersacher zu beruhigen und die PSD auf Kurs zu halten. Denn der 10. November hat gezeigt: Die Sozialdemokraten haben die Regierung verloren, aber sie sind noch da, sie verfügen über viele Bürgermeister, Kreis-, Stadt- und Gemeinderäte und auch über finanzielle Ressourcen. Der Enthusiasmus junger USR-Anhänger in den großstädtischen Wohlstandsoasen reichte nicht aus, um die PSD zum Fall zu bringen, er wird auch 2020 nicht ausreichen.

Andererseits ist an diesem Antipesedismus, den Johannis bewusst ausnützt, doch etwas Störendes, man kann es nicht überhören: Es gäbe weiterhin zu viele Alte in diesem Land, die Alten, Armen und Kranken hätten den Jungen, Reichen und Gesunden mit ihrer Pro-Dăncilă-Stimme eine Ohrfeige verpasst, die Auslandsrumänen wollten die Inlandsrumänen retten, doch letztere wären zu dumm dafür – so der Tenor am vorigen Montag nach Bekanntgabe der vorläufigen Wahlergebnisse. Noch wird nicht nach dem Intelligenzquotienten gewählt, noch sind die Bürger gleich in ihren Rechten und Pflichten. Man müsste sich nicht fragen, warum zwei Millionen für Viorica Dăncilă gestimmt haben, sondern warum knapp 9 Millionen zu Hause geblieben sind. Denn gewählt haben insgesamt 9,359 Millionen Bürger (8,68 Millionen im Inland, 675.000 im Ausland), 8,858 Millionen hatten etwas Besseres zu tun. 

Eindeutig verloren hat die Wahl der USR-PLUS-Kandidat Dan Barna. Zu jung sind beide Parteien, zu wenig Ressourcen konnten sie aufbringen, zu einseitig war ihre Anti-PSD-Botschaft und zu wenig erfahren der Kandidat. Sie wären alle gut beraten, wenn sie die richtigen Schlüsse ziehen und sich entsprechend für die Kommunalwahlen vorbereiten würden, denn für eine junge Partei oder einen Parteienverbund sind solche Wahlen deutlich wichtiger. USR und PLUS müssen zeigen, dass sie regieren können und wollen. Die Regierungsfähigkeit wird bekanntlich zuerst auf kommunaler Ebene erprobt; auch wenn sie 2020 nicht viele Bürgermeisterposten gewinnen können (auch hier zieht das Wahlvolk Amtsinhaber vor, vor allem, wenn es bei einem einzigen Wahlgang bleibt – eine Schande, die vorläufig PSD und PNL gemeinsam zu verantworten haben), müssen USR und PLUS beweisen, dass sie auch Alltagsprobleme lösen und nicht nur Facebook-Posts veröffentlichen können.

Zurück aber zur Präsidentschaftswahl: Warum Johannis gewählt werden sollte und nicht Dăncilă, muss zumindest in dieser Zeitung nicht weiter argumentiert werden. Es bleibt sodann zu hoffen, dass der Amtsinhaber bis 2024 auch das macht, was er dieser Tage versprochen hat: Dass er der Regierung auf die Finger schaue und die Regierung nicht mehr auf eigene Faust agieren könne. Er möge das tun, genauso wie er auch seine Vermittlerrolle ausüben sollte. An parteipolitische Zwänge ist er ab nun kaum noch gebunden.