Das Tulpenfieber von Pitești

Wie in einer Provinzstadt der alte Traum der PSD (beinahe) in Erfüllung geht

Erinnern Sie sich noch an das Organ des ZK der RKP, die „Scînteia“? Nomina odiosa... Oder an die Zeitung des Landesrates der Front der Sozialistischen Demokratie und Einheit? An den „Neuen Weg“? Diese Blätter, und auch alle anderen Zeitungen, die vor 1989 erschienen sind, hätten bestimmt gewusst, wie sie über das Ereignis, das Ende vergangener Woche in Pitești stattfand, zu berichten gehabt hätten.

Etwa so: Genosse Liviu Dragnea, Vorsitzender der Abgeordnetenkammer, Genossin Vasilica Viorica Dăncilă, Premierministerin der Regierung Rumäniens, Genossin Carmen Daniela Dan, Innenministerin, Genossin Grațiela Leocadia Gavrilescu, stellvertretende Premierministerin, Ministerin für Umwelt, sowie weitere Genossen und Genossinnen aus der Staats- und Parteiführung nahmen an den Eröffnungsfeierlichkeiten der Tulpensinfonie in Pitești teil. Nach dem Empfang der hohen Gäste beim Sitz des Kreisvolksrates durch die Führung des Kreisparteikomitees Argeș, fand auf dem Hauptplatz des Munizipiums Pitești die äußerst herzliche Begegnung der Regierungsmitglieder mit Bauern, Arbeitern und Intellektuellen statt, eine jubelnde Menge begrüßte die Staats- und Parteiführung mit Blumen und lang anhaltendem Applaus. Die stellvertretende Premierministerin, Genossin Gavrilescu, sprach der Bevölkerung Mut und Zuversicht zu, gemeinsam mit der sich stets aufopfernden Führung unseres Landes soll sich die Arbeiterklasse an dem bisher Geleisteten erfreuen. Die Staats- und Parteiführung wisse zwar, dass der Aufbau einer besseren Gesellschaft zahlreiche Hürden mit sich bringe, man wolle jedoch alles tun, um diese zu beseitigen. An dem darauffolgenden Umzug aus Anlass der Tulpenblüte beteiligten sich zahlreiche Schüler, Jugendliche und Werktätige aus dem Munizipium Pitești und dem Kreis Argeș.

In Pitești fand ein seit 1978 veranstaltetes Blumenfest statt, die „Tulpensinfonie”. Und weil sich der Kreis Argeș seit der Wende fest in der Hand der Sozialdemokratischen Partei befindet, reisten in der Tat Dragnea, Dăncilă und ihre Speichellecker an. Die Lokalführung der PSD veranstaltete einen Umzug, in dem die Landkarte Rumäniens aus Blumen nachgebaut worden ist, Schülerinnen in Trikolore-Anzügen führten Turnübungen auf, ein etwa dreijähriges Mädchen konnte keinen Purzelbaum schlagen und wurde von einer Lehrerin ermahnt, es doch noch einmal zu versuchen. Weil auch der zweite Versuch nicht gelang, ging die Premierministerin auf das Mädchen zu und schenkte ihr eine Blume. Im Programm stand dann der Auftritt einer Gruppe von behinderten Kindern (sic!) sowie die ermunternde Rede der stellvertretenden Regierungschefin Gavrilescu, die in der Tat dem Volk erklärte, dass sich die Regierung für sein Wohl aufopfere und sich um alles kümmere. Insofern liegt der vorige Absatz gar nicht daneben, schließlich muss man nur in den alten Zeitungssammlungen stöbern, um die richtige Sprache zu finden, den vergessen geglaubten Jargon längst untergegangen geglaubter Zeiten. Übrigens: Das Organ des Kreisparteikomitees von Argeș hieß „Secera și Ciocanul”, Hammer und Sichel.

Fast drei Jahrzehnte nach der Wende sehnt sich ein Großteil der im Lande gebliebenen Bevölkerung nach den alten Zeiten zurück. Wer es nicht glaubt, soll die betreffenden Aufnahmen aus Pitești googeln. Bukarester Reporter befragten die Teilnehmer, die Nostalgie war unübersehbar. Der 1. Mai, der 23. August, das waren die schönsten Feste damals, sie waren richtig schön, aber das, was ihnen heute geboten wurde, das übertrifft die damaligen Feierlichkeiten. Auch wenn vieles von dem, was damals gebaut und errichtet wurde, heute kaputt ist. Sicher, es waren vorwiegend Bürger älterer Semester, die dies erklärten, aber was sollen Kinder und Jugendliche denken, wenn sie wieder so oder fast so erzogen werden? Wenn Lehrer sie dazu verdonnern, vor der Premierministerin Purzelbäume zu machen und zu turnen, wenn die rumänische Landkarte aus Blumen nachgebildet wird und Festumzüge veranstaltet werden, wenn die Staats- und Parteiführung sich aus den Höhen der Regierung in die Provinz begibt und dort wie seinerzeit Nicolae und Elena Ceaușescu empfangen wird? Aber was denkt sich zum Beispiel ein Rumänischlehrer in Pitești, wenn das Kreisschulamt ihn und seine Klasse zwingt, Spalier zu stehen, weil Genossin Dăncilă vorbeikommt, die Frau, die nach Ceaușescu wie kein anderer Politiker die rumänische Sprache und unser aller Gehör foltert. Über den Schusterlehrling aus Scornicești machte sich ein ganzes Land lustig, seine mangelnden Sprachkenntnisse und seine fehlerhafte Aussprache waren allseits bekannt. In dieser Hinsicht steht ihm die Hausfrau aus Videle um nichts nach.

Der Ungeist der Vergangenheit treibt durch Rumänien und ein Großteil der Bevölkerung empfängt ihn mit offenen Armen. Das groteske Schauspiel, das ekelerregende Benehmen der Behörden von Pitești, die Teilnahme von Lehrern und Eltern an einem solch traurigen Spektakel – sie bezeugen nur eines, nämlich dass eine verwirrte und größtenteils verarmte Bevölkerung einer vermeintlichen Glorie nachtrauert, jener Zeit, in der ihr das Gefühl gegeben wurde, dass auch dieses Land und sein Volk jemand sind, jemand, den die große, weite Welt nicht unbedingt fürchtet, aber wenigstens wahrnimmt. Die PSD wusste das immer und jetzt, da die Kontrolle durch Brüssel schwächelt, da im Osten genauso wie in der unmittelbaren westlichen Nachbarschaft Nationalismen wieder lebendig werden und Demokratie und Rechtsstaat das Grab geschaufelt wird, tut sie das, was sie am besten kann und verwirklicht so ihren alten Traum.

Denn während sich das Volk für die eine oder andere Geschmacklosigkeit hergibt, kümmert sich die Regierungskoalition in Bukarest um das Sonstige. Was 2017 begann, wird nun fortgesetzt: Strafgesetzbuch und Strafprozessordnung sollen umfangreich abgeändert werden, die Gesetzesentwürfe, die gerade im Parlament debattiert werden, sind zweifelsohne Geschenke, die sich die Regierenden selbst machen. Genauso haben sie es in den 1990er Jahren gemacht, damals war das die Regel. Man wollte in das Parlament gewählt werden, um dann eigene Probleme oder jene der Gönner auf dem gesetzlichen Weg zu lösen. Erst in ihren letzten zwei Jahren schaffte die Regierung Năstase auf Druck der EU diese verdeckte Praxis einigermaßen ab, aber nun gibt es kein inneres oder äußeres Hindernis für Dragnea und Kumpanen mehr. Aber das Volk muss man auch beschenken, man muss es zumindest versuchen. Kein Wunder also, dass gegenwärtig in den Schubladen des Parlaments mindestens drei Entwürfe schlummern, die die von ausländischen Banken gegeißelte Bevölkerung aus ihrer Not befreien sollen, dabei jedoch Prinzipien der zivilrechtlichen und der marktwirtschaftlichen Ordnung aushebeln. Aber es entrüsten sich bloß Rechtsprofessoren und Ökonomen, Intellektuelle, die noch bei Vernunft sind und auf der Unabhängigkeit ihres Geistes bestehen. Mihai Șora zum Beispiel, der hochbetagte Philosoph, er fand deutliche Worte zur grotesken Maskerade von Pitești. Auch andere protestierten lautstark, aber die stille Mehrheit genießt die Tulpen, genauso wie Ministerin Gavrilescu sie aufforderte.

In Pitești blühen zwar die Tulpen, aber in diesem großen Kreis Teleorman, zu dem das Land nun wird, rächt sich vor allem die Wirtschaft. Das steuerpolitische Desaster, das die PSD-Regierungen Tudose und Dăncilă zu verantworten haben, zeitigt Folgen, die alles andere als erfreulich sind. Das war natürlich zu erwarten. Die Inflation wird wieder zur Gefahr, die Einfuhren steigen übermäßig, einheimische Unternehmer ziehen es vor, ihre Profite in Immobilien zu investieren und nicht in Produktionsanlagen, die nächste Immobilienblase rückt näher. Man kennt das Szenario, das Land kann sich aus seiner Pfadabhängigkeit nicht befreien, es wird auch nicht dazu ermutigt.

Wer in Rumänien Geld hat, steht vor der Wahl: Man kann natürlich versuchen, ein Produkt herzustellen oder eine Dienstleistung anzubieten. Von der Bäckerei bis zu Fintech. Aber man findet keine Leute, der Staat richtet nur Chaos an, der Konkurrenzkampf ist hart. Eine endlose Plackerei. Oder man kann zehn Wohnungen kaufen oder ein Blockhaus bauen, die Appartements verkaufen oder vermieten. Dass die Wahl leicht ist, beweist eine Rundfahrt durch Bukarest, Klausenburg, Temeswar oder Kronstadt. Es wird gebaut, aber die Volkswirtschaft kommt nicht von der Stelle, trotz des beeindruckenden Wachstums, das auch der IWF bescheinigt. Um 1900 war es ähnlich, alle Bukarester Altbauten, die Villen und die Zinshäuser, die um die Jahrhundertwende gebaut wurden und von Dragneas und Dăncilăs Vorbild Ceaușescu nicht abgerissen wurden, bezeugen das. Auch damals bauten rumänische Geschäftsleute Villen, mit der Produktion beschäftigten sich die Deutschen, die Österreicher, die Briten und die Franzosen, das ausländische Großkapital eben. Genau jenes, das heute von Dragnea zum Erzfeind erklärt wird, weil es zum Beispiel an der Inflation schuld sein soll.

Aber: Am traurigsten sind nicht der Umzug von Pitești, Dragneas Tüfteln am Strafrecht oder seine ohnmächtigen Kriegserklärungen an das ausländische Kapital. Am traurigsten ist das Fehlen jedweder vernünftigen Opposition sowie das fast vollkommene Schweigen aus dem Schloss Cotroceni. Bis Dacian Cioloș eine halbwegs funktionierende Partei aufbauen kann, wird die Regierungskoalition von Ludovic Orban und Traian Băsescu bekämpft, zwei alte Kasper, die kaum noch ernst genommen werden oder kaum noch jemanden begeistern können. Dem Präsidenten ist es zwar bisher gelungen, einige Manöver der PSD zu stoppen, es ist wohl auch ihm zu verdanken, dass der Weg in den illiberalen Staat für die Genossen der Staats- und Parteiführung nicht nur mit Tulpen gesäumt ist. Ob er dies seinen zahlreichen enttäuschten Anhängern von 2014 noch schnell und einfach vermitteln kann, bleibt vorläufig ein Rätsel.