Der Beginn bundesdeutscher Zahlungen an Bukarest für den Freikauf der Rumäniendeutschen

Dr. Ewald Garlepp und die Zentrale Rechtsschutzstelle des Auswärtigen Amtes (I)

Der Journalist Ernst Meinhardt geht schon seit Jahren dem Freikauf der Rumäniendeutschen nach.

Unter dem Titel „Freikauf der Rumäniendeutschen – Der Beginn bundesdeutscher Zahlungen an Bukarest“ fand im Oktober in Berlin ein Symposium statt. Anlass waren die 60 Jahre, seitdem am 24. August 1951 im damals schon geteilten, aber noch nicht zugemauerten Berlin die „Vereinigung der Deutschen aus Rumänien“ gegründet worden war, aus der 1955 die Landsmannschaften hervorgegangen sind. Die Tagung fand in und gemeinsam mit der Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde statt. Marienfelde war für West-Berlin das, was für Westdeutschland Nürnberg oder Friedland waren.  Im Folgenden drucken wir in gekürzter Form den Hauptvortrag der Tagung ab, den der aus dem Banat stammende Deutsche-Welle-Journalist Ernst Meinhardt hielt.

Einleitung

Für Mai dieses Jahres hatte ich eine Einladung nach Lauffen am Neckar. Das ist eine Kleinstadt mit rund 11.000 Einwohnern nahe bei Heilbronn. Die Einladung war eine der ungewöhnlichsten, die ich jemals erhalten habe. Eine Familie, die aus Hermannstadt/Sibiu stammt, wollte mir erzählen, wie sie gegen Zahlung einer sehr hohen Summe die Ausreisegenehmigung aus Rumänien erhalten hat.

Bei einem solchen Angebot muss man zugreifen. Es kommt nicht jeden Tag. Wenn es um das Thema „Ausreise gegen Bezahlung“ geht, wird auch heute noch unter Rumäniendeutschen hartnäckig gemauert. Die Leute wollen darüber nicht sprechen, schon gar nicht, wenn das Mikrofon eingeschaltet ist. In Lauffen hatte ich aber noch einen weiteren Grund, bei dem Angebot zuzugreifen. Meine Interviewpartner sind mit Hilfe des Stuttgarter Rechtsanwalts Dr. Ewald Garlepp nach Deutschland gekommen.

Den Namen Garlepp kenne ich, seit ich mich mit der Erforschung des „Freikaufs der Rumäniendeutschen“ beschäftige. Bei meinen Recherchen bin ich immer wieder auf ihn gestoßen: im Bundesarchiv in Koblenz, im Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin, im Archiv der Evangelischen Kirche in Berlin, in Unterlagen der Bukarester Securitate-Akten-Behörde CNSAS (Nationalrat zum Studium der Akten der Securitate). Dr. Ewald Garlepp war der Vorgänger von Rechtsanwalt Dr. Heinz-Günther Hüsch. Der CDU-Landtags- und Bundestagsabgeordnete Dr. Hüsch hat mehr als zwanzig Jahre lang im Auftrag der Bonner Bundesregierung mit der rumänischen Seite über die Ausreise der Rumäniendeutschen verhandelt.

Über die Tätigkeit von Dr. Garlepp wurde so gut wie nie berichtet. Dabei hat er den Grundstein für das gelegt, was wir heute „Freikauf der Rumäniendeutschen in den Jahren des Kommunismus“ nennen, also für die Formel: Das kommunistische Rumänien lässt Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen ausreisen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für sie Ablösebeträge bezahlt.

Biografische Daten

Dr. Ewald Garlepp wurde am 29. November 1905 in Dessau (Anhalt) geboren und ist am 19. August 1989 in Filderstadt (bei Stuttgart) gestorben. Er hat Jura studiert und 1930 an der Universität Erlangen über das Thema „Die Überlegung als Unterscheidungsmerkmal zwischen Mord und Totschlag“ promoviert. Als Rechtsanwalt war er von Anfang 1932 bis Anfang 1984 zugelassen. Seine Kanzlei befand sich zunächst im Zentrum von Stuttgart, dann in Stuttgart-Bad Cannstatt, dann in Filderstadt-Bonlanden. 

Schwerpunkt seiner Anwaltstätigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg war der Rechtsschutz für Deutsche, die im Ostblock, vor allem in Polen, in der damaligen Tschechoslowakei und in Rumänien aus politischen Gründen inhaftiert waren. In Zusammenarbeit mit polnischen, tschechischen, slowakischen und rumänischen Anwälten bemühte er sich darum, die Inhaftierten zunächst freizubekommen. In einem zweiten Schritt versuchte er, für sie und ihre Angehörigen Ausreiseerlaubnisse zu erwirken – beides natürlich gegen Bezahlung an die Ostblockländer. Das war der Auftrag, den Dr. Garlepp vom Auswärtigen Amt erhalten hatte.

Frühzeitig ist er aber dazu übergegangen, sich nicht nur um politische Häftlinge zu kümmern, sondern mit der rumänischen Seite auch über die Ausreise von „ganz normalen“ Rumäniendeutschen zu verhandeln, also von Leuten, die weder in Haft saßen noch sonst politisch unter Druck standen. Ein Fall dieser Art ist jener der Familie in Lauffen, die ich eingangs erwähnt habe. Auf meine Frage, ob er, seine Frau oder seine Söhne in Rumänien politisch verfolgt wurden, antwortete Reinhard Lang: „Nein. In keiner Weise.“

Die Ausreise der Familie Lang

Ihre ersten beiden Ausreiseanträge haben die Langs in den 1950er-Jahren gestellt. Beide wurden abgelehnt. Als sich Dr. Garlepp einschaltete, ist die Ausreise der Familie Lang sehr schnell und unproblematisch über die Bühne gegangen. Im Frühjahr 1963 wurden die Langs von den rumänischen Behörden aufgefordert, einen Ausreiseantrag zu stellen. Diesmal sind nicht die Langs  zu den Behörden gegangen, um einen Ausreiseantrag zu stellen, sondern die Behörden sind zu ihnen gekommen und haben sie aufgefordert, den Antrag zu stellen. Ein Vierteljahr später hatten sie ihre Ausreisegenehmigung in der Hand. Am 28. Juli 1963, dem 36. Geburtstag von Roswitha Lang, sind sie ausgereist.

Was die Langs erst nach ihrer Ankunft in Deutschland erfahren haben: Ihre Ausreise ist über Dr. Garlepp gelaufen und ihre Angehörigen haben in Deutschland dafür eine Menge Geld hingelegt: pro Person 6000 DM. Für die fünfköpfige Familie – Mutter, Vater und drei Söhne – waren das insgesamt 30.000 DM. In unserem Interview in Lauffen sagte Roswitha Lang: „Als ich gehört habe, dass 30.000 DM gezahlt worden sind für uns – ich hatte ja gar kein Verhältnis zu dieser Währung, ich wusste nicht, ist das viel oder wenig –, da hat meine Schwester mir gesagt: ‚Damit du weißt, wie viel das ist: Unser Einfamilienhaus, das wir voriges Jahr gebaut haben, hat 85.000 DM gekostet.‘“

Wie der Kontakt zu Dr. Garlepp zustande gekommen ist, wann die Angehörigen von Langs erstmals Kontakt zu ihm aufgenommen haben, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Roswitha Langs Schwester, die bei der ganzen Sache die treibende Kraft war, ist im Sommer 90 Jahre alt geworden und kann sich nicht mehr an alle Einzelheiten erinnern. Sie glaubt, dass sie schon vor 1962 erstmals mit Dr. Garlepp über diese Sache sprach. Auch wie das Geld von Deutschland über Dr. Garlepp nach Rumänien gelangte, ist nicht mehr hundertprozentig zu klären. In unserem Interview sagte Reinhard Lang: „Wie man uns erzählte, sei das Procedere so gewesen, dass diese Summe Geld auf einem Sperrkonto gelagert wurde. Und bei unserer Ankunft in Deutschland wurde das Geld zugunsten der Rumänischen Nationalbank freigegeben.“

Die Anfänge deutscher Zahlungen

Das älteste Dokument, in dem von Zahlungen für ausreisewillige Rumäniendeutsche die Rede ist, habe ich im Bundesarchiv in Koblenz gefunden. Es stammt aus dem Auswärtigen Amt und trägt das Datum 9. Dezember 1954. In dem Dokument wird zunächst über die Verhandlungen berichtet, die der Ostausschuss der deutschen Wirtschaft zu dem Zeitpunkt in Wien mit Vertretern Rumäniens führte. Im zweiten Teil wird über eine Besprechung „mit dem Vertreter der rumäniendeutschen Landsmannschaften in Wien“, Hans Androwitsch, berichtet. Er hat mit der Delegation des Ostausschusses Kontakt aufgenommen, um mit ihr über das Thema „Familienzusammenführung“ zu sprechen. Wörtlich heißt es in dem Dokument: „Er (Hans Androwitsch) erklärte, dass man nach seiner Kenntnis der Dinge den Rumänen sehr reale Angebote machen müsse. Er berichtete über eine Zusammenkunft in Stockholm, wo Vertreter der rumänischen Regierung deutlich erklärt hätten, dass sie Volksdeutsche aus dem Lande nur herauslassen würden, wenn pro Kopf 1000 Dollar gezahlt würden. (...)
  
Über Dr. Garlepp geben gleich die ersten Dokumente des im Mai dieses Jahres von CNSAS von einem Forscherteam unter der Leitung von Florian Banu herausgebrachten Quellenbandes „Acţiunea ‚Recuperarea‘ – Securitatea şi emigrarea germanilor din România (1962–1989)“ Auskunft. In einem Schreiben des Rumänischen Innenministeriums vom 13. Juli 1962 heißt es: „Aufgrund der Informationen, die dem rumänischen Innenministerium vorliegen, wurde auf Rechtsanwalt Garlepp aus der Bundesrepublik Deutschland Rechtsanwalt Porăstău Roman angesetzt. Porăstău trägt den Decknamen ‚Alexandru‘ und ist einer unserer Agenten.

Aus den Gesprächen, die ‚Alexandru‘ mit Garlepp führte, ergibt sich folgendes Bild: Garlepp wurde von seinen Mandanten in der Bundesrepublik Deutschland beauftragt, ihre Verwandten bei deren Ausreisebemühungen aus Rumänien anwaltlich zu unterstützen. Um das tun zu können, hat Garlepp mit einigen Anwälten in Rumänien Kontakt aufgenommen. (…) Nachdem er sich von Rechtsanwalt Garlepps Seriosität überzeugt hat, ist es ‚Alexandru‘ den Anweisungen der Securitate gemäß gelungen, Garlepps Vertrauen zu gewinnen.
Garlepp machte deutlich: Wenn es ‚Alexandru‘ schafft, Ausreisegenehmigungen für jene Personen zu erhalten, die ihm von Garlepp namentlich genannt werden, dann würde er, ‚Alexandru‘, dafür ein hohes Honorar in Valuta erhalten.

Um sich von den Möglichkeiten ‚Alexandrus‘ zu überzeugen, schlug Garlepp vor, dass sich ‚Alexandru‘ als  Erstes darum kümmert, dass Hann Albert, seine Frau und seine beiden Kinder eine Ausreisegenehmigung erhalten. Die Hanns sind Deutsche und leben in Hermannstadt. (…) Wenn ihr Ausreiseantrag genehmigt wird, soll ‚Alexandru‘ ein Honorar von 30.000 DM erhalten. (…)”Garlepp fügte hinzu: Wenn dieser Fall gelöst wird, wird dadurch eine Möglichkeit geschaffen, in Zukunft auch weitere ähnlich gelagerte Fälle zu lösen, wobei das Honorar in Valuta gezahlt wird.

Das Dokument kommt zu dem Schluss: Wenn Rumänien auf diese Art und Weise Angehörige der deutschen Minderheit ausreisen lässt, „dann schaffen wir damit die Möglichkeit, erhebliche Beträge in Valuta ins Land zu holen, ohne dass unser Organ (d. h. die Securitate – Anm. EM) direkt in Erscheinung tritt.

Zur Verschleierung sollte das Geschäft immer die Form einer privaten Vereinbarung zwischen den beiden Anwälten haben.
Die Unterzeichner des Papiers, allesamt Offiziere der Securitate, schlagen drei Dinge vor: (1) Der Ausreiseantrag der Familie Hann Albert soll genehmigt werden, (2) solche Vereinbarungen – im Text werden sie als „Kombinationen“ bezeichnet – sollen auch für weitere Personen genehmigt werden, wenn Garlepp für die Lösung dieser Fälle erhebliche Beträge in Valuta zahlt, (3) das Geld soll von „Alexandru“ in Empfang genommen werden, wenn Garlepp nach Rumänien kommt.

Die Vorschläge wurden noch am selben Tag von Alexandru Drăghici genehmigt. Als rumänischer Innenminister war er zugleich oberster Chef der Securitate. Noch am gleichen Tag hat die „Kommission für Pässe, Visa und Rückführungen in die Heimat“ den Ausreiseantrag der Hanns genehmigt. Keine vier Wochen später, am 7. August 1962, informiert die Rumänische Staatsbank „Genossen Alexandru Drăghici“, dass die 30.000 DM aus Stuttgart eingetroffen sind und dem rumänischen Innenministerium zur Verfügung stehen. 
Damit nimmt das Geschäft mit der Ausreise seinen Lauf. Es hatte zwar schon lange vorher begonnen, verläuft von nun an aber in offiziösen Bahnen. Freilich musste bis zum Sturz des kommunistischen Systems verschleiert bleiben, dass der rumänische Geheimdienst Securitate dahinter steckte.

Garlepp –Crăciun Şerbănescu

Der oben erwähnte Rechtsanwalt Roman Porăstău war Agent der Direktion I des rumänischen Innenministeriums, also des Auslandsgeheimdienstes. Zu einem Agenten der Direktion II, der rumänischen Gegenspionage, hatte Rechtsanwalt Garlepp schon lange vorher Kontakt. Es handelt sich um Crăciun Şerbănescu. Auch Şerbănescu war – wie Porăstău – Rechtsanwalt. Forscher der rumänischen Securitate-Akten-Behörde behaupten, dass der Kontakt Garlepp – Şerbănescu seit 1958 bestand. Unterlagen, die ich in Archiven gefunden habe, deuten darauf hin, dass die Zusammenarbeit schon sehr viel früher begann. In seiner rund 200 Seiten starken Broschüre „Die Arbeit der Rechtsschutzstelle des Hilfswerks in der Zeit von 1950 bis 31. März 1957“ schreibt Dr. Garlepp, dass er mit Crăciun Şerbănescu bereits zu Beginn der 1950er Jahre zusammengearbeitet hat. Ursprünglich ging es nur um strafrechtlich verfolgte Kriegsgefangene, später auch um Deutsche und Volksdeutsche, die aus politischen Gründen vor Gericht gestellt wurden. Wörtlich schreibt Dr. Garlepp in der oben genannten Broschüre: „Auch in Aussiedlungssachen wurde dieses gemeinsame Wirken mit dem Bukarester Anwalt erfolgreich, dies aber erst, als nach Auflösung der Rechtsschutzstelle (im Jahre 1957 – EM) deren letzter Leiter (Dr. Garlepp – EM) die Zusammenarbeit (mit Şerbănescu – EM) fortsetzte.

In einem Brief vom 25. März 1963 an einen Hamburger Rechtsanwaltskollegen – den Brief fand der Münchner Dokumentarfilmer Günter Czernetzky im Bundesarchiv in Koblenz – berichtet Garlepp, wie seine Verbindung zu Crăciun Şerbănescu zustande kam:

In früheren Jahren bestanden nur verhältnismäßig wenig Verbindungen zu dem Bukarester Kollegen Şerbănescu. Bei diesen wenigen Sachen handelte es sich um Haftsachen. Aus dieser oder jener Haftsache entwickelte sich dann eine Aussiedlungsangelegenheit. Diese führte dazu, dass der Bukarester Kollege auch die Aussiedlungsbemühungen von Personen, mit deren Strafsache er befasst war, anwaltlich unterstützte. Als es dann zu Wirtschaftsverhandlungen zwischen Rumänien und der Bundesrepublik Deutschland kam, wurde der deutschen Wirtschaftsdelegation auch ein Delegierter beigegeben, der Aussiedlungssachen zur Sprache bringen sollte. Bei diesen offiziellen Verhandlungen erklärten die Rumänen, als in Verbindung mit den Wirtschaftsgesprächen eine Regelung der Familienzusammenführung und Aussiedlung erfolgen sollte: ‚Wir sind doch keine Menschenhändler.‘ Gleichzeitig wurde aber unser Kollege Şerbănescu zu den Aussiedlungsexperten unserer Wirtschaftsdelegation geschickt. Unser Bukarester Kollege führte das Gespräch in der Weise, dass er den deutschen Delegierten bat, mir Nachrichten über Aussiedlungssachen zu überbringen.

Die Rumänen glaubten, offizielle Gespräche über Familienzusammenführung und Aussiedlung ablehnen zu müssen. Gleichzeitig suchten sie aber über Şerbănescu einen offiziösen Weg. In dem oben zitierten Brief beschreibt Dr. Garlepp seinen wichtigsten rumänischen Ansprechpartner folgendermaßen:

Wenn auch unser Kollege Şerbănescu nicht mehr der Jüngste ist, so ist er doch noch voll leistungsfähig. Er ist mit unserer gemeinsamen Arbeit derart verwachsen, dass es für ihn weder Urlaub noch Sonn- und Feiertage gibt. Er arbeitet Tag für Tag von 5 Uhr früh bis 7 Uhr abends. (…) Şerbănescu genießt in Rumänien besonderes Ansehen und verfügt über allerbeste Verbindungen. Şerbănescu war zu Zeiten der rumänischen Monarchie Präfekt. Er wurde dann Anwalt und verteidigte mit besonderem Mut vor einigen Jahrzehnten gerade die Männer, die heute in Rumänien an oberster Stelle stehen. So verbindet ihn unter anderem eine besondere Freundschaft mit dem mächtigsten Mann Rumäniens, nämlich Gheorghiu-Dej. In Bukarest kann man hin und wieder in einem internationalen Lokal Gheorghiu-Dej und Şerbănescu gemeinsam speisen sehen.