„Der Wille zu überleben, der Glaube an Gott, die zuhause gebliebene Familie gaben den Russlanddeportierten Halt“

ADZ-Gespräch mit Erwin Josef }igla, dem Vorsitzenden des Demokratischen Forums der Banater Berglanddeutschen (DFBB)

Erwin Josef Țigla und die ehemalige Russlanddeportierte Elfriede Helene Polluch, die aus Suceava zur Reschitzaer Gedenkveranstaltung am Wochenende angereist war. Foto: DFBB

Josef Wrattny, der Großvater des DFBB-Vorsitzenden, während seiner Deportationszeit im Ural Quelle: Archiv Erwin Josef Țigla

Jedes Jahr im Januar wird in Reschitza/Reșița der Deportation der Rumäniendeutschen in die ehemalige Sowjetunion gedacht. Es ist stets auch ein Treffen der ehemaligen Russlanddeportierten, deren Zahl von Jahr zu Jahr sinkt. Damit dieses Kapitel rumäniendeutscher Geschichte nicht in Vergessenheit gerät, dafür sorgt im Banater Bergland Erwin Josef Țigla. Der DFBB-Vorsitzende ist seit Jahren bestrebt, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf das Thema der Russlanddeportation zu lenken. Vergangene Woche fand, anlässlich der 75 Jahre seit dem Beginn der Russlanddeportation der Rumäniendeutschen, eine vielfältige Veranstaltungsreihe in Reschitza statt, die Ausstellungseröffnungen, Buchpräsentationen, Dokumentarfilmvorführungen und Vorträge umfasste. Wieso er sich stets für die Russlanddeportierten einbringt, erfahren Sie aus folgendem Interview, das Raluca Nelepcu mit Erwin Josef Țigla geführt hat.

Sie sorgen jedes Jahr dafür, dass im Banater Bergland der Russlanddeportation der Rumäniendeutschen gedacht wird. Welcher ist Ihr persönlicher Bezug zu diesem Thema?

Josef Wrattny war einer der Banater Berglanddeutschen Russlanddeportierten, die für fünf Jahre, weit weg von der Heimat, ins Ural-Gebirge, deportiert wurden. Seine Tochter, Anna, war viereinhalb Jahre alt, als sie ohne Vater blieb. Als er das Glück hatte, lebendig nach Hause zurückzukehren, war sie bereits neuneinhalb Jahre alt, kannte aber ihren Vater fast nicht mehr. Die größte Freude im Leben der Familie Wrattny war, wie in so manchen anderen deutschen Familien aus Rumänien, am Heiligen Abend des Jahres 1949, als der Vater aus der Deportation heimkam: Es war das schönste Weihnachtsgeschenk, das die Familie bis dahin und auch überhaupt im Leben bekommen sollte.

Josef Wrattny ist am 8. März 1910 in Reschitza geboren und gestorben ist er am 27. Januar 1992 ebenda. Er war mein Großvater mütterlicherseits. Ihm ist es zu verdanken, dass ich gleich nach der Wende 1990 begann, mich mit diesem Thema intensiv zu beschäftigen. So wurde das erste große den Russlanddeportierten gewidmete Denkmal Rumäniens im Jahr 1995 errichtet, so organisierte ich, neben den jährlichen Gedenkveranstaltungen in der Hauptstadt des Banater Berglands, auch die Landesgedenkveranstaltung zu 60 Jahren seit dem Beginn der Russlanddeportation, am 22. Januar 2005, und nun die Landesgedenkveranstaltung zu 75 Jahren, am 24. und 25. Januar dieses Jahres.

Wie viele Deutsche aus dem Banater Bergland wurden damals deportiert? Wie viele kehrten nach der Zwangsarbeit zurück?

Laut den Informationen, die ich besitze, waren es an die 10.000 Banater Berglanddeutsche, die in die ehemalige Sowjetunion deportiert wurden. 10 Prozent davon starben dort. Interessant ist die Tatsache, dass der Großteil der Banater Berglanddeutschen an den Rand Europas, in das Ural-Gebirge, deportiert wurde und hauptsächlich im Bergbau und Forstwesen beschäftigt war. Nicht wenige waren diejenigen, die ihr Leben dort gelassen haben, infolge von Hunger, Krankheit und Ausbeutung durch Arbeit.
Zurzeit leben im Banater Bergland 18 Deportierte, neun davon in Reschitza. Von Jahr zu Jahr werden sie weniger, von Jahr zu Jahr gehen sie schwerer, werden buckliger und doch, wenn man von einer gewissen Etappe ihrer Jugend spricht, atmen sie auf und ihnen kommen die Tränen.

Die Vorführung von Dokumentarfilmen zur Russlanddeportation in mehreren Reschitzaer Lyzeen war ein wichtiges Anliegen heuer. Inwiefern ist die Jugend mit diesem Thema vertraut?

Die Idee kam mir vor einigen Jahren, als ich mitbekam, dass es immer weniger Menschen in der allgemeinen Gemeinschaft Reschitzas gibt, die Kenntnisse über die Russlanddeportation besitzen. Und wer wird es in einigen Jahren sein? Die heutigen Schulkinder, die Erwachsenen von morgen, die größtenteils in der Gemeinschaft aktiv impliziert sind.

In diesem Jahr waren es vier Schulen in Reschitza, in die ich hinging und über die Russlanddeportation sprach. Wichtiger Bestandteil dieses Besuchs war auch jeweils eine Dokumentarfilmvorführung, eine Produktion meines Bukarester Freundes Cristian Amza, der 24 Filme zum Thema Deportation im Laufe der letzten Jahre gedreht hat. Ihm ist es zu verdanken, neben weiteren Initiativen, dass dieses Thema, Informationen dazu, große Verbreitung findet. Man soll es nicht vergessen.

Was berichten die Geschichtsbücher darüber? Finden Sie, dass das Thema in der Schule ausreichend behandelt wird oder gibt es Nachholbedarf?
Es muss uns bewusst sein, dass die Russlanddeportation für unsere Geschichte besonders wichtig ist. Für Rumänien als Land bildet sie eine der vielen dunklen Seiten der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Erinnern wir uns u. a. an die Gefängnisse und das Foltern innerhalb derselben, an die Bărăgan-Deportation, an den Donau-Schwarzmeerkanal, u. v. m. Sicher, immer gibt es Möglichkeiten, es besser zu machen, so auch die Behandlung der Themen der Russlanddeportation in den Geschichtsschulbüchern.
Besonders wichtig ist die Tatsache, dass immer mehr Historiker, nicht nur deutsche, sich des Themas annehmen und in den Archiven tätig sind, um neue Informationen zur Russlanddeportation herauszufinden und zu veröffentlichen. So bekommt man allgemein neue Kenntnisse und das finde ich sehr gut.

Ein ökumenischer Wortgottesdienst, bei dem der Temeswarer katholische Bischof, Josef Csaba Pál, und der evangelische Bischof Reinhart Guib zusammenkamen, fand zum Schluss der Veranstaltungsreihe statt. Warum war es für Sie wichtig, dass auch die evangelische Gemeinde miteinbezogen wird?

Wir wissen ja, dass Anfang 1945 arbeitsfähige Männer und Frauen aus dem gesamten damaligen Territorium des Königreichs Rumänien, aus Siebenbürgen, aus dem Banat, aus dem Sathmarer Land und dem Kreisch-Gebiet, aus dem Buchenland, aus Bukarest und aus der Dobrudscha, aus dem ganzen Altreich aus der Mitte der eigenen Familie und Gemeinschaft gerissen wurden und in Viehwaggons bis weit in den Donezk-Raum, in der heutigen Ukraine, oder auch bis in das Uralgebiet, an der Grenze zwischen Europa und Asien, deportiert wurden. Ein wichtiger Teil davon gehörte als Gläubige der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien an. So ist es selbstverständlich, dass wir gemeinsam dieser Ereignisse gedenken.

Persönlich bin ich ökumenisch geprägt und habe seit 1990 alles, was in meiner Macht gestanden hat, für die Förderung der Ökumene getan. So erinnere ich mich sehr gerne an den 14. November 1992, als, innerhalb der zweiten Auflage der „Deutschen Kulturdekade im Banater Bergland“ zum ersten Mal in der Geschichte der Rumäniendeutschen ein ökumenischer Lesegottesdienst der beiden Bischöfe Sebastian Kräuter, römisch-katholischer Diözesanbischof von Temeswar, und Dr. Christoph Klein, Bischof der Evangelischen Landeskirche A.B. Rumänien, in der „Maria Schnee“-Pfarrkirche in Reschitza organisiert wurde. In persönlichen Gesprächen mit den beiden Bischöfen wurde mir die Anerkennung zugesprochen, dass die Initiative „von unten“ kam, von den Gläubigen, was mir Mut gab weiterzumachen. Nach dem ökumenischen Lesegottesdienst vom 14. November 1992 segneten beide Bischöfe den Standort, wo das Denkmal zu Ehren der verstorbenen Russlanddeportierten 1995 errichtet werden sollte.

Weitere ökumenische Lesegottesdienste auf höchster Ebene zwischen der Römisch-Katholischen Diözese Temeswar und der Evangelischen Kirche A.B. Rumänien fanden in Reschitza in meiner Mitorganisation am 14. Oktober 1995 mit der anschließenden Denkmaleinweihung und am 22. Januar 2005, als man auf Landesebene der 60 Jahre seit dem Beginn der Russlanddeportation in Reschitza gedachte, statt.

Die Russlanddeportierten werden Jahr für Jahr immer weniger. Wie könnte man es schaffen, dieses Thema in die Zukunft zu transportieren, damit es nicht in Vergessenheit gerät?

Einmal durch Buchveröffentlichungen nicht nur in deutscher Sprache. Zweitens: Präsenz zeigen in den Medien, gedruckt, Audio, Video und in den neuen, sozialen Medien, mit positivem Effekt weltweit. Dazu kommt der persönliche Einsatz dort, wo Deutsche in Rumänien gelebt haben bzw. leben, Veranstaltungen organisieren, in deren Mittelpunkt die Russlanddeportation steht. Und selbstverständlich Landesgedenkveranstaltungen, so wie es sie bis jetzt in Kronstadt/Brașov - 50 Jahre seit dem Beginn (12. - 14. Januar 1995), in Temeswar/Timișoara - 55 Jahre (15. - 16. Januar 2000), in Reschitza - 60 Jahre (22. Januar 2005), in Sathmar/Satu Mare - 65 Jahre (19. - 21. März 2010) und in Temeswar (8. März 2015) bzw. Hermannstadt/Sibiu - 70 Jahre (10. - 11. März 2015) gegeben hat.

Sie selbst haben sich schon so oft mit ehemaligen Deportierten unterhalten. Was haben Sie persönlich, bzw. was kann man im Allgemeinen von diesen Menschen lernen?

Der Wille zu überleben, der Glaube an Gott, die zuhause gebliebene Familie, die Heimatverbundenheit und -liebe: das gab allen Russlanddeportierten Halt. Sie bilden ein Beispiel für unsere heutigen und morgigen Zeiten!