Deutsche Minderheit und deutsches Forum im Licht der 30-jährigen deutsch-rumänischen Freundschaft

Symposium „Geschichte, Gegenwart und Zukunft der deutschen Minderheit in Rumänien“ – Facetten, Gedankensplitter, Quintessenz

Foto: Max Shuz

Auf keinen Fall kann man in eine einzige Zeitungsseite pressen, was 30 Jahre deutsch-rumänische Freundschaft für die deutsche Minderheit in Rumänien bedeuten. Nicht in der Vergangenheit: Befreiung vom Kommunismus, Mitgliedschaft Rumäniens in NATO und EU, Wiedergutmachung historischen Unrechts durch Entschädigungen, Rückerstattungen, Minderheitenschutz... Nicht in der Gegenwart:  bundesdeutsche und europäische Förderungen zum Bewahren und Erhalten unserer Sprache, unserer Schulen, unseres Kulturerbes...  Und erst recht nicht für die Zukunft, die wir nun unter völlig neuen Prämissen als Partner auf Augenhöhe vor der Kulisse eines allzu nahen Krieges und vielerlei Krisen mitgestalten...

30 Jahre kann man auch nicht an einem Symposiumstag Revue passieren lassen... Und doch gibt es ein Destillat, eine Quintessenz, die Gastgeber und Gäste auf der Veranstaltung vom 4. November im Spiegelsaal des Hermannstädter Forumshauses  verbindet: die Vertreter des DFDR und der fünf Landesforen, die Botschafter Deutschlands und Österreichs, die Repräsentanten der beiden deutschen Stiftungen Konrad Adenauer und Naumann, den Sprecher der Arbeitsgruppe der deutschen Minderheiten in Europa, einen ehemaligen und einen aktuellen parlamentarischen Abgeordneten des DFDR, den Bischof der evangelischen Kirche A.B. in Rumänien und viele, viele mehr. Es sei versucht, diese Essenz in möglichst vielen Facetten und Gedankensplittern zu erfassen.

Nicht neu, aber im Kontext erhellend

Es sei vorweggenommen, dass das meiste zwar für die meisten nicht wirklich neu, doch auf jeden Fall inspirierend und im Kontext erhellend war. Die Absicht, die deutsche Minderheit ihren Partnern mit dem Symposium umfassend vorzustellen, wie sie DFDR-Vorsitzender Dr. Paul-Jürgen Porr einleitend formulierte, ist mit Sicherheit gelungen. So mancher Teilnehmer bemerkte in der Pause, man müsste die Vorträge in einer Broschüre sammeln. Und so manches, was hier zwischen den Zeilen zwangsläufig hinunterfällt, wird die ADZ bei nächster Gelegenheit aufgreifen und in Interviews nachbereiten.

Die Quintessenz fast vorweggenommen hat Bischof Reinhart Guib (EKR), mit seinen „Worten und Wendungen“, mit denen er 30 Jahre deutsch-rumänische Freundschaft und Partnerschaft verbindet, und die er „Deutschland und Rumänien auch für die nächsten 30 Jahre wünscht“, vorgetragen mit sonorer Stimme, meditativ, wie ein kraftvolles Gebet: „Gemeinsame Geschichte – Reformation – Glaubensfreiheit –  Solidarität – Empathie – Hilfe zur Selbsthilfe – soziale Fürsorge – Sammeln für gute Zwecke – Altenbetreuung –Stabilität – Aufbau – Wirtschaftsförderung – Nachhaltigkeit – Jugendarbeit – Begegnung – Projektarbeit – hochrangige Besuche – Zusammenarbeit – Dialogbereitschaft – nicht über uns, sondern mit uns reden – Kulturerbeerhalt – Kirchenburgenstiftung – Schirmherrschaft – Lehrerförderung – deutsche Sprachkompetenz – Bildung – Brückenfunktion – großer Dank – Würdigung – Siebenbürgen, Land des Segens – Europa, Region der Zukunft.“

Impulse von außen

„Höchste Wertschätzung“ auch seitens der Landesregierung und ein „nicht selbstverständliches Engagement“ bescheinigt der deutsche Botschafter Peer Gebauer der zahlenmäßig kleinen, aber höchst aktiven deutschen Minderheit. Dies vor dem Hintergrund einer „phantastischen Entwicklung“ Rumäniens in den letzten 30 Jahren: NATO-Beitritt, EU-Mitgliedschaft, heute „zentrale Rolle“ bei Getreideexporten aus der und humanitärer Hilfe für die kriegsgebeutelte Ukraine. Ähnlich positiv äußert sich seine Amtskollegin aus Österreich, Adelheid Folie.

Bernhard Gaida, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Minderheiten in der föderalistischen Union der europäischen Nationalitäten, inte-ressiert sich seit Jahren für  Lage und sprachliche Situation der Deutschen in Rumänien: Das Land und das DFDR können sehr stolz sein darauf, und die meisten der deutschen Minderheiten können davon nur träumen. „Ich komme aus Polen und weiß, was das heißt“, sagt der gebürtige Oberschlesier,  „ich habe viel von euch gelernt“. Gaida plädierte dafür, solche „Best-Practice-Lösungen“ in Europa bekannter zu machen -  Europa, eine Gemeinschaft der Völker, die nur funktionieren könne, „wenn wir unsere Identität mutig lebendig machen“! Dazu gehört auch, einander zu helfen: Schon einen Tag nach Beginn des Ukraine-Krieges sei es der AG der deutschen Minderheiten gelungen, ein Hilfsnetzwerk in den Nachbarländern aus dem Boden zu stampfen und damit Hunderte Flüchtende der deutschen Minderheit zu unterstützen und ihnen zu vermitteln, dass sie in Deutschland immer noch den Status von Spätaussiedlern genießen.

„Wir müssen die Zeitenwende selbst gestalten – sonst gestaltet sie uns“, bemerkt auch Katja Plate, neue Leiterin der Konrad-Adenauer Stiftung (KAS) für Rumänien und die Moldau, und erklärte, dass die Programme der KAS derzeit umgestaltet würden. Prioritäten: „Freiheit braucht Sicherheit“ – die KAS strebe daher anders als früher mehr Kontakte zu Militär und Sicherheitsbehörden an; und „Nachhaltigkeit braucht Innovation“ – in der Energiekrise müsse man auf internationalen Austausch setzen. In Kürze stehe eine Trennung des gemeinsamen Rumänien- und Moldau-Büros an. Schon seit 25 Jahren in Rumänien aktiv ist Raimar Wagner, Projektleiter der Naumann Stiftung in Rumänien. Ergänzend erwähnt der DFDR-Abgeordnete Ovidiu Gan]  die gute Kooperation mit den anderen bundesdeutschen Stiftungen in Rumänien, Hanns Seidel (HSS) und Friedrich Ebert (FES).

Die Abgeordneten

Wolfgang Wittstock und Ovidiu Gan] liefern Einblicke in ihre parlamentarische Tätigkeit als Vertreter der deutschen Minderheit in Rumänien, ersterer von 1992-2004, letzterer 2004 bis heute. Während den Mandaten von Wittstock ging es um den Aufbau eines demokratischen Rechtsstaats, eine leistungsbasierte Marktwirtschaft, eine neue Verfassung und für die Deutschen um die Verankerung von Minderheitenschutz, Erhalt von Identität und Sprache, Rückerstattung von konfisziertem Eigentum; Gan] berichtete als Schwerpunkte aus fünf Mandaten u.a. über intensive Lobbyarbeit für den EU-Beitritt Rumäniens, die Finanzierung des DFDR aus dem Staatshaushalt, die Unterstützung von Klaus Johannis als Bürgermeister von Hermannstadt und als Folge die absolute Mehrheit im Stadtrat, die Wiederwahl mit 90% und die Wahl von Martin Bottesch als Kreisratsvorsitzenden, „eine völlig andere Dimension der Vertretung der deutschen Minderheit in der Kommunalpolitik“. Meilensteine waren auch die Gründung der deutsch-rumänischen Handelskammer „die größte und wichtigste bilaterale“ im Land, und Hermannstadt als europäische Kulturhauptstadt 2007. Intensive Brückenbauertätigkeit sei durch Empfang und Besuch „hunderter“ deutscher Politiker in 21 Jahren möglich gewesen. Als besonderen Erfolg für 2020 nannte er „die Gesetze  130 und 232, die eine moralische wie auch finanzielle Wiedergutmachung für die Kinder der ehemaligen Russland- und B²r²gandeportierten vorsehen“, mit rund 100.000 Nutznießern, darunter sehr viele Deutsche.

Facetten aus den eigenen Kreisen

DFDR-Vorsitzender Porr spannte den Bogen von den verschiedenen deutschen Einwanderergruppen, die sich erst ab der Gründung Großrumäniens 1918 als geeinte „deutsche Minderheit“ wahrnahmen. Von gebrochenen Versprechungen rumänischer Politiker anfällig für die Verlockungen Hitlerdeutschlands geworden, trug sie dann die Kollektivschuld für das Dritte Reich: Deportation in die UdSSR, Heimkehr  - teils in den Kommunismus, teils nach Deutschland, Grund für Auswanderungswellen, Freikauf zur Familienzusammenführung, Exodus und Niedergang, die Spaltung in Fortgegangene und „Zurückgebliebene“, anfänglich als solche verspottet, 2011 zählte die deutsche Minderheit nur noch 36.000 Personen. Und doch: Noch während der Revolution wurde das DFDR gebildet, als politischer Verband für Lokalpolitik, keine Partei, doch mit Johannis seit 2014 auch in der Landespolitik vertreten.

Über das „identitätsvermittelnde Gefühl“ durch gemeinsames Kulturerbe referierte Winfried Ziegler, Geschäftsführer des Siebenbürgenforums. Neben dem baulichen „immobilen“ Kulturerbe schließt dieses auch bewegliches, immaterielles und neuerdings sogar digitales Kulturerbe ein, sowie schützenswerte Kulturlandschaften im Ensemble: Kirchenburgen, Schulen, Lieder, Trachten, Bräuche, Haushaltsgegenstände, dörfliches Landschaftsbild... Die Herausforderung stellt sich auf vier Ebenen: im Erfassen, im Erhalt, im Entwickeln und mit Leben Füllen und in der Weitergabe, wobei für drittes die Offenheit der rumänischen Mehrheit eine große Rolle spielt, denn inzwischen sind das deutsche Schulwesen, aber auch viele Tanzgruppen und Kulturveranstaltungen von Rumänen dominiert. Hierfür wesentlich sei wiederum eine Öffnung der deutschen Gemeinschaft gewesen, erfolgreiche Jugendarbeit und attraktive Öffentlichkeitsarbeit.
Über das Altenheim, Erwachsenen- und Kinderhospiz der Carl Wolff Stiftung in Hermannstadt berichtete lebhaft deren Leiterin Ortrun Rhein. Nach dem Zusammenbruch von Nachbarschaften und Gemeinschaftshilfe sei eine solche Struktur, vor 30 Jahren von Forum und EKR mit Hilfe aus dem BMI gegründet, für die hiergebliebenen Senioren essenziell geworden. Neben Versorgung, Pflege und Dienstleistungen gebe es Sing-, Spiele-, Rätselgruppen und andere Gemeinschafts- und Freizeitangebote, evangelische, katholische und orthodoxe Gottesdienste - „erlebbare Ökumene“, Dinge, die den Menschen einen „behüteten Lebens-abend“ ermöglichten, dies in einem Land, in dem „soziale Fürsorge mit kleinen Buchstaben geschrieben“ würde...

Über das Recht auf und die Bedeutung des Unterrichts in deutscher Muttersprache referierte die Direktorin der Brukenthalschule Monica Hay. Ein Großteil der Lehrkräfte nimmt an Fortbildungen im In- und Ausland teil. Herausragende Bedeutung kommt  dem Lehrerfortbildungszentrum in Mediasch zu. Neben der Vermittlung von Werten und Allgemeinbildung stehe die Entwicklung des Schülers vor der reinen Wissensvermittlung. Eine hohe Bestehensquote im Bakkalaureat habe zur Beliebtheit des deutschen Schulsystems auch bei rumänischen Eltern und zu einem hohen Leistungs- und Erwartungsdruck geführt. Probleme: Nicht immer sei die ehrgeizige rumänische Elternschaft davor gefeit, ihre „grenzwertigen Vorstellungen von Bildung“ mit allen Mitteln durchsetzen zu wollen. Und der Lehrermangel in Lyzeums- und Gymnasialklassen, vor allem in Natur- und Sozialwissenschaften, führe zu immer mehr Fächern, die auf Rumänisch unterrichtet werden. Die Lehrerförderung der Bundesregierung und der Lehrkräfteaustausch seien daher essenziell.

Klaus Harald Sifft von der Saxonia Stiftung erläuterte die Bedeutung der Wirtschaftsförderung durch die Bundesregierung über die fünf regionalen Stiftungen des DFDR. Die zu fördernden KMU seien nicht nur „Motor für Wachstum und Beschäftigung“ und „Triebfeder für Innovation und neue Dienstleistungen“; in der EU schaffen KMU zwei Drittel aller Arbeitsplätze. Doch exzessive Bürokratie bei EU-Hilfen veranlassen viele Kleinunternehmer hierzulande, lieber darauf zu verzichten. Die Stiftungen sollen den verbliebenen Landsleuten den Erhalt des Lebensunterhalts sichern helfen, durch physische, finanzielle und beratende Hilfe. Um keinen Neid zu erzeugen, werden nicht nur Mitglieder der deutschen Minderheit gefördert. Die Mittel stammen aus dem Haushalt der Bundesregierung. Neben zu erfüllenden Förderkriterien sei zinslose Rückzahlung nach fünf Jahren vorgesehen. Aus diesen Rückzahlungen werden die Gemeinschaftseinrichtungen der deutschen Minderheit finanziert.

Benjamin Jozsa, Moderator des Symposiums, betonte in seinem Redebeitrag: Der rumänische Staat habe sich im bilateralen Freundschaftsvertrag zu Schutz und Förderung der deutschen Minderheit verpflichtet, doch Förderung bedeute nicht nur Geld. Dem DFDR etwa sei wichtig, dass „mit uns, nicht über uns“ gesprochen werde,  „deswegen drängen wir darauf, dass politische Delegationen aus Deutschland auch nach Hermannstadt kommen“. Beitragen wolle man auch „in weiteren 30 Jahren“, dass Rumänien der am wenigsten euroskeptische EU-Staat bleibt; vermitteln könne man nach wie vor bei den oft unterschiedlichen Herangehensweisen der Partnerländer; das Zusammenleben der Minderheiten hierzulande sei für die EU ein Modell; besorgt sei man nur über die Kürzungen deutscher Fördermittel ausgerechnet im Bereich Schule, man hoffe, dass bestehende Projekte nicht gefährdet seien...

Die Geschichte der Organisation der Jugendgruppen – Fördermittel, Partnerschaften, Treffen - rollte die stv. Vertreterin des Siebenbürgenforums Andrea Rost auf. Sie betonte nach 20 Jahren Jugendarbeit die Bedeutung von Gemeinschaftserlebnissen, plädierte aber auch für die dringende Heranführung von Nachwuchskräften an die Forumsarbeit. Es sei wichtig, die Jugend nicht nur in Form von Tanzgruppen „als Gäste einzuladen“, sondern gestaltend einzubinden. Der Apell richte sich speziell an den Deutschen Wirtschaftsclub, zwecks Vernetzung, Herausforderung und um der Abwanderung der Jugend entgegenzuwirken.