Die Dänenmacher

Südschleswig: Besuch im dänischen Gymnasium in Schleswig

Die dänische Fahne flattert vor der Arnold-Peter-Møller-Skolen im Wind. Der langgestreckte Brunnen gliedert den Zugang über das weitläufige Gelände hin zur Schule. Foto: der Verfasser

Ein steter Strom Wasser fließt aus dem langgestreckten Brunnen, weg von der Schule – so wie die Maturanten, die jedes Jahr die Arnold-Peter-Møller-Skolen verlassen und in die Welt ziehen. Es ist eine besondere Schule, denn sie produziert Nachwuchs für die dänische Sprachgruppe – obwohl der Großteil der Schüler aus deutschen Familien stammt. 600 Schüler sind in die Schule eingeschrieben, die 2008 in Anwesenheit der dänischen Königin Margrethe II. eröffnet wurde. Das äußerst großzügige und bestens eingerichtete, 60 Millionen Euro teure Gebäude umfasst 15.000 Quadratmeter auf einem 10,4 Hektar großen Grundstück. Es ist ein Geschenk der privaten Stiftung des Kopenhagener Reeders Arnold Mærsk Mc-Kinney Møller (1913 – 2012). 

Auf dem Schulhof wird Deutsch gesprochen

Die Schule ist eine Gemeinschaftsschule für Schüler von der siebten bis zur zehnten Klasse und hat eine gymnasiale Oberstufe für die elfte bis 13. Klasse. Sie wird vom Dänischen Schulverband für Südschleswig (Dansk Skoleforening for Sydslesvig) betrieben. 
„In unserer Schule wird nach dem schleswig-holsteinschen Schulgesetz unterrichtet“, sagt Rektor Jørgen Kühl. Der Abschluss wird in Deutschland wie in Dänemark voll anerkannt, daher müssen auch sämtliche dänische Kriterien erfüllt werden. 
Unterrichtssprache ist Dänisch, Deutsch wird in vier Stunden als Fach unterrichtet. Doch die Staatssprache kommt sicher nicht zu kurz: „Machen wir uns nichts vor: Auf dem Schulhof wird Deutsch gesprochen“; sagt Rektor Kühl. Das hat einen guten Grund: In 95 Prozent der Schülerfamilien ist Deutsch die Familiensprache, denn der Großteil kommt aus rein deutschen oder gemischten Familien.
Genaue Zahlen gibt es nicht; in Deutschland darf das Bekenntnis zu einer Minderheit weder nachgeprüft noch bestritten werden. Über einen Umweg kann Rektor Kühl aber dennoch Zahlen nennen: „Wir haben eine Umfrage in der Schule gemacht. Daraus ging hervor, dass drei Prozent der Schüler Eltern haben,  die beide auf eine dänische Schule gegangen sind, bei 30 Prozent war es ein Elternteil, und bei den anderen gingen beide Eltern auf eine deutsche Schule, waren also nicht Teil der dänischen Minderheit.“

Nicht Indoktrinierung, sondern Osmose

„Die Schüler fühlen sich durch die Sozialisation in der Schule und der Gemeinschaft als Dänen“, sagt Jørgen Kühl. Dabei gehe es nicht etwa um eine Indoktrinierung der jungen Leute, sondern um Osmose in die Minderheitenkultur.
Ein Beispiel ist Nikolai Lengefeldt. Die Eltern des jungen Mannes stammen aus Hamburg, kamen aus beruflichen Gründen nach Glücksburg bei Flensburg und schickten ihren Sohn in den dänischen Kindergarten, weil dieser ihnen sympathischer als der deutsche und das zweisprachige Aufwachsen interessant erschien.
„Der Konsequenzen waren sie sich nicht ganz bewusst“, sagt Nikolai Lengefeldt, „dass man eben nicht nur zweisprachig aufwächst, sondern quasi eine zweite Kultur ans Bein gebunden bekommt.“ Die Tragweite ihrer Entscheidung wurde Lengefeldts Eltern erst so richtig klar, als ihr Sohn sich als Erwachsener entschied, die dänische Staatsbürgerschaft zu erwerben und die deutsche abzulegen. Er hatte den dänischen Kindergarten absolviert, die dänische Schule in Flensburg, danach in Dänemark studiert, für ein dänisches Unternehmen gearbeitet und eine Dänin geheiratet.
So sieht der Lebenslauf eines großen Teils der Absolventen der dänischen Minderheitenschulen aus. Doch Lengefeldt verzichtete auf eine lukrative Karriere in Dänemark und kehrte mit seiner Familie nach Flensburg zurück, wo er unter anderem in der dänischen Zentralbibliothek arbeitet: Er wollte für die Minderheit aktiv sein.

Eltern unterschreiben, dass sie Teil der Minderheit werden

Eigentlich hätten Lengefeldts Eltern wissen müssen, auf was sie sich einließen: „Die Eltern verpflichten sich bei der Einschreibung ihrer Kinder in die dänische Schule, sich in die Minderheit zu integrieren“, sagt Jens A. Christiansen, der Generalsekretär des Südschleswigschen Vereins, des kulturellen Dachverbands der dänischen Minderheit in Deutschland (Sydslesvigsk Forening e. V.): Die Eltern erklären ihren Willen, Teil der Minderheit zu werden. „Doch das unterschätzen viele“, sagt Christiansen, „dabei wird ihnen bei der Einschreibung erklärt, dass die Schule kein Sprachinstitut ist, sondern dass es um die dänische Kultur geht.“ 
„Meine Eltern wurden immer wieder darauf aufmerksam gemacht: Wenn Ihr Eure Kinder hier in die Schule schickt, bekennt Ihr Euch auch zu dänischen Minderheit, und dann müsst Ihr aber auch Dänisch lernen“, erläutert Lengefeldt.

Doch das schafften seine Eltern nicht. „Irgendwann haben sie dann – zu spät – festgestellt, dass es doch besser gewesen wäre, sich stärker zu engagieren, um in diesem Teil der Kultur, den die Kinder leben und erleben, besser Teil zu sein.“ 
Dass so viele Leute in die dänische Minderheit hineinwachsen, ist für Lengefeldt eine gewaltige Botschaft an den dänischen Staat, für dieses friedliche Projekt: „Für die Nachbarschaft zwischen beiden Ländern hat das ganz viele positive Aspekte“, sagt er.
„Das Zusammenleben von Dänen und Deutschen ist hier bei uns so unproblematisch, dass ein Wechsel der Zugehörigkeit zu einer anderen Gruppe völlig akzeptiert ist“, sagt Rektor Kühl. Das war vor Jahrzehnten noch anders: „Da war das Minderheit-Sein prägend, es war ein Getto“, sagt Kühl, „heute dagegen gibt es eine völlige Interaktion mit der Außenwelt.“ Die Frage nach deutscher oder dänischer Identität trifft nach Kühls Meinung auch nicht den Kern: „Das ist wie bei unseren Eltern: Ich liebe ja auch Vater und Mutter, nicht nur einen von beiden.“

Kaum zweisprachige Schilder und Aufschriften

Warum ist Dänisch dann kaum sichtbar in Flensburg und Schleswig? Schließlich gibt es praktisch keine zweisprachigen Ortsschilder und kaum sonstige Aufschriften in dänischer Sprache im Minderheitengebiet. „Wir hatten eine lange Diskussion, ob wir dänische Schilder fordern sollen“, sagt Jens A. Christiansen, „aber die dänische Gruppe ist auch an der dänischen Gesinnung interessiert, nicht nur an der Sprache, deshalb haben Schilder keine so hohe Priorität für uns.“ Schilder seien zu befürworten, wo sie natürlich seien, das habe aber keine Priorität. Und im Übrigen seien im Norden viele Ortsnamen wie Husum dänischen Ursprungs und höchstens etwas eingedeutscht. 
Die Offenheit zwischen Deutschen und Dänen habe sich seit den Bonn-Kopenhagener Erklärungen von 1955 entwickelt, schildert Christiansen. Führt so ein starker deutscher Ansturm auf die dänischen Bildungsinstitutionen aber nicht zu Problemen für die Minderheit? 

Deutsche Familien in die Minderheit integrieren

„Wichtig ist es, die deutschen Familien in die Minderheit zu integrieren“, sagt Christiansen. Aber eines sei klar: „Wir sind eine dänische Minderheit, keine dänisch-deutsche: Das dänische Bein muss wichtiger sein als das deutsche!“ Das Bekenntnis der neuen Dänen müsse bewusst sein: „Man kann sich nicht nur die Rosinen herauspicken: Man muss wählen und bekennen: Ich wähle bewusst das Dänische. Wir müssen als Minderheit eine Grenze ziehen, sonst bestehen wir bald nicht mehr als Minderheit“, sagt Christiansen: „National bewusst, aber gegen Nationalismus.“ 

Die Minderheitenerfahrung der Eltern und Großeltern müssten bewahrt bleiben, sagt Christiansen. Schließlich ist es erst 100 Jahre her, dass Dänen und Deutsche erbittert stritten um die Grenzziehung nach dem Ersten Weltkrieg. 1920 wurde eine Volksabstimmung über die staatliche Zugehörigkeit Schleswigs abgehalten. Nordschleswig wurde an Dänemark abgetreten – so entstanden die dänische Minderheit in Deutschland und die deutsche Minderheit in Dänemark. 
Der Streit um die Grenze hinterließ tiefe Spuren. Erst die Bonn-Kopenhagener Erklärungen von 1955 leiteten die Aussöhnung ein. Seither hat sich vieles zum Positiven gewendet – wie immer auch man die Entwicklungen rund um die dänische Minderheit bewerten mag.