Die Fremdenhasser von Ditrău

Über den Szekler Sándor Körösi Csoma und die Bäcker aus Sri Lanka

Die besorgten Bürger von Ditrău im Gemeindekulturhaus Sándor Körösi Csoma Foto: Agerpres

Als am 27. März 1784 in Chiuruș im heutigen Kreis Covasna der Szekler Sándor Körösi Csoma geboren wurde, war die Welt noch halbwegs in Ordnung. Im fernen Wien regierte zwar ein Kaiser, der mit aufklärerischen Gedanken spielte und so manchen davon auch umsetzte, aber der Bauernaufstand von Horia, Cloșca und Crișan sollte erst in einem halben Jahr geschehen. Alsbald geriet die feudale Ordnung Europas ins Wanken und der junge Csoma begann sein bewegtes Leben. In Straßburg am Mieresch paukte er zunächst Theologie und Philologie, ab 1815 studierte er in Göttingen bei Johann Gottfried Eichhorn orientalische Sprachen. Der deutsche Anthropologe Johann Friedrich Blumenbach erklärte ihm, dass das ungarische Volk von den Uiguren abstammen muss und Csoma machte sich erneut auf den Weg. Blumenbachs Idee wollte der umtriebige Szekler nachgehen. Er lernte Armenisch und als Armenier verkleidet kam er um 1821 – 1822 nach Bagdad, nach Teheran, Buchara und Lahore. Er schaffte es bis in die Hauptstadt der tibetanischen Provinz Ladakh, im heutigen Indien. Dort zog er sich in ein buddhistisches Kloster zurück, erlernte die tibetanische Sprache und studierte eingehend den buddhistischen Glauben. Wie kein anderer zuvor soll sich der Siebenbürger Körösi Csoma die Sprache und die Lehren der buddhistischen Mönche angeeignet haben, 1827 gewährte ihm die britische Kolonialmacht ein Stipendium, sodass er bis 1834 in Ladakh bleiben konnte. Im selben Jahr veröffentlichte er die erste wissenschaftliche Grammatik der tibetanischen Sprache und ein tibetanisch-englisches Wörterbuch. Ein Jahr später brachte er noch eine Einführung in die Grundlehren des Buddhismus heraus und begründete somit die Tibetologie als Wissenschaft. 1842 sollte er den 11. Dalai Lama auf dessen Einladung in Lhasa besuchen, doch Csoma starb 58-jährig in Darjeeling am Fuße des Himalaya. Das abenteuerreiche Leben eines Forschungsreisenden von Weltformat, der 17 Sprachen gesprochen haben soll, ging somit zu Ende. Seit 2009 gehört das in Ungarn aufbewahrte Archiv des Sándor Körösi Csoma zum UNESCO-Weltdokumentenerbe.

Anfang 2020 scheint die Welt nicht mehr in Ordnung zu sein. Zumindest in Ditrău nicht, einem Ort im Kreis Harghita, wo 98 Prozent der Bürger Szekler sind und wo die Eigentümer einer Bäckerei keine Arbeiter mehr für ihren Betrieb finden konnten. Und somit auf den abwegigen Gedanken gekommen sind, Gastarbeiter nach Ditrău zu holen. Über eine Vermittlungsagentur kamen also zwei Bürger aus Sri Lanka in die transsylvanische Idylle, sie lernten schnell und sollen Presseberichten zufolge auch sehr gut aufgenommen worden sein. Von ihrem Arbeitgeber und von der Belegschaft. Aber nicht von der Gemeinde. Etwa 200 Einwohner des Dorfes mit dem katholischen Pfarrer an der Spitze sollen lautstark die sofortige Abreise der beiden Männer gefordert haben. Man sei um die eigene Identität besorgt und fürchte die Gewaltbereitschaft der Fremden. In einem holprigen Rumänisch erklärte ein aufgebrachter Bürger, er wolle kein Brot essen, das von fremden Händen gebacken sei. Auch könnten andere Migranten nachziehen. Und deren Hautfarbe sei ein Problem, wie der ungarische Bürgermeister der Gemeinde erklärte.

Der xenophobe Ausbruch von Ditrău dürfte der erste in Rumänien sein, der sich gegen Arbeitsmigranten richtet. Genau gegen jene, die seit wenigen Jahren in rumänischen Fabriken und auf Großbaustellen arbeiten, vor allem in Großstädten: Vietnamesen, Chinesen, Philippiner, Sri Lanker. Und wenn sich in Städten wie Bukarest, Klausenburg oder Temeswar kaum jemand darüber aufregt, so scheinen zwei Sri Lanker tatsächlich in der Lage zu sein, eine kleine Gemeinschaft wie jene in Ditrău in eine schwere Identitätskrise zu stürzen.

Was in Ditrău geschah, ist die direkte Folge der seit mindestens zehn Jahren andauernden Hassrhetorik des Budapester Regierungschefs Viktor Orbán. Die Szekler von Ditrău sind zu Opfern einer Propaganda geworden, die auch außerhalb Ungarns auf offene Ohren stößt und von westeuropäischen Regierungen aus einem schlecht verstandenen Kalkül geduldet wird. Die Abschottung Ungarns seit 2015 hat zwar bei der Eindämmung der Flüchtlingskrise geholfen, doch sie hat gleichzeitig in den Köpfen der Menschen großes Unheil angerichtet. Es ist durchaus vorstellbar, dass dieser Propaganda noch vor den eigenen Bürgern in Ungarn die Auslandsmagyaren verfallen, jene, die seit 1920 mit ihrem Schicksal hadern. Nicht umsonst hat das Orbán-Regime das Nachbarland mit Trianon-Denkmälern übersät, nicht umsonst hat der Anführer der 15 Millionen Ungarn erklärt, er fühle sich für das gesamte Karpatenbecken zuständig, Ditr²u mit eingeschlossen. Denn es könnte durchaus sein, dass die dortigen rumänischen Staatsbürger dem Budapester Regierungschef mehr vertrauen als ihren eigenen UDMR-Kommunalpolitikern, ganz geschweige der zentralistischen Regierung in Bukarest, die sich um die Belange des Szeklerlands wenig kümmert, aber immer wieder, in guter alter Ceaușescu-Tradition, den einheitlichen und zentralistischen Charakter Rumäniens heraufbeschwört. Und wenn Orbán sein Land vor den Syrern schützen muss, weil diese die christliche Zivilisation und die abendländische Lebensweise bedrohen, so müssen sich auch die Bürger von Ditrău vor zwei Bäckern aus Sri Lanka schützen, die selbstverständlich die falsche Hautfarbe haben. An allem dürfte natürlich nur George Soros schuld sein, weil er Araber in Ungarn und Sri Lanker in Siebenbürgen ansiedeln will. Mit Hilfe seiner Brüsseler Lakaien. Aber man kann sie alle stoppen, Orbán hat es bereits vorgemacht mit seinen etlichen Volksbefragungen über die Aufnahme von Migranten und die Zerstörung der abendländischen Kultur. Nicht von ungefähr, dass auch die Szekler von Ditrău ein Lokalreferendum fordern, damit sie ihren Willen kundtun können, keinen Fremden hereinzulassen.

Fraglich aber bleibt, warum staatliche Stellen nicht eingegriffen haben. Die beiden ausländischen Staatsbürger verfügen über eine legal erteilte Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis und ihre Rechte müssen durchgesetzt werden. Sie sind nicht gewalttätig geworden, sie haben nichts verbrochen und Rumäniens Verfassung, jene an deren Ausarbeitung 1990-1991 auch UDMR-Politiker mitgewirkt haben, verbietet jedwelche Form von Diskriminierung aufgrund von Rasse und ethnischer Herkunft. Dass die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen hat, ist begrüßenswert, denn der Rechtsstaat muss sich auch dort durchsetzen. Und hierzu dürften Staatsanwaltschaft und Gerichte über bessere Mittel verfügen als der ferne Antidiskriminierungsrat in Bukarest, der nun der Auffassung ist, dass vor allem die Arbeitgeber der beiden Männer bestraft werden müssen, weil sie zunächst dem lokalen Druck nachgegeben hatten und diese nicht mehr beschäftigen wollten. Die Möglichkeit, bestraft zu werden, hat sie ihre Entscheidung wieder zurücknehmen lassen.

Man kann den Fall von Ditrău auch anders sehen: Eine Minderheit, die sich seit 100 Jahren bedroht fühlt und die nie ein echtes Zugehörigkeitsgefühl zu Rumänien entwickeln konnte, fühlt sich nun nicht nur von der Mehrheit bedroht, sondern auch von einer potenziellen neuen Minderheit. Die Politik der Angst, die Rhetorik des Hasses tragen schnell Früchte. Und all das schmeckt viel bitterer, wenn man sieht, wo die Fremdenhasser von Ditrău protestiert haben: vor dem Gemeindekulturhaus, welches den Namen des Sándor Körösi Csoma trägt. Der westlichen Welt hat er sehr viel über andere Kulturen gesagt, bei seinen Szekler Landsleuten ist er jedoch nie richtig angekommen.