Die Lebensqualität

Wort zum Sonntag

Unsere materielle Lebensqualität hat sich seit dem Altertum ohnegleichen verbessert. Damals lebte der größte Teil der Menschheit in elenden Holz- und Lehmhütten. Der moderne Mensch wohnt in komfortablen Hochhäusern, die mit Warmwasser, Zentralheizung, elektrischem Strom und Telefonanschluss ausgestattet sind. In den alten Zeiten kochten die Frauen das Essen auf offenen Feuerstellen, heute haben wir den Gas- und Mikrowellenherd. Die alten Römer und Griechen reisten auf dem Rücken des Pferdes oder in primitiven Wagen auf halsbrecherischen Wegen. Wir rasen mit 130 Sachen über die glatte Asphaltstraße. Wollte man alle Arten des Fortschritts aufzählen, kämen wir an kein Ende. Auch der verstockteste Pessimist muss anerkennen: Die materielle Lebensqualität hat im Laufe der Zeit staunenswerte Fortschritte gemacht. Wir sind die Nutznießer dieser Fortschrittsfrüchte.

Es stellt sich nun die Frage: Hat die geistige Lebensqualität, das heißt, die Einsicht über Sinn, Zweck und Ziel des Menschenlebens mit der Entwicklung der materiellen Lebensqualität Schritt gehalten? In der nordafrikanischen Provinz des Römerreiches gab es eine Stadt namens Tingad. Die Bewohner dieser Stadt lebten, von Sorgen unbeschwert, fröhlich in den Tag hinein. Sie genossen das Leben in vollen Zügen. Aber eines Tages zerstörte ein furchtbares Erdbeben die Stadt und begrub ihre Bewohner unter den Trümmern. Seit diesem Unglück wagte sich keiner an den Wiederaufbau. Als man in neuester Zeit durch Ausgrabungen Teile der Ruinenstadt freilegte, fand man an einer Hauswand die unversehrte Inschrift: „Venari, lavari, riders, ludere: hoc est vivere!“ Auf Deutsch: Jagen, Baden, Lachen, Spielen: Das heißt Leben!“

Das war die Lebensauffassung der Heiden des Altertums. Auf einen kurzen Nenner gebracht: „Nur hinein ins Vergnügen!“ Seit jener Zeit sind über zwei Jahrtausende vergangen. Das Christentum trat seinen Siegeszug über einen großen Teil der Erde an. Es gab dem menschlichen Leben einen neuen Sinn und schuf unübertreffliche geistige Werte. Haben diese geistigen Werte Eingang in die Köpfe und Herzen aller christlich Getaufter Eingang gefunden? Hat sich seit dem Altertum die geistige Lebensqualität in gleichem Maße verbessert wie die materielle Lebensqualität?

Ein D-Zug fuhr durch eine unübersichtliche Landschaft. Die Lokomotive erfasste unversehens ein Pferd, das auf der Linie stand, und zermalmte es. Es kam dadurch zu einem Aufenthalt. Im letzten Waggon des D-Zuges saßen einige Reisende. Sie nahmen diesen Unfall zum Anlass um über den Sinn des Lebens, über Tod und Sterben zu sprechen. Ein reicher Fabrikant meinte großspurig: „Der Tod ist nicht der grausige Sensenmann, wie man ihn oft darstellt, er ist vielmehr der rätselhafte Urgrund allen Lebens. Das Leben selbst ist ein unfassbar herrlicher Abschied von einem rauschenden Schwung. Der Abschluss des Lebens ist das Fest.“ Neben ihm saß ein reich gewordener Müller. Seine Lebensphilosophie lautete kurz und bündig: „Mir ist das Leben wichtiger als sein Abschluss. Unter Leben verstehe ich: Gänsebraten, Schweinerippen und Bier!“ Daneben saß ein Student, der ausrief: „Für mich bedeutet Leben: Lachen, Trinken und Küssen! Ich wette, so lebendig und lustig, wie ich heute bin, werde ich auch noch in zwanzig Jahren sein!“ Während sie ihre Lebensauffassungen austauschten, nahte auf dem Gleis, auf dem ihr Zug stand, von hinten ein Schnellzug. Mit voller Wucht prallte die Lokomotive auf den Waggon, darin die drei Reisenden saßen. Der Waggon wurde zertrümmert und die drei Reisenden gingen, so wie sie waren, mitten in ihrer Debatte über Leben und Sterben, in den Tod.

Bei diesen Menschen hat die geistige Lebensqualität, trotz christlicher Lehre, nicht den geringsten Fortschritt erzielt. Das ist nicht zum Staunen, Christus hat dies im Adventsevangelium vorausgesagt: „Wie es in den Tagen des Noach war, so wird es auch bei der Ankunft des Menschensohnes sein. Wie die Menschen in den Tagen vor der Flut aßen, tranken und heirateten bis zu dem Tag, an dem Noach in die Arche stieg, und nichts ahnten, bis die Flut hereinbrach und alle wegraffte, so wird es auch bei der Ankunft des Menschensohnes sein!“ Sollen diese Worte Christi auch auf uns zutreffen? Das verhüte Gott! Aber dann muss unser Leben eine weit verbesserte geistige Qualität aufweisen als das der Heiden vor zweitausend Jahren oder das der drei Reisenden im D-Zug. Unser Leben muss mehr sein als ein Fressbankett und eine Faschingsnarrheit. Das ist die beste geistige Lebensqualität: Den Adventsweg gehen, der zu Gott führt!