Die Ökologie steht endlich im Vordergrund

ADZ-Gespräch mit Dietmar Gross über das neue Forstgesetz: „Es ist ein Schritt in die richtige Richtung“

Dietmar Gross

Vergangenen Dienstag trat das modifizierte rumänische Forstgesetz „Codul Silvic“ in Kraft. Es gab Veränderungen, für die sich viele NGOs mit Nachdruck eingesetzt hatten. Ist es der langersehnte Sieg für Rumäniens Wälder? Oder nur Kosmetik, wie der WWF entäuscht erklärt, während sich die Bürgerbewegung Declic, Greenpeace und andere positiv äußerten? 
Was hat sich tatsächlich verbessert - wo gibt es noch Mängel und Schlupflöcher? Wie wird sich die Umsetzung in der Realität gestalten? Reflektiert sich irgendwo eine Vision über den Wert des Waldes – etwa als grüne Lunge und Puffer gegen den Klimawandel, als Erholungsraum für den Menschen und Lebensraum für Fauna und Flora, als Schutz vor Erosionen, Überschwemmungen und Unwetter? Oder geht es wieder einmal nur um Holz, Holz, Holz … ? 
Mit diesen Fragen konfrontiert Nina May einen langjährigen Experten in Sachen Wald- und Naturschutz: Dietmar Gross, Träger der Karl-Gayer-Medaille des deutschen BUND Naturschutz, ehemaliger Forstdirektor in Deutschland, der sich jahrelang für eine ökologische Forstwirtschaft einsetzte. Seit seiner Pensionierung 2010 lebt er in Deutsch-Weißkirch/Viscri, setzt sich für den Schutz der rumänischen Urwälder ein und sensibilisiert durch Reisen in die Karpatenwaldregionen inländische und ausländische Experten.

Herr Gross, kurz und bündig: Was halten Sie vom neuen Forstgesetz?

Es ist ein Schritt in die richtige Richtung - wenn auch noch nicht ganz ausreichend, das meint auch der WWF mit seiner Kritik. Perfekt wird es nie sein, es gibt immer etwas nachzubessern; auch z.B. in Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern, das ist aber relativ normal.

Was verbessert wurde und was ich als Umweltschützer und Ökologe positiv sehe, ist die Erkenntnis, den Wald verstärkt als Ökosystem zu betrachten! Die Nutzerbranche, von der ich ebenfalls regelmäßig Informationen erhalte, sieht das natürlich anders… Holzindustrie und Einschlags-Unternehmen jammern, dass die Umwelt-NGOs sich beim geänderten Gesetz durchgesetzt haben.

Was ist die wichtigste Änderung?

Das Wichtigste ist, dass Holzdiebstahl jetzt als Straftat geahndet wird – egal um welche Mengen es geht, es gibt keine Untergrenze. Bisher gab es einen Toleranzbereich: unter fünf Festmetern galt es als Ordnungswidrigkeit und war damit nicht strafbar.

Man merkt auch bereits, wie diese Änderung in der Öffentlichkeit durchdringt, auch auf dem Dorf. Früher wurden vielfach Bretter aus illegalen Einschlägen ohne Schein verkauft, jetzt gibt es eine Hemmschwelle. Es ist eine Straftat nach dem Strafgesetzbuch! Der Fall muss vor Gericht, der Richter entscheidet dann über das Strafmaß: eine Geldstrafe oder Gefängnis zwischen sechs Monaten und einem Jahr. Die einzige Gefahr, die ich dabei sehe, ist, dass Gerichte mit kleineren Fällen überlastet werden könnten.

Neu ist aber auch, dass auch die Annahme und Lagerung von Holz ohne Dokumente ebenfalls illegal und strafbar ist. Die NGOs haben diese Zwischenlager, wo dann Dokumente verändert werden konnten, immer wieder kritisiert.

Gab es keinen Druck seitens der Lobbyisten?

Es gab vermutlich Druck, die sogenannte „Lex Schweighofer“ abzuändern: Bei der letzten Änderung des Forstgesetzes 2015 wurde eingeführt, dass kein Unternehmen mehr als 30 Prozent eines Sortiments – z.B. Fichten Brettware, Eichen Furnierholz, Buchen Stammholz etc. – verwerten darf. Ziel sollte sein, dass kein Betrieb eine Monopolstellung erreicht, kleinere Unternehmen vom Markt verdrängt und die Preise bestimmt. Die Firma Schweighofer ist seinerzeit gerichtlich gegen diese Obergrenze vorgegangen. Man hatte gehofft, dass diese 30-Prozent-Grenze im neuen Gesetz verschwindet, was aber trotz Lobbyarbeit der Großunternehmer nicht geschah. 

Wofür konkret haben die Umwelt-NGOs oder die Bürgervereinigung Declic gekämpft?

Declic hat sich stark dafür eingesetzt, dass Holzverschnitt, Hackschnitzel, Sägespäne etc. auch als Holz gewertet werden und nicht mehr als Graumasse. Da gab es bisher ein Hintertürchen für die Spanplattenindustrie: Das Holz wurde im Wald gehäckselt und zwischengelagert. Die Hersteller bekamen die Ware besonders günstig - sie schreien jetzt am lautesten. Denn jetzt muss auch hierfür ein Nachweis erbracht und eine Transportgenehmigung eingeholt werden.

Auf solche Praktiken ist man auch durch die Forstinventur draufgekommen, die alle sechs Jahre in ganz Europa gemacht wird. Ermittelt werden Holzmassen anhand von Stichproben, die man dann hochrechnet. Und da war die Differenz zwischen dem als eingeschlagen gemeldeten Holz und der tatsächlichen Verlustmasse in Rumänien besonders hoch. Diese Inventuren haben immer eine gewisse Fehlertoleranz. Aber in Rumänien fehlten rund 20 Millionen Festmeter! Ein Teil dieser Differenz war das im Wald verarbeitete Holz, das schwarz herauskam. Dieses Türchen zur Illegalität ist jetzt geschlossen worden. 

Welche Rolle spielt dabei SUMAL, das elektronische System zur Verfolgung von Holz?

SUMAL wurde komplett überarbeitet und per Regierungserlass in Kraft gesetzt. Noch ist es jedoch nicht aktiviert. Es heißt, aus taktischen Gründen wolle man erst die Kommunalwahlen abwarten. Doch wenn es dann endlich umgesetzt wird, ist es eines der besten Systeme in Europa für die Verfolgung von Holz vom Einschlag bis in die verarbeitende Industrie. Es wäre ein Modell – so etwas gibt es in dieser Form nirgends. SUMAL macht den Weg des Holzes transparent. Das war früher anders: Da wurde bewusst verschleiert und man versuchte, Dinge abzuschaffen, die schon unter der Regierung Ciolo{ einge-führt worden waren. Auch SUMAL war bereits eingeführt und wurde von der Regierung Dragnea wieder aus dem Verkehr gezogen.

Es heißt, das neue Gesetz verbietet Kahlschlag in Schutzgebieten und Nationalparks. Ist das so – oder gibt es Hintertürchen? 

Kahlschläge im Wald größer als drei Hektar waren immer schon verboten. Aber wenn dreimal drei Hektar nebeneinanderliegen, sind es neun… In Schutzgebieten und Nationalparks galt bisher die Ein- Hektar-Obergrenze.

Nun ist Kahlschlag in Schutzgebieten generell verboten. Die Umsetzung wird Schwierigkeiten bereiten, denn es gibt immer Ausnahmen. Sturmschäden, Insektenbefall oder so. Da muss man dann genau schauen, ist das real oder nur vorgetäuscht?

Gibt es andere positive Veränderungen für geschützte Gebiete?

Ja, ganz wichtig ist, dass der Managementplan für Natura 2000-Schutzgebiete jetzt auch für die Forstbetriebsplanung verbindlich ist. Für alle Natura 2000- Schutzgebiete europaweit muss es einen solchen Managementplan geben, der nach allgemeinen Richtlinien erstellt wird. Dieser Plan, den die Umweltbehörden erstellen, war aber bisher nicht mit der Forstbetriebsplanung verknüpft, die für jeden staatlichen oder privaten Wald existiert. Wenn es im Natura 2000-Managementplan heißt, dieser Lebensraum oder jene Art hat Priorität – zum Beispiel ein Schluchtwald oder Auwald mit bestimmten Baumkombinationen, der Schreiadler oder die Dobrudscha-Landschildkröte - , dann muss sich der Einschlag daran orientieren. Da gab es bisher im Banater Bergland große Probleme: Managementpläne konnten nicht umgesetzt werden, weil sich die Forstverwaltung immer geweigert hat, diesen zuzustimmen. Diese Möglichkeit haben sie nun nicht mehr.

Und noch eine wichtige Neuigkeit: Bisher waren diese Forstbetriebspläne, die ab 30 Hektar Wald verpflichtend sind, nicht öffentlich. Jetzt können die Pläne nicht mehr unter Verschluss gehalten werden.

Spürt man, dass sich generell etwas ändert in der Betrachtungsweise des Werts der Wälder – oder geht es immer nur um wirtschaftliche Nutzung?

Positiv sehe ich, dass der Wald zunehmend als Erholungsraum betrachtet wird. Bisher zog es zum Beispiel jedes Jahr zahlreiche Offroadfahrer nach Rumänien, weil die Wälder mit Enduros grenzenlos befahrbar waren. Jetzt gibt es eine Priorisierung zugunsten von Wanderern und Radfahrern. Eine deutsche Motorrad-Zeitschrift berichtete bereits, dass es in Rumänien ab 1. September keinen „grenzenlosen Enduro-Spaß“ mehr gibt, dass Kraftfahrzeugen, Motorrädern, Geländefahrzeugen oder Mopeds der Zugang zum nationalen Wald verboten ist, mit Ausnahme von organisierten Sport-, Erholungs- und Tourismusaktivitäten auf Forststraßen oder speziell gekennzeichneten und genehmigten Strecken. Aber: Entscheidend ist auch hier die Kontrolle und Umsetzung, sonst steht es nur auf dem Papier. Trotzdem, man merkt: Hoppla, es wird schwieriger! Man kann nicht mehr planlos überall hin.

Kommen wir zu den Kritikpunkten?

Um das Gute abzuschließen: Es gibt staatliche Zuschüsse für die Verwaltung von Schutzgebieten und für den Einschlag benötigt man jetzt eine verpflichtende Stellungnahme der Umweltbehörde. Im Großen und Ganzen ist der Wille des Gesetzgebers klar: Illegalität abzuschaffen.
Doch kommen wir zu den Problemen: Kontrolle und Umsetzung! Das wird sich in der Praxis beweisen müssen. Das ist auch keine rumänische Spezialität, nur hierzulande ein bisschen schwieriger.

Der WWF kritisiert Bürokratie und träge Verwaltungsstrukturen ...

Ja, die staatliche Forstverwaltung müsste umorganisiert werden. Romsilva hat zu viel Personal aufgebaut und ist uneffizient, die Regelungen ihrer Aufgaben sind zu vage. Auch Ethik muss eine Rolle spielen, etwa im Hinblick auf Involvierung in illegalen Holzverkauf. Die Forstgarde hingegen hat zu wenig Macht und ist zu stark politisch besetzt. Die trauen sich nicht, zu kontrollieren und den Leuten auf die Finger zu hauen. Ich kritisiere immer wieder, dass Schlüsselpositionen in der Verwaltung weniger politisch besetzt werden sollten. 

Was wird von Umweltschutzorganisationen noch bemängelt?

Viele bemängeln, dass kein generelles Einschlagsverbot in Nationalparks verhängt wurde, zumindest in Kerngebieten. Das ist ein Punkt, der nicht berücksichtigt wurde - vergessen oder nicht gewollt. 

Dabei hätte man es leicht machen können, denn es gibt ein EU-weites Ziel, nämlich, dass jedes Land fünf bis zehn Prozent der Wälder aus der Nutzung nehmen soll. Argumente dafür sind der Klimawandel und der Verlust der Biodiversität. 2008 gab es eine Biodiversitätskonferenz in Bonn, dort hat man dieses Ziel formuliert, ohne ein Umsetzungsdatum zu nennen, weil andernfalls Länder wie Brasilien oder in Afrika nicht einsehen, dass man von ihnen den Schutz der Urwälder verlangt und selbst nichts tut. Es ist nicht verbindend, viele Länder sind noch weit davon entfernt. Dieses Ziel wird auch in Rumänien verfehlt - aber man hätte es anpacken können. Denn wenn man Nationalparks ganz aus der Nutzung nimmt, sind das schon rund fünf Prozent.

Was man auch erwartet hätte, ist eine Vision. Wie sieht man die Funktion des Waldes in Zukunft - im Zusammenhang mit dem Klimawandel oder als Erholungsraum, als Wasserspeicher, als Schutzfaktor gegen Erosionen, Unwetter, Überschwemmungen? Das alles hätte man in eine Präambel hineinschreiben können.

Wie ist es um den Schutz der Urwälder bestellt?

Die Urwälder müssten endlich komplett geschützt werden! Das dauert hier alles viel zu lange. Der neue Minister Costel Alexe hat einiges beschleunigt, als er merkte, dass es zu träge läuft. Die Eintragung in den Urwaldkatalog wurde beschleunigt. Es muss aber auf das Tempo gedrückt werden, sonst verlieren wir durch Nutzung weitere wertvolle Urwälder!