Die Suche nach der Familie oder ein Referendum über nichts

Warum man am ersten Oktober-Wochenende lieber zu Hause bleiben soll

Nichts ist den Rumänen so heilig wie die Familie, jeder ehrliche Rumäne wird dieser Meinung sein. Das ist eine Binsenwahrheit in Süd- und Osteuropa. In Italien, Griechenland, Rumänien oder Serbien bleibt die Familie, vor allem in unsicheren Zeiten, das beste Auffangnetz; sie ersetzt den vermaledeiten Staat, bietet Schutz, Unterschlupf und ein warmes Essen. Völlig anders als in West- und Nordeuropa, wo vom tradierten Begriff der Familie nicht mehr viel übrig geblieben ist. Dort gibt es Patchwork-Familien, Alleinerziehende, Homosexuellenehen, eingetragene Partnerschaften und Ähnliches. Das alles, so weiß man hierzulande, stürzt den Westen in die Verdammnis, es verfestigt die Gottlosigkeit einer Welt, der man besser fern bleibt.

In Rumänien hat man es besser: Die Familie besteht notwendigerweise aus Mann und Frau, hinzu kommen unbedingt die Sprösslinge. Die sind hierzulande ebenfalls heilig, wer keine hat, taugt in der Gesellschaft selbstverständlich nicht viel. Dass es nur so und nicht anders sein kann, daran hat die verwitwete und wieder verheiratete PSD-Politikerin Gabriela Firea das Volk erinnert, als sie 2014 Klaus Johannis für untauglich für das höchste Staatsamt erklärt hat, weil er eben keine Kinder gezeugt hat.

Aus diesem und ähnlich regressivem Gedankengut haben sich all jene Verbände und Vereine gespeist, die die merkwürdige „Koalition für die Familie“ gegründet haben und bald die Früchte ihrer Arbeit ernten könnten. In wenigen Wochen dürften die fast 19 Millionen Wahlberechtigten über eine Verfassungsnovelle abstimmen, wonach es in der Verfassung ausdrücklich stehen soll, dass die Familie auf der Heirat zwischen Mann und Frau gegründet ist und nicht auf dem Bund zwischen Eheleuten. Knapp 6 Millionen müssten ihre Stimme abgeben, damit das Referendum für gültig erklärt werden kann. Es könnte wie im Oktober 2003 geschehen, als die damalige PSD-Regierung unter Adrian Năstase das Referendum zur Änderung der Verfassung an zwei Tagen abhalten ließ und die Wahlhelfer den Wählern mit der Urne durch Bahnhöfe und Flughäfen hinterherliefen. Einziger Unterschied: Damals ging es wirklich um Wichtiges, die Verfassung musste EU-konform gestaltet werden, jene Novelle war für den Beitritt zur Europäischen Union essentiell.

Heuer geht es natürlich um eine Belanglosigkeit. Um nichts von Bedeutung, auch wenn die „Koalition für die Familie“ und ihre Unterstützer aus fast allen politischen Lagern dem Volk erklären, dass es für sein Heil, sowohl auf Erden, als auch im Jenseits, unabdingbar sei, dass Artikel 48 der jetzigen Verfassung geändert werde. Dass dort unbedingt zu lesen ist, dass nur ein Mann und eine Frau heiraten können. Keine zwei Männer, keine zwei Frauen. Es sei wichtig, dass das in der Verfassung steht, denn die kann man nur unter restriktiven Bedingungen ändern, während alle anderen untergeordneten Gesetze einfach von der Volksvertretung umgeschrieben werden können. Und wer weiß, sollte irgendwann das Parlament fortschrittlicher (ich meine: „gottloser”) als das gemeine Volk denken, könnte es beschließen, dass auch in Rumänien gleichgeschlechtliche Ehen oder zumindest eingetragene Partnerschaften geschlossen werden dürfen. Das wäre natürlich eine Einbahnstraße für die gemeinsame Fahrt in die Hölle. Und das muss verhindert werden!

Rein rechtlich ist die geplante Ergänzung des Artikels 48 der Verfassung ein vollkommener Unsinn. Sie bringt keinen gesellschaftlichen Nutzen und ist vollkommen bedeutungslos. Der Text, in seiner jetzigen Form, bedarf keiner zusätzlichen Klärung, denn er kann gar nicht anders interpretiert werden, als dass die Ehe nur zwischen Mann und Frau geschlossen werden darf. Dies steht ausdrücklich in mehreren Artikeln des bereits vor sieben Jahren in Kraft getretenen neuen Zivilgesetzbuchs. Diese Paragraphen gab es auch im ehemaligen Familiengesetzbuch aus dem Jahre 1954, die braven Rechtsprofessoren, fast allesamt Männer, die die neue Zivilgesetzgebung verfasst haben, wagten es nicht, an diesen Texten zu rütteln. Der Aufschrei wäre zu groß gewesen und das Parlament hätte dem Gesetz nie zugestimmt. Das wussten die Verfasser, sodass Artikel 258 (4) des Zivilgesetzbuchs vorschreibt, dass in der gesamten Zivilgesetzgebung unter dem Begriff „Eheleute” („soți“) die durch Heirat vereinten Mann und Frau zu verstehen sind („bărbatul și femeia uni]i prin căsătorie“). Artikel 259 (1) definiert sodann die Ehe als den freien Bund zwischen Mann und Frau, der im Einklang mit dem Gesetz geschlossen wurde („Căsătoria este uniunea liber consimțită între un bărbat și o femeie, încheiată în condițiile legii.“). Dann heißt es in Artikel 271, dass die Ehe zwischen Mann und Frau geschlossen wird, aufgrund ihres persönlichen und freien Willens. Schließlich verbietet Artikel 277 (1) die gleichgeschlechtliche Ehe, der Text ist unmissverständlich („Este interzisă căsătoria dintre persoanele de același sex.“). Nur verständlich also, dass das Verfassungsgericht 2016 erklärt hat, dass unter dem im Artikel 48 der Verfassung enthaltenen Begriff „Eheleute” ein Mann und eine Frau zu verstehen sind, die eine Ehe eingegangen sind. Das ist natürlich im Einklang mit dem Willen des Gesetzgebers, der nicht umsonst in vier verschiedenen Artikeln des Zivilgesetzbuchs ein und dasselbe vorgesehen hat, nämlich dass in Rumänien nur zwei Personen verschiedenen Geschlechts heiraten dürfen.

Was bedeutet das alles? In erster Linie, dass es bei der Volksbefragung am ersten Oktober-Wochenende nicht um die Familie geht, der Begriff der Familie wird nicht neu definiert. Laut den geltenden Gesetzen gründet sich die Familie auf die Ehe zwischen Mann und Frau, aber das Gesetz erlaubt auch andere Familienmuster, weil Artikel 26 (1) der Verfassung zumindest vorläufig unangetastet bleibt. Der erlaubt nämlich das Recht auf ein Familienleben und zwingt staatliche Stellen, das Privatleben der Bürger und ihr Recht auf ein Familienleben zu wahren und zu schützen. Denn Familien gibt es auch hierzulande in der Tat vielerlei: wilde Ehen, alleinerziehende Mütter oder Väter, gleichgeschlechtliche Paare usw. Sie alle wird es weiterhin geben und der Staat muss ihr Privatleben schützen. Insofern täuschen sich die treuesten Anhänger der „Koalition für die Familie“, wenn sie glauben, dass ihr Referendum und die Änderung der Verfassung das tradierte Familienbild schützen können und den Homosexuellen in Rumänien ein Recht nehmen würden. Es wird diesen Bürgern kein Recht genommen, eben weil sie ein solches noch nicht besitzen. Aber sie werden weiterhin zusammenleben können, Homosexualität ist keine Straftat.

Gesetze müssen effizient sein. Das heißt, sie müssen Wohlstandseffekte erzeugen. Wenn sie den Wohlstand einer gesellschaftlichen Gruppe reduzieren, dann müssen sie den Wohlstand der anderen Gruppen erhöhen, sodass unterm Strich die gesamte Gesellschaft vorankommt. Wessen materiellen und immateriellen Wohlstand erhöht der neue Text des 48. Verfassungsartikels? Wer wird in Rumänien nach dem 7. Oktober ein besseres Leben führen, wer wird glücklicher und zufriedener? Wird die alarmierende häusliche Gewalt in Rumänien zurückgehen? Wird es weniger Opfer unter Frauen und Kindern geben? Oder vielleicht weniger Homosexuelle, wie es sich so mancher unter den Wirrköpfen wünscht, die derzeit jedem erklären, wie wichtig es sei, dass hierzulande Männer nur Frauen und Frauen nur Männer heiraten dürfen?

Nichts von alldem wird geschehen. Dass drei Millionen Bürger der Meinung sind, dass ihr Leben besser wird, wenn drei Wörter in der Verfassung umgeschrieben werden, kann nicht geleugnet werden, es ist ihr demokratisches Recht, eine Verfassungsnovelle zu fordern. Und sollte die Mindestbeteiligung bei der Volksbefragung erreicht werden, wird das rumänische Grundgesetz auch entsprechend geändert werden. Der Regierungskoalition und ihren Unterstützern aus der Orthodoxen Kirche, den kirchennahen Vereinen und den hysterischen, teilweise irregeleiteten, teilweise selbst manipulierenden Medien gelingt es wieder einmal, die Aufmerksamkeit der Bürger umzulenken, sie zu zwingen, sich auf ein Thema zu konzentrieren, das keines ist, und darüber endlose Debatten zu führen, die einer aufgeklärten Gesellschaft unwürdig sind.

Die Verankerung der Mann-Frau-Ehe in der Verfassung löst kein reales Problem. Vielmehr schürt sie tiefe Ressentiments gegen eine gesellschaftliche Minderheit, erlaubt einer stockkonservativen, nationalistisch-orthodox gefärbten, intolerant-aggressiven Truppe, den öffentlichen Diskurs zu bestimmen und der Regierungskoalition, deren Spitzen Liviu Dragnea und Călin Popescu Tăriceanu „wahre“ Modelle des traditionellen Familienlebens sind, die Gesellschaft von der echten Problematik abzulenken. Das Land bleibt somit dort, wo es hingehört, es rudert zurück gerade dann, wenn es dringender denn je ist, auf einem wenigstens halbwegs mit zeitgemäßen westlichen Werten vereinbarten Kurs zu bleiben. Deshalb müsste sich am ersten Oktober-Wochenende jeder vernünftige, aufgeklärte und tolerant gesinnte Bürger eine cleverere Beschäftigung suchen und den Weg in die Wahllokale meiden.