Die Trianon-Wunde

„Le grand remplacement“ (etwa: „Das große Ersetzen“, erschienen 2011) betitelte der französische Rechtsextreme Renaud Camus ein Buch, das den Verdacht der rechtsextremen Christen an heutige Zeiten anpasst. Eine der Wurzeln des Judenhasses der Christen ist die Behauptung, die Juden wollten die Christen verdrängen („ersetzen“). Die moderne Variante der „Theorie des Ersetzens” (eine Variante „des jüdischen Komplotts“): Muslime und Nichtchristen verfolgten in einem globalen Kontext das Verdrängen/Ersetzen der Christen. Der anti-mohammedanische Geist wird ausgereizt, ein anti-arabischer Rassismus gefördert. Andrerseits züngelt damit auch der alte Rassenhass, der anti-afroamerikanische Rassismus, der aus dem Mittelalter herübergeholte Hass auf die Tsiganos, die Fremden. Das „Große Ersetzen“ kann alles begründen und schüren. Die Grundlage dazu liefert ein „atavistischer Rassismus“: die Hautfarbe und die ethnisch-religiöse Zugehörigkeit reichen aus, um eine Gruppenzugehörigkeit zu definieren – und zu ächten.

Hier sind wir, dort sind die anderen. Die anderen sind ab initio schlecht und unsere Feinde.
Eine solche Art Ethno-Primitivismus predigt Viktor Orbán schon seit geraumer Zeit. Die Rassismusexplosion, die er im szeklerischen Gyergyóditró/Ditr²u anlässlich der Anwesenheit zweier dunkelhäutiger Arbeitsmigranten (einer von ihnen ein Christ) ausgelöst hat, hat „natürlich“ auch mit dem verhassten George Soros zu tun (in seinen Freitagsinterviews für Radio Kossuth behauptete Orbán – wie üblich: ohne Beweis – am 31. Januar 2020, das „Netzwerk Soros“ stecke hinter der Organisation der Migrationsbewegungen auf dem Balkan). Orbán hat absolut keine Zurückhaltung, mit seinen Behauptungen im Sinne der Illiberalität auch weiterzugehen: „In Westeuropa haben sich die großen europäischen Nationen in Immigrationsländer umgewandelt“, behauptete er 2018 in einer Rede an die (magyarische) Nation. „Die Transformation der kulturellen Grundlagen, die Schrumpfung der Bevölkerung christlicher Kultur, die Islamisierung der großen Städte schreiten mit Riesenschritten voran und, ich gestehe, ich sehe diejenigen politischen Kräfte nicht, die diesen Prozess stoppen, ja umkehren könnten. In meinen Augen spielt es keine Rolle, ob die Schwäche der liberalen Demokratien daran schuld ist, ob es um ein Erwachen der Kolonialvergangenheit oder des Sklaventums geht, oder ob es sich um Schwächen und die Gier des Imperiums des George Soros handelt. Fakten sind Fakten. Egal welches der Hauptgrund ist, Westeuropa ist zu einem Immigrationsraum geworden, ein Raum gemischter Bevölkerungen. Westeuropa bewegt sich direkt auf eine Zukunft zu, die eine radikal neue Entwicklung verfolgt, die sich grundlegend von jener Mitteleuropas unterscheidet.“ So absurd es auch klingen mag – Orbán gibt in jener Rede vom 18. Februar 2018 zu: „Das, was uns heute am stärksten bedroht, ist das Abendland.“

Es ist bekannt, dass die Ungarn Rumäniens mit sturem Blick auf Budapest leben. Ich kenne aber auch viele Rumäniendeutsche, die Ungarisch verstehen und auch nur bis Budapest nach Westen zu schielen vermögen. Die sich den radikal-illiberalen Theorien Viktor Orbáns ausliefern. Der Rassismus, der sich im szeklerischen Gyergyóditró/Ditrău gegen die beiden Bäckereiangestellten aus Sri Lanka entlud und der – auch das muss deutlich gesagt sein! – einen römisch-katholischen Pfarrer zu seinen Wortführern gezählt hat (das ging aus den Medienberichten hervor), hat seine Begründungen in propagandistischen Behauptungen wie den oben genannten.
Das Schüren der Angst vor „Fremden und Überfremdung“ ist nicht neu. Ebenso wenig das „Große Ersetzen“. Ungarn ist stolz, seine Festung des Christentums um jeden Preis zu verteidigen. Und seine „ethnische Homogenität“. Ab da wird´s problematisch. Denn die bezieht sich auf Großungarn. Die Trianon-Wunde blutet immer noch.