Die Verantwortung junger Beamter in einer von Korruption geprägten Justiz

Rehabilitationschancen des Rechtswesens zeigten sich in der Schlussveranstaltung des Astra Film Festivals

„Beamte einer Anstalt des öffentlichen Rechts, die bei Rot über die Ampel fahren – so etwas gibt es, glaube ich, nur in Rumänien. Hoffentlich ändert sich das bald!“, gab Bürgerrechtler Ciprian Ciocan am Sonntagabend des 20. Oktober im Thaliasaal Hermannstadt frei von der Leber weg zu bedenken. Dem Geschäftsführer der Fundația Comunitară Sibiu (FCS) war die Moderation des Publikumsgesprächs im Anschluss an die Ausstrahlung des Dokumentarfilms „Oamenii dreptății în dialog cu Liana Alexandru“ am Finaltag des einwöchigen Astra Film Festivals (AFF) 2019 aufgetragen worden. Iulia Georgescu, Notarin aus Curtea de Argeș, Theodor Ioniță, Polizeibeamter, und Georgiana Doroftei, Richterin des Hermannstädter Amtsgerichts, nahmen auf der Bühne vor der Filmleinwand Platz , bezogen Stellung zu den Fragen des herausfordernd auftretenden Moderators und gaben Aufschluss über ihren beruflichen wie privaten Alltag als junge Berufstätige der Altersstufe 22 bis 35 Jahre im rechtlichen Bereich Rumäniens. Sie erhalten dabei seit zehn Jahren Unterstützung durch das Projekt „Leaders for Justice“ der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. (KAS, Stiftung der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands, CDU).

Aktuell zählt die Projektgemeinschaft zwecks gegenseitiger Unterstützung 85 Rechtsanwälte, Staatsanwälte, Richter, Rechtsberater, Steuerberater, Notare, Diplomaten, Polizeibeamte, Universitätsdozenten und Studierende des Rechtswesens. Ihre Fotos und jeweiligen Tätigkeitsbereiche sind auf der Homepage www.lideripentrujustitie.ro einsehbar. Dreizehn von ihnen wurden am 12. und 13. Januar 2019 von der Journalistin Liana Alexandru, Absolventin der Universität Bukarest und von 2010 bis 2018 Sprecherin der 19.00-Uhr-Abendnachrichten des Fernsehkanals Digi24, vor laufender Kamera der Manifest Film SRL in einer Bukarester Nobelvilla als Drehort interviewt. Die Premiere des 55 Minuten dauernden Streifens von Regisseurin Monica Lăzurean Gorgan und Produktionsleiter Andrei Gorgan war am 3. Juni 2019 im hauptstädtischen Muzeul National al Țăranului Român (Museum des rumänischen Bauern) erfolgt.

Auf der Filmleinwand erscheint der räumliche Hintergrund als staubfreie Bühne, die aus nur zwei verschiedenen Winkeln ausgeleuchtet wird. Gesprächsleiterin und Antwortende sitzen sich an einem gläsernen Tischchen gegenüber und sprechen jeweils frontal in die Kamera. Nach wenigen Minuten Spieldauer wird die Kulisse irrelevant: Was ab jetzt zählt, sind alleine die Statements der Befragten. Mit Ausnahme der in Hermannstadt tätigen Richterin Georgiana Doroftei sind die Gäste des eingangs erwähnten Publikumsgespräches am letzten Abend des diesjährigen Astra Film Festivals auch Akteure des Filmes. Dieser endet mit der Frage an die Nachwuchsbeamten, ob sie sich am Steuer den Straßenverkehrsgesetzen beugen oder etwa doch ab und an von der Polizei auf frischer Tat ertappt und ordnungsgemäß sanktioniert werden. Alle Befragten geben zu, stets an der Obergrenze von Geschwindigkeit und Stress durch die Stadt zu kurven. Der Polizeibeamte Theodor Ioni]² räumt ein, mehrmals von Kollegen aufgehalten und gar mit temporärem Führerschein-Entzug bestraft worden zu sein. Nach der Hermannstädter Filmvorführung sind er und seine Mitrednerinnen sich einig: Was sie selbst betrifft, ist der Verdacht der Selbstbegünstigung unbegründet: „Die Sonderstaatsanwaltschaft für Justizstraftaten hätte es nicht gebraucht. Sämtliche bereits existierenden Strukturen sind ausreichend“, so die Perspektive der jungen Rechtsexperten auf die berüchtigte „secție specială“ (Secția pentru Investigarea Infracțiunilor din Justiție, SIIJ).

Rumänien und moralische Integrität der Beamten wie einfachen Leute ergeben derzeit noch nicht jenes Tandem, das man gerne aus der Wunschzukunft in die Gegenwart verpflanzen würde. Im EU-Mitgliedsstaat mit der Hauptstadt Bukarest geht nichts ohne den Schutzschild namens Misstrauen. Es ist hartnäckiges Unkraut der Gesellschaft, wuchert leider in blühender Symbiose mit Korruption und wird noch immer vielerorts gerne ausgestreut. Wer sich erdreistet, es eifrig jäten zu wollen, wird früher oder später von Widersachern umzingelt. Theodor Ioniță weiß genau, dass er selbst auf einer niedrigen Ebene der Staatspolizei beschäftigt ist und nicht zu den höhergestellten Beamten zählt, die von Amts wegen zu direkter Kommunikation mit Urhebern politischer Einmischung verdammt sind und sich, ganz im Sinne einer für Rumänien typischen Bequemlichkeit, gerne widerstandslos in die Unterwürfigkeit fügen. Dennoch oder genau deswegen artikuliert er deutlich, dass die „traurigen und bedauerlichen“ Geschehnisse vom 10. August 2018 „mit Leichtigkeit hätten verhindert werden können“. Ein Karrierestarter, der sich über langfristige Fehlentwicklungen im Klaren ist: „Zeitgleich mit Gehaltskürzungen um das Jahr 2010 entdeckte die Gesellschaft ihre Vorliebe für Protestdemonstrationen. Folglich bildete sich unter Polizeibeamten bald die Meinung heraus, dass Protestierende zwangsläufig als Feinde einzustufen seien“, so Theodor Ioniță im Hermannstädter Thaliasaal.

Um den bürgerlichen Gemeinschaftssinn ist es in Rumänien nach wie vor schlecht bestellt, weil viel zu wenig gegenseitiges Vertrauen existiert. Wie verhalten sich junge Beamte der Anstalten öffentlichen Rechts im privaten Alltag? Arbeiten sie außerhalb ihrer Bürozeiten daran, kulturell tief eingegrabenes Misstrauen abzubauen? Dokumentarfilm-Protagonistin Arina Corsei Vultureanu, 30 Jahre alt, ist detektivische Staatsanwältin („procuror de urmărire“) des Amtsgerichts im 3. Bezirk Bukarests und Mutter zweier kleiner Kinder. Vor der aktuellen Kulisse Rumäniens würde eine junge Frau ihre Schützlinge wahrscheinlich zu überhöhter Vorsicht erziehen. Nicht so aber die Staatsanwältin mit türkisblauem Brillenrahmen, deren authentisches Porträt in der Ausgabe Nr. 36 der Zeitschrift „DOR“ (Decât o revistă, Sommer 2019) erlesen werden kann: „Ich mag es, meine Kinder in einer Atmosphäre von Sicherheit und Freiheit statt Misstrauen großzuziehen“.

Nicht jede junge Juristin zeigt Mut vor der Filmkamera. Alexandra Carmen Lăncrănjan, Jahrgang 1984, Beamtin der Antikorruptionsbehörde DNA und in der Teldrum-Affäre des seit 27. Mai 2019 in Haft sitzenden Ex-Parteivorsitzenden Liviu Dragnea ermittelnde Staatsanwältin, verneint die Frage nach etwaigem politischen Druck an ihrem Arbeitsplatz. Für informierte Medienkonsumenten ist das nicht nachvollziehbar, wurde doch Alexandra Carmen Lăncrănjan im September 2019 von der geschmähten „secția specială“ angezeigt.

Der Wortschatz juristischer Fachsprache unterscheidet zwischen „adevăr faptic“ (Wahrheit der Tatsachen) und „adevăr juridic“ (rechtliche Wahrheit, die auf Beweisen fußt). „Was nicht bewiesen werden kann, existiert nicht“, so der Grundsatz an rumänischen Gerichtshöfen. Unpassend für einen Staat wie Rumänien, wo Moral im öffentlichen Raum eher gebrandmarkt denn in Ehren gehalten wird. Obwohl Liviu Dragnea seit mehr als fünf Monaten einsitzt und sein Haftantritt ein Exempel statuieren sollte, grassiert weiterhin laxe Unverfrorenheit. Rechtsanwälte auf Klägerseite finden die Konjunktur vielleicht sogar vorteilhaft, da ihnen vor Gericht Parteilichkeit erlaubt ist. Staatsanwälte hingegen unterstehen der Unparteilichkeit und geraten leicht in das Dilemma, die im Ermitteln beiderseitiger Beweislast gebotene Äquidistanz zu missachten. Schwindende Unterschiede zwischen Anwalt und Staatsanwalt sind kein guter Indikator für Rechtsstaatlichkeit.

Doch genau hier ist das Verantwortungsbewusstsein junger Rechtsbeamter Rumäniens gefordert. Von altgedienten Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst ist wohl kein Umschwenken mehr zu erwarten. Die Rückführung des Staates in die Moralität ist Aufgabe der jungen Generation. Wird es ihr gelingen, eine dauerhafte Kursänderung herbeizuführen, oder wird auch sie dem kulturellen Sog von Korruption erliegen, der in Rumänien institutionelle Züge trägt? Derzeit geben sich die Darsteller des Films „Oamenii dreptății în dialog cu Liana Alexandru“ unbestechlich. Auf der Projektgemeinschaft „Lideri pentru Justiție“ lastet die Bringschuld, das Land ins rechte Lot zu rücken. Knickt sie ein, wird Rumänien sein kulturelles Handicap auch während der nächsten dreißig Jahre nicht überwinden.

„Work in progress“ antwortet Arina Corsei Vultureanu auf die Frage, wie die Justiz Rumäniens beschrieben werden könnte. Offensichtlich versuchen etliche junge Rechtsbeamte, die Entwicklung in gesunde Bahnen zu lenken. Aber auch die integre Nachwuchsriege von Polizisten, Richtern und Staatsanwälten speist sich aus einer moralisch kranken Gesellschaft und droht an hartnäckigem Widerstand zu scheitern. Es ist an der Zeit, resistente Keime der Vergangenheit unter die Lupe zu nehmen und ihnen ab sofort den überaus toleranten Nährboden zu entziehen. Disziplinarische Selbstkritik mag vielen Bediensteten ein Dorn im Auge sein, aber ohne Veränderung von innen heraus wird sich niemals die internationale Anerkennung Rumäniens einstellen, werden Korruption und bei Rot über die Ampel fahrende Beamte der Anstalten öffentlichen Rechts nicht Klischee, sondern Realität bleiben.