Die vergessene Geschichte der ersten Blütezeit des Elektroautomobils

Ein historisches Porträt

Ein Elektroauto des Herstellers Detroit Electric beim Aufladen (1919). | Fotos: Creative Commons Wikipedia

Abbildung des elektrischen Dreirads von Gustave Trouvé, aus dem Jahr 1881

Nachbau eines Flocken-Elektrowagens aus dem Jahre 1888

Pferdewagen dominierten das Straßenbild um 1900 in der Mulberry Street in New York City.

Die Diskussionen um die Mobilität der Zukunft in Zeiten der angestrebten Klimaneutralität sind aktueller denn je. Elektrisch angetriebene Fahrzeuge, allen voran das Elektroauto, sollen dabei Vorreiter sein. Die Verkaufszahlen von E-Autos steigen kontinuierlich. Sie sind im Trend. Elektroautos wirken modern und innovativ auf uns, tatsächlich waren sie jedoch schon vor etwa 130 Jahren Statussymbole und erlebten ihre erste Blütezeit.

Das Dilemma mit den Pferden 

Ist heute die angestrebte Klimaneutralität einer der Hauptbeschleuniger der Weiterentwicklung der Elektromobilität, so war dies im 19. Jahrhundert die Überlastung der Städte mit Pferdewägen und -kutschen und die damit verbundenen negativen Folgen. In den 1890er Jahren standen die größten Städte der westlichen Welt vor einem wachsenden Problem. Pferdefuhrwerke waren seit Tausenden von Jahren im Einsatz und aus ihrem Leben nicht mehr wegzudenken. Doch als die Anzahl solcher Fahrzeuge im 19. Jahrhundert zunahm, wurden die Nachteile des Einsatzes von Pferden in dicht besiedelten Städten immer deutlicher. Insbesondere die Ansammlung von Pferdekot auf den Straßen und der damit verbundene Gestank waren nicht mehr zeitgemäß. Starke Regen verwandelten die Straßen zudem oft in Matschfelder, die dadurch unpassierbar wurden. In den 1890er Jahren arbeiteten etwa 300.000 Pferde auf den Straßen von London und mehr als 150.000 in New York. Jedes dieser Pferde war durchschnittlich für zehn Kilogramm Kot und etwa einen Liter Urin pro Tag verantwortlich. Das Sammeln und Entfernen von Tausenden Tonnen Kot aus Ställen und Straßen erwies sich als zunehmend schwierig. Die Abhängigkeit vom Pferd als Nutztier hatte sich trotz der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert nicht maßgeblich verringert. Zwischen 1870 und 1900 wuchs die Zahl der Pferde in amerikanischen Städten um das Vierfache, während sich die menschliche Bevölkerung lediglich verdoppelte. Um die Jahrhundertwende kam in Großbritannien auf zehn Einwohner ein Pferd und in den USA auf vier. Die Bereitstellung von Heu und Hafer für Pferde erforderte riesige Ackerflächen, wodurch der verfügbare Platz für den Anbau von Nahrungsmitteln für die Menschen verringert wurde. Die Ernährung der 20 Millionen Pferde der USA erforderte ein Drittel der gesamten Anbaufläche, während die 3,5 Millionen Pferde Großbritanniens lange Zeit auf importiertes Futter angewiesen waren. Das Pferd in seiner Funktion als Lastentier wurde zum Dilemma. Pferde waren sowohl unverzichtbar als auch unhaltbar geworden. Für die Befürworter einer neu aufkommenden Technologie schien die Lösung offensichtlich. Das Pferd als Lastentier abzuschaffen und es durch selbstfahrende Motorfahrzeuge zu ersetzen, die damals als Kutschen ohne Pferdeantrieb bekannt waren. Ein Großteil der frühen Begeisterung für das Automobil basierte auf dem Versprechen, die mit Pferdekutschen verbundenen Probleme zu lösen. Der Lärm der Kutschen, Verkehrstaus sowie Unfälle sollten reduziert werden und aus dem Stadtbild verschwinden. Dass Automobile in jedem dieser Punkte letztlich versagten, wurde damals toleriert, weil sie so viele andere Vorteile boten. In erster Linie die Beseitigung der Umweltverschmutzung durch den Pferdemist.

Elektrische Automobile werden salonfähig

Erste elektrisch angetriebene Karren entstanden in den 1830er Jahren. Der schottische Erfinder Robert Anderson baute sein erstes Modell zwischen 1832 und 1839. Diesem Karren fehlte jedoch noch die Alltagstauglichkeit, da sich die Batterien noch nicht aufladen ließen. Erst in den folgenden Jahrzehnten entwickelten sich die Batterien soweit, dass sie aufladbar wurden. Elektrisch angetriebene Wagen wurden so auch in ihrer Nutzung praktikabler. Sowohl auf dem amerikanischen als auch auf dem europäischen Kontinent tüftelten Erfinder an verbesserten, elektrisch angetriebenen Fortbewegungsmitteln. 1881 stellte der Franzose Gustave Trouvé auf der Internationalen Elektrizitätsausstellung in Paris ein elektrisches Dreirad vor. Es gilt als das erste Elektrofahrzeug, das der breiten Öffentlichkeit präsentiert wurde. Das erste bekannte deutsche Elektrofahrzeug wurde 1888 von der Coburger Maschinenfabrik A. Flocken gebaut. In den 1890ern meldete der Chemiker William Morrison in Des Moines/USA ein Patent für einen elektrischen Wagen an, den er wahrscheinlich bereits 1887 konstruiert hatte. Sein Modell verfügte über einen Vorderantrieb und eine Leistung von vier PS. Es kam zudem auf eine Geschwindigkeit von 20 Meilen pro Stunde. Im Wagen waren 24 Batteriezellen verbaut, die alle 50 Meilen geladen werden mussten. Auf der 1893 in Chicago stattfindenden Weltausstellung war dieses Modell eine Sensation. Obwohl sich Morrison eigentlich mehr für Batterien interessierte, hatte er mit seiner Entwicklung das Innovationsfieber weiterer Entwickler entfacht. In den folgenden Jahren wurden sowohl in Amerika als auch in Europa weitere elektrisch angetriebene Fahrzeuge entwickelt. Mit der zunehmenden Innovation entstanden mehr Unternehmen, die sich der Produktion von Elektroautomobilen widmeten. Schon 1897 war das meistverkaufte Auto in den USA ein Elektrofahrzeug. Es handelte sich dabei um das Modell „Columbia Motor Carriage“ der Pope Manufacturing Company. Elektrische Modelle verkauften sich besser als Dampf- und Benzinfahrzeuge, die sich ebenfalls parallel etabliert hatten. Bis 1900 hatte der Verkauf von Dampffahrzeugen einen knappen Vorsprung. In diesem Jahr wurden 1681 Dampffahrzeuge, 1575 Elektrofahrzeuge und 936 Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor verkauft. Anfang des 20. Jahrhunderts waren etwa 34.000 Elektrofahrzeuge in den USA registriert. Die Popularität des Elektroautos sorgte dafür, dass es in einigen amerikanischen Metropolen bereits ganze Taxiflotten gab, die auf die elektrische Antriebstechnik setzten. Das batteriebetriebene Fahrzeug hatte sich durchgesetzt und war salonfähig geworden.

Frauen als neue Käuferschicht

Mit der zunehmenden Popularität der elektrischen Fahrzeuge gelangten auch Frauen, vor allem aus den oberen gesellschaftlichen Schichten, schnell in das Kundenvisier der zahlreichen Hersteller. Aufgrund der Eigenschaften der Fahrzeuge galten sie besonders geeignet für Frauen. Die oft auf 100 Meilen limitierte Reichweite der Autos eignete sich für kürzere Ausflüge. Frauen waren damit unabhängig, aber eben auch nicht zu sehr. In einer immer noch von Männern dominierten Gesellschaft ein wichtiger Faktor. Ebenso gestaltete sich das Fahren und die Handhabung dieser Modelle als besonders einfach und verlangten der Fahrerin weniger mechanisches Wissen ab. Der leisere Motor sowie das Fehlen von stinkenden Abgasen machte das Elektroauto für Frauen darüber hinaus attraktiver. Das Elektroauto etablierte sich somit Anfang des letzten Jahrhunderts auch als „Frauenauto“. Die beiden Hersteller Detroit Electric und Waverley Electric entwickelten 1912 Elektromodelle, die sich vor allem den Bedürfnissen von Frauen widmeten, obwohl die Anzahl der fahrenden Frauen prozentual gering war. 1914 waren beispielsweise nur 15 Prozent aller Autofahrer in Los Angeles Frauen.

Niedergang und Ablösung durch den Verbrennungsmotor

1912 erreichte die Produktion von Elektrofahrzeugen ihren Höhepunkt. Der Hersteller Fritchle hatte zwischen 1909 und 1914 jährlich 198 Autos produziert. Angesichts der zunehmenden Erfolge der Elektromobilität sollte eigentlich anzunehmen sein, dass sich diese Technologie zur damaligen Zeit weiter etablierte und der Siegeszug des Elektroautomobils unaufhaltsam war. Doch der Aufschwung schwächte sich wieder ab. Die Gründe dafür waren vielfältig: Die Benzinmotoren übernahmen mit der Zeit die Führungsrolle und punkteten mit entsprechenden Vorteilen. Sie verfügten über einen Anlasser, der das Starten deutlich einfacher gestaltete, während für die Elektrofahrzeuge stets ein Ankurbeln nötig war. Doch nicht nur das gab den Ausschlag, sondern vor allem auch die Reichweite. Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor schafften deutlich längere Strecken, wobei die elektrisch angetriebenen Wagen häufiger geladen werden mussten. Darüber hinaus galten ihre Akkus nach der allgemeinen Auffassung als hochsensibel. Nicht zu vergessen ist die Tatsache, dass Öl zu dieser Zeit besonders erschwinglich und zugänglich wurde. Des Weiteren boten die Modelle mit Verbrennungsmotor mehr Leistung, was vor allem bei zunehmender Popularität der Automobile auch wichtig für die Käufer wurde. Hinzu kam, dass durch die von Henry Ford revolutionierte Fließbandfertigung von Automobilen mit Verbrennungsmotor deutlich günstiger produziert werden konnten. Der Verbrenner war nun auch für die breitere Gesellschaft erschwinglicher geworden. 1912 kostete ein Modell mit Benzinmotor etwa 650 US-Dollar, während ein elektrisch betriebenes Automobil um die 1750 US-Dollar kostete. Während des sogenannten „Zeitalters des Automobils“ von 1896 bis 1930 existierten allein in den USA etwa 1800 Automobilhersteller. All diese Faktoren führten letztlich dazu, dass die einst so populären Elektroautos allmählich weniger wurden. Die Verbrennungsmotoren hatten ihre elektrischen Pendants spätestens in den 1920er Jahren abgelöst und verdrängte diese aus dem Straßenbild. Die erste Blütezeit des Elektroautos hatte damit ein jähes Ende gefunden. Erst nach mehreren Jahrzehnten erlebte das E-Auto ab den 1990ern eine Renaissance.