Die Zaren und der „Zar“

Randbemerkungen

Als „Zar“ Putin sein Büro im Sankt Petersburger Smolnyi-Palast hatte und Viezebürgermeister seiner Geburtsstadt war, hing dort ein Porträt Zar Peters I., (1672-1725), des brachialen Reformators Russlands (hochinteressant, den Roman Alexej Tolstojs heute wiederzulesen). Auch um 2000, als Putin bereits seine Dauerinstallierung im Kreml zementierte, gehörte ein Porträt des Zaren, Kaisers und Reformators zum Bürodekor bei Putin. Dazugekommen war Zar Nikolaus I. (1796–1855), der brutale Unterdrücker der Dezembristenbewegung und Auslöser des Krimkriegs von 1853 (der erste fotografisch dokumentierte Krieg...), der für Russland katastrophal endete (etwa wie der am 24. Februar ausgelöste Blitzkrieg Putins...). 2017 war „Zar“ Putin anwesend bei der Enthüllung der Statue von Zar Alexander III. (1845–1894) auf der Krim. Der Möchtegern-Zar lobte den Zaren, dass dieser ein „Befrieder“ gewesen sei: In den 13 Jahren seiner Herrschaft habe Russland an keinem Krieg teilgenommen, auch, weil der Zar „ein Staatsmann und Patriot“, ein Mensch „von höchstem persönlichem Verantwortungsbewusstsein für das Schicksal des Landes“ gewesen sei. Dieser Zar wurde bekannt für seine unnachgiebige Russifizierungspolitik der Ränder des Reichs: „Russland – für die Russen, auf russisch!“ war die Devise dessen, der alle Anhänger des „hinterlistigen Liberalismus“ aus seiner Entourage entfernte. „Geschichtefan“ Putin nannte das: „Beginn der nationalen Renaissance“. Von da und bis zur „nationalen Diktatur“, von der einer von Putins Lieblingsphilosophen, Iwan Iljin (1883–1954), spricht, ist es ja nicht allzu weit.

Am 8. März, in vollem Ukrainekrieg-Desaster und während die ersten Meldungen über die Gräueltaten der russischen Muschik-Soldateska bekannt wurden, bequemte sich „Zar“ Putin zu Lobpreisungen der Zarin/Kaiserin Katharina II. (1729–1796), deren Statue im Kreml steht, der Kaiserin der russischen Aufklärungszeit, einer Kennerin von Voltaire und Montesquieu. Während ihrer Herrschaftszeit hat Russland erstmals die Krim besetzt (1783) sowie am rechten Ufer des Dnjestr die Ukraine, und ebenfalls in jener Zeit fand die Dreiteilung Polens statt, unter nationalistischen Polen heute noch eine offene Wunde. Fakt ist, dass der „Geschichtefan“ Putin  alle Zaren und Kaiser Russlands schätzt, die für die historische Untermauerung seiner heutigen „Russki Mir“ Brauchbares geliefert haben. Katharina II. hatte beispielsweise 1793, nach der Besetzung des ukrainischen rechten Dnjestr-Ufers, sich eine Medaille bestellt mit der Inschrift „Ich habe wiedererlangt, was mir genommen wurde“. Aus dieser Richtung scheint Putins Ziel geboren zu sein, die „alten russischen Gebiete“ wieder zu vereinen und große Teile der zu Beginn der 1990er Jahre zersplitterten „Russki Mir“ „heimzuholen“ (da sind wir dann in unmittelbarer Nähe der Nazi-Propaganda ums Sudetenland oder von Aktionen wie „Heim ins Reich“ – und man fragt sich allen Ernstes, wo denn jetzt die „Entnazifizierung“ wirklich nötig wäre, die der Autokrator so gern zitiert...

Als Putin 2016 dem kürzlich verstorbenen Politclown Wladimir Schirinowski den „Verdienstorden fürs Vaterland“ verlieh, sang dieser ihm zum Dank in der Zeremonie die Zarenhymne „Gott schütze den Zaren!“ Vielleicht wünscht sich Putin tatsächlich einen Beinamen – wie alle Zaren ihn hatten. Etwa: „Wladimir, der Wiedervereiniger aller Russen“? Oder: „Wladimir, der Neugründer der Sowjetunion“?

„Bei uns unterdrückt eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung wahrhaftig eine kleine Minderheit“, schreibt der Dissident Sinowjew in „L´avenir radieux“: „Wahr ist, dass dieses Vorgehen zur Selbstunterdrückung der Mehrheit führt, indem sie zulässt, durch den Dreck gewälzt zu werden, nach Lust und Gutdünken / ihres Führers...“

Sinowjews „überwältigende Mehrheit“ steht hinter „Zar“ Wladimir.