„Dieser Humor ist wichtig für ein Volk, das doch eine sehr schwere Geschichte zu bewältigen hatte“

ADZ-Gespräch mit dem Konsul der Bundesrepublik Deutschland in Temeswar, Ralf Krautkrämer (II

Ein Stück der Berliner Mauer steht seit einigen Jahren im Hof der Gedenkstätte der rumänischen Revolution von 1989. Foto: Zoltán Pázmány

Unter dem Titel „30 Jahre seit dem Fall der Berliner Mauer“ veröffentlichte die ADZ gestern den ersten Teil eines Interviews, das ADZ-Redakteurin Raluca Nelepcu mit dem Konsul der Bundesrepublik Deutschland in Temeswar, Ralf Krautkrämer, führte. Es folgt anschließend der letzte Teil.

Einen Monat nach dem Mauerfall, im Dezember 1989, fand auch in Rumänien die Revolution statt. Es war eine blutige Revolution und keine friedliche, wie in Deutschland. Was meldeten damals die Berichte in Deutschland, wie stand man in Deutschland diesem Thema gegenüber?
Ich kann mich entsinnen. Die Fernsehbilder aus Rumänien kamen gerade in der Vorweihnachtszeit in unsere Wohnstuben. Man war natürlich in diesem „wind of change“ drin und sagte, jetzt geht es eben einen Schritt weiter nach Rumänien. Ein Bild, das mich damals ganz stark beeindruckt hat, war, dass damals die Rumänen das kommunistische Symbol aus ihrer Flagge ausgeschnitten haben und praktisch damit ein Symbol für ihr Land gesetzt und gesagt haben, ja, wir haben diese Diktatur, diesen Kommunismus selbst beseitigt, herausgeschnitten. Das hat die Fernsehzuschauer wirklich sehr beeindruckt. Die Tage der Revolution liegen ein paar Jahre zurück, aber es gibt immer noch interessante Veröffentlichungen. Ich bin geschichtlich interessiert und versuche auch, einiges darüber zu lesen, komme aber immer wieder an einen Punkt, der mir immer noch nicht ganz klar ist. Was hatte bewirkt, dass die Armee damals nicht ein noch größeres Blutbad in Temeswar und Bukarest angerichtet hat? Darüber diskutiere ich immer wieder mit Experten.

Wann kamen Sie das erste Mal nach Rumänien?
Der erste Berührungspunkt mit Rumänien war, als wir Anfang der 90er nach Westafrika, Ghana, versetzt wurden. Interessanterweise war unser Nachbar ein Mitarbeiter der rumänischen Botschaft. Die Revolution lag gerade ungefähr drei Jahre zurück. Wir haben uns immer nett begrüßt und irgendwann lud er uns an einem Sonntag zum Mittagessen ein. Das war ein Mittagessen von 12.30 bis 17.30 Uhr, mit sehr viel Herzlichkeit, Gastfreundlichkeit und einem superguten Essen, dass ich damals schon dachte, die rumänische Küche, die muss man ein bisschen näher kennenlernen.

Der zweite Punkt: 20 Jahre nach der Revolution, als ich in Stockholm war, erhielt Herta Müller den Literaturnobelpreis. Ich hatte das Glück, an dem Nobelempfang teilzunehmen, und ich hatte auch das Glück, ihre Nobelrede zu hören. Ich lese sie immer noch gerne. Sie hat den Titel „Hast du ein Taschentuch?“ Wenn man sie jetzt wieder liest, mit Blick zurück, ist auch das eine Gänsehaut-Rede und sprachlich genial, mit sehr viel Gefühl und Informationen verbunden.
Das erste Mal in Rumänien muss so ungefähr 2001 gewesen sein, als wir von Budapest, wo ich eng mit der ungarndeutschen Minderheit zusammengearbeitet hatte, einen kurzen Ausflug ins Banat unternahmen, um eine Region näher kennenzulernen, die ich bisher nur aus den Büchern kannte.

Wie erleben Sie Rumänien heute, 30 Jahre nach der Wende?
Ich sehe es vielleicht ein bisschen mit der Temeswarer Brille. Das ist die Stadt, in der ich mich am meisten aufhalte und sehe, dass hier sehr viel Bewegung stattfindet. Ich denke, zum Beispiel, an die Europawahl: Ich fand es beeindruckend, dass gerade hier, im Kreis Temesch, die Wahlbeteiligung bei über 50 Prozent lag. Das hat mir gezeigt, dass Rumänien und insbesondere mein Zuständigkeitsbereich tief mit Europa verbunden und das Interesse für Europa sehr stark ist. Ich glaube, das ist in der jetzigen Zeit wichtig. Wenn man sich an Universitäten mit jungen Leuten unterhält, ist keine Müdigkeit bezüglich Eu-ropa zu spüren, sondern man fragt sich, was kann man bewirken, verändern, vor allem im Land und in der Region. Ich glaube, das ist sicher eine Auszeichnung und Verantwortung, dass Temeswar den Titel einer Europäischen Kulturhauptstadt 2021 bekommen hat. Ein Titel, mit dem der Reichtum, die Vielfalt und die Gemeinsamkeiten des kulturellen Erbes in Europa und ein besseres Verständnis der Bürger Europas füreinander verbunden sind.

Es finden bereits einige Aktivitäten statt. Denken Sie letzte Woche an die Silos, die mit Street-art veredelt wurden, oder an die graue Unterführung der neuen Shopping-Mall, die neue Farbe bekommen hat! Sie können auch abends über die zentralen Plätze gehen, die Stadt lebt, Sie hören Lachen, es ist eine Atmosphäre, wo man sich darauf freut, dass 2021 viele ausländische Besucher kommen und sehen werden, was für eine tolle Stadt das hier ist.

Vielen Dank für das Gespräch. Wollen Sie noch etwas hinzufügen?
Ja, vielleicht noch bei dem letzten Punkt. Es ist der Humor, den auch gerade viele ältere Leute haben, und nicht nur so, bei einem Glas Wein, sondern sie gehen zu offiziellen Terminen und irgendein Bürgermeister erzählt ihnen einen Witz, zum Beispiel. Ich glaube, dieser Humor ist wichtig für ein Volk, das doch eine sehr schwere Geschichte zu bewältigen hatte. Ohne diesen Humor wäre es sicher schwierig gewesen, alles zu ertragen. Und ich hoffe und bin auch überzeugt, dass die Rumänen und besonders meine lieben Temeswarer diesen Humor auch behalten werden. 

(Schluss)