Draas, ein vergessenes Dorf?

Fotos: die Verfasserin

Am letzten Wochenende wurde das im Repser Ländchen gelegene Dörflein Draas unerwartet aus seiner eintönigen Ruhe gerissen: Vor der Kirchenburg stauten sich Autos, das Eingangstürchen stand weit offen, und oben auf dem hohen Dach tummelten sich zwei Gestalten, die kaputte Ziegeln ausbesserten. Von dort oben war das Desaster besonders gut zu überblicken: ein eingestürztes Mauerstück, drei Turmruinen rechterhand und ein ausgedehnter Burghof voll Gerümpel, Bauschutt und Wildwuchs rings um ein eigenartig schönes Kirchengebäude. Dieses Bauensemble, das einst die berühmte Grenzburg im Osten des Königsbodens war und sich im Besitz des zweiten Sachsenschwertes befand, wurde vom Schicksal besonders hart getroffen: Massenflucht nach dem Zweiten Weltkrieg, teilweise Rückkehr und zuletzt totale Auswanderung nach 1990. Und noch vorher, während des Kommunismus, die Tragödie: Die Kirchenburg sollte saniert werden, wurde aber, mit oder ohne Absicht, kaputt renoviert und als halbe Ruine zurückgelassen. Die letzte Sächsin, alt und krank, spielt nun die Burghüterin. 

Wer hier vorbeikommt, kann den Ort nicht unbeteiligt verlassen – zu bedrückend ist die Lage. Für den Rückkehrer Bernd Wagner, in Heldsdorf im Burzenland ansässig, ist Draas ein Herzensanliegen. Sein sächsischer Verein „Soxesch“ sammelt Menschen, die gleicher Meinung sind und dort mitmachen wollen, wo im Sachsenland Not am Mann ist. Am besagten Wochenende waren es an die 15 Personen, die aus verschiedenen Landesecken seinem Aufruf per Internet gefolgt waren und gut ausgerüstet aufkreuzten. Es wurde beschlossen, eine Großreinigung zu starten. Die Frauen reinigten die Wände und den Boden der Kirche von Schutt und Staub, während die Männer mit Mähmaschinen der Wildnis den Kampf ansagten. Bäume und Sträucher, Gebüsch und Unkraut wurden gerodet, Bauschutt und Holzbalken weggeschleppt. Wertvolles Baumaterial wurde entdeckt und trocken gelegt. Die Arbeit lief auf Hochtouren, jeder fand eine Beschäftigung, ohne angehalten zu werden. Auf einer Tafel gab es Essen, Getränke und Kaffee, um sich zu stärken. Bei dieser Gelegenheit lernte man sich kennen und tauschte Gedanken aus. 

Obwohl im Repser Ländchen an jenem Wochenende Nieselregen angesagt gewesen war, hatte Bernd Wagner sein Vorhaben nicht aufgegeben und spornte durch seine Energie nun alle an. Trotz Nieselregen wurde stundenlang gearbeitet und alle machten mit – dennoch war der Tag nicht lang genug, um alles zu erledigen, was geplant war. Aber sogar das Wetter hatte ein Einsehen: Als plötzlich die Sonne durch die graue Wolkenwand brach und eine besondere Stimmung in der Umgebung verbreitete, hatte man das Gefühl, dass man sich hier auf dem rechten Weg befand und nicht allein war. Die Sonnenstrahlen drangen durch die leeren Fensterlücken ins Innere der Kirche und brachten das mächtige Sachsenschwert zum Leuchten, das, wie in alten Zeiten, griffbereit auf der Mensa lag.