„Eigentlich echt eine aufregende, tolle Sache“

Sophie Engel, Leiterin der Sprachabteilung des Goethe-Instituts Bukarest, über Digitalisierung im Unterricht

Montagmorgen, zehn Uhr vormittags: Ein sonniger Spätsommertag, Jugendliche und Kinder mit ihren Eltern stehen in einer losen Gruppe (Sicherheitsabstand!) vor dem Goethe-Institut Bukarest. Eine Frau mit ausgedruckten Listen in der Hand ruft Namen auf, die Genannten betreten das Gebäude, und langsam leert sich der Platz: Die Schülerinnen und Schüler erwartet die erste Deutschstunde des Semesters.
Für die Sprachkurse zuständig ist Sophie Engel: Von Beruf Deutsch- und Französisch-Lehrerin, arbeitet sie seit bereits zwölf Jahren für das Goethe-Institut. Anfangs war sie als Expertin für Unterricht tätig, später ging sie nach Indien und implementierte dort das PASCH-Projekt (eine Initiative zur Unterstützung von Schulen, an denen Deutsch unterrichtet wird) – echte Pionierarbeit. Seit 2014 ist sie Leiterin der Sprachabteilung – zuerst jener in München, seit zwei Jahren in Bukarest. ADZ-Redakteurin Veronika Zwing sprach mit ihr über die Auswirkungen der Pandemie auf die Sprachvermittlung.


Wie man am Vorplatz sieht, beginnen heute die Kinder- und Jugendkurse. Haben sich diese durch die Pandemie verändert?

Ja, wir haben uns jetzt auch bei diesen Kursen für ein hybrides Modell entschieden – vorher wurde das nur für Erwachsene angeboten. Angesichts der Erfahrungen vom Frühjahr, als wir eine „fliegende Umstellung“ machen mussten, gestalten wir nun alle Kurse so. Das bedeutet: Die Kursteilnehmer lernen in Gruppen von maximal zehn Lernenden in den Klassenräumen, natürlich unter Einhaltung aller möglichen Sicherheitsvorkehrungen, von Abstandsmarkierungen bis Temperaturscannern. Dieser Präsenzunterricht wird ergänzt durch Aufgaben auf der Lernplattform Moodle – und wenn sich die Dinge ändern, wie das ja von einem Tag auf den anderen geschehen kann, können wir diesen Anteil erhöhen und der Unterricht wird am Computer per Liveübertragung stattfinden.

Aber: Reine Online-Angebote für Kinder und Jugendliche – das möchte ich eigentlich nicht in Betracht ziehen. Ich bin überzeugt davon, dass sie genauso wenig wie Erwachsene ewig vorm PC sitzen sollten. Wir bekommen aber in letzter Zeit viele Anfragen zu reinen Online-Kursen für Kinder und Jugendliche.

Gleichzeitig ist doch gerade für Kinder das Einhalten all dieser neuen Regeln schwierig, nicht?

Genau – deshalb haben wir unsere Lehrerinnen und Lehrer extra fortgebildet, damit sie auch spielerisch Abstandsregeln durchsetzen können. Das, denke ich, ist die größte Herausforderung: Ich sehe viele verschüchterte Kinder und Jugendliche, die durch diese lange Zeit der Isolation eine normale Form der sozialen Interaktion gar nicht mehr gewohnt sind, man muss sie also ermutigen, aus der Angst herauszukommen. Aber gleichzeitig darf man keinen Übermut hervorrufen, dass die Kinder sich dann umarmen oder Fangen spielen – das ist eine schwierige Balance. Wir haben uns mit unseren Lehrkräften deshalb viel mit dem Thema beschäftigt, ich denke, sie sind gut vorbereitet.

Wie kann man sich die Online-Aufgaben konkret vorstellen?

Wir benutzen Moodle, das ist eine komplexe Plattform – der Zugang ist jetzt nicht unbedingt spielerisch, aber sie bietet viele Möglichkeiten. Man kann dort einfach Lehrbücher hochladen, man kann es aber auch für einen spezifischen Kurs nutzen und z. B. individuell Aufgaben erstellen, die Lernende selbst lösen und automatisch ein Feedback bekommen. Das zu entwickeln ist teuer und braucht Zeit – für Erwachsene gibt es da schon einiges, für Kinder kaum.

Die Materialien, die wir einsetzen, wurden in der Zentrale des Goethe-Instituts in Deutschland entwickelt, und in den letzten zwei Jahren hauptsächlich in Nordamerika und Südostasien getestet. Jetzt kommen sie auf der ganzen Welt zum Einsatz – eigentlich echt eine aufregende, tolle Sache.

Daneben gibt es die Live-Sitzungen – wir setzen ja auf einen kommunikativen Ansatz, es soll nicht nur Grammatik auswendig gelernt werden, sondern die Teilnehmer sollen durch Interaktion lernen, die Sprache anzuwenden. Deshalb benutzen wir neben  Moodle das Fernlehre-Programm Adobe Connect – das wahrt nicht nur den Datenschutz, sondern erlaubt Lehrkräften auch, die Lernenden zum Beispiel in virtuelle „Räume“ aufzuteilen – so kann auch digital Gruppenarbeit gemacht werden, wo die Lernenden zum Beispiel gemeinsam eine Präsentation erarbeiten, die sie dann der ganzen Klasse vorstellen. Sie lernen so über die Sprachkenntnisse hinaus Präsentationstechniken.

Und es gibt sinnvolle Tools, wie etwa Abstimmungen. Wenn ich als Lehrkraft die Lernenden nicht sehe, ist es schwierig abzuschätzen, ob etwas verstanden wurde – da ist das sehr hilfreich.

Das heißt, sie benutzen während des Live-Unterrichts kein Video?

Das wird vorher mit den Teilnehmern abgesprochen, ob das für alle in Ordnung ist. Das gleiche gilt für das Aufzeichnen: Wenn alle einverstanden sind, kann man die Stunde aufnehmen, und wer nicht kommen konnte oder etwas nicht verstanden hat, kann sich das Video später ansehen.

Man kann in dem Programm auch PowerPoint-Präsentationen abspielen, Filme oder Hörbeispiele – es ist wirklich sehr vielseitig, und unsere Lehrkräfte haben sich intensiv eingearbeitet, um das Programm sinnvoll einsetzen zu können – vier Wochen lang je 30 Stunden dauerte die Fortbildung.
Für die Kursteilnehmer werden wir diesen Herbst eine Info-Veranstaltung auf Rumänisch anbieten – um zu informieren, was diese Technik alles bietet, und wie man sie für sich selbst am effizientesten nutzt.

Sie haben ja inzwischen ein wenig Erfahrung gesammelt mit diesen Unterrichtsformen – wie sieht das Feedback aus?

Ich hab gerade heute früh die Teilnehmer-Befragung aus dem Online-Sommerkurs bekommen, und über 70 Prozent sind zufrieden und sehr zufrieden mit dem Angebot, also in dieser Art und Weise zu lernen.

Ein interessantes Phänomen ist, dass sich der Online-Unterricht offenbar sehr positiv auf die Aussprache auswirkt: Man kann einander nicht sehen, deshalb ist man gezwungen, sehr deutlich zu sprechen. Das ist ja sonst nur am Telefon der Fall – was ja meistens grauenvoll ist, wenn man eine Sprache gerade erst lernt. Aber im Juni hat mich ein Teilnehmer angerufen, der den Kurs A1-1 abgeschlossen hatte, und konnte mir am Telefon sagen, dass er gerne weiter den gleichen Kurs besuchen möchte – also, das finde ich schon beachtlich: Nach zehn Wochen Kurs in einer Fremdsprache zu telefonieren. Ich denke, dass es schon auch an dieser Lernsituation liegt, dass er diese Hürde so gut genommen hat.

Und wie lautet das Feedback der Lehrkräfte?

Am Anfang hat das alles natürlich viel mehr Arbeit erfordert – wir hatten ja eine „fliegende Umstellung“ auf reine Online-Kurse. Wir haben deshalb versucht, zur Entlastung der Lehrkräfte Tandems zu bilden, und im zweiten Online-Kurs haben alle noch einmal die gleiche Niveaustufe unterrichtet, so konnten zum Beispiel bereits erstellte Materialien wieder genutzt werden.

Bei dem jetzt zu Ende gehenden zweiten Kurs war das Feedback nicht schlecht – zum Beispiel, dass eben das Sprechen sehr gut klappt. Ein anderer Punkt war, dass durch die Arbeit auf Moodle die Teilnehmer wirklich dazu angehalten werden, konsequent zu arbeiten.  Man kann dann nicht zur Lehrkraft gehen und ein bisschen bitten – Ich hab mich doch angestrengt, geben Sie mir doch die Note... sondern, das System sagt ganz klar, welche Aufgaben erledigt wurden, und wenn das nicht mindestens 70 Prozent sind, dann kann man eben nicht weiterkommen. 

Können an den Online-Kursen Lernende von überallher teilnehmen?

Genau – man kann sich ansehen, welches Format, welche Uhrzeiten am besten passen und ist nicht mehr auf das örtliche Angebot angewiesen. Auch unsere Partner in Klausenburg, Jassy, Temeswar und anderen rumänischen Städten, aber auch in der moldawischen Hauptstadt Chi{in²u etwa bieten ja auch Online-Kurse an. Es ist spannend, was sich da gerade entwickelt: Meine Kollegin aus der Türkei berichtet, dass sie relativ viele Anmeldungen für Online-Kurse aus Deutschland hat – also wahrscheinlich in Deutschland lebende Türken, die noch nicht so gut Deutsch können und lieber in einer türkischen Gruppe lernen als in einer internationalen. 

Waren diese Online-Kurse eine Notlösung während des Lockdowns, oder gab es sie schon vorher?

Die reinen Online-Kurse haben wir wegen Corona eingeführt – aber für Erwachsene haben wir schon vorher Hybrid-Kurse angeboten, und es war geplant, dass wir uns dieses Jahr intensiv mit dem Ausbau des Digital-Angebots befassen. Und dann plötzlich ging alles sehr schnell, und wir mussten das alles in kürzester Zeit bewerkstelligen. Das Coronavirus hat uns gezwungen, unsere Pläne umzusetzen – nur schneller und plötzlicher, als wir das ohnehin vorhatten.

Das Goethe-Institut bietet auch Prüfungen an, die als international anerkannter Nachweis für  Deutschkenntnisse gelten – konnten diese trotz der Pandemie wieder aufgenommen werden?

Es gab eine Pause, aber seit Juni führen wir wieder Prüfungen durch – natürlich mit allen möglichen Sicherheitsvorkehrungen. Für die besonders gefragten Prüfungen wird es auch Zusatztermine geben, also vor allem für B1 und B2: Die entscheiden beispielsweise bei Pflegekräften darüber, ob sie in Deutschland nach Tarif bezahlt werden, dementsprechend hoch ist die Nachfrage.

Wie sieht es mit den Fortbildungen für Lehrkräfte aus – werden diese trotz der Corona-Krise weitergeführt?

Gerade aufgrund von Corona war der Bedarf sehr hoch. Wir haben ein Basismodul für Digitalisierung in der Lehre angeboten, von der Pike auf: Von der Gestaltung von Arbeitsblättern in Word bis hin dazu, wie die Smartphones der Schülerinnen und Schüler im Unterricht sinnvoll eingesetzt werden können.

Die Nachfrage war so groß, dass wir den Kurs zweimal anbieten mussten – weshalb wir auch einen Unkostenbeitrag von 50 Euro verlangen mussten, um die Referenten zu bezahlen. Normalerweise ist es ja so: Für die Sprachkurse gibt es keine Förderung, da müssen wir wirtschaftlich arbeiten, aber die Fortbildungen für Lehrkräfte werden gefördert mit Geldern vom Auswärtigen Amt und sind daher normalerweise kostenfrei.

Und ab diesem Herbst können wir auch nicht mehr nur Deutschlehrkräfte fördern, sondern auch Fachlehrkräfte, die auf Deutsch unterrichten: Es werden Stipendien – für sowohl Deutsch- als auch Fachlehrkräfte – vergeben, um an dem Online-Kurs teilzunehmen, der am 5. Oktober beginnt – in den Niveaustufen A1 bis C1. 

Vielen Dank für das Gespräch!