Eine Stellungnahme zu dem Vorhaben, in der Hermannstädter Altstadt Neubauten zu errichten

Blick auf die Südwestseite des Platzes in der Brukenthalgasse

Abb. 1: Der Bereich zwischen Fleischer- und Heltauergasse im Stadtplan von 1875

Abb. 2: Die im PUZCP vorgeschlagene Bebauung ist rot dargestellt, Baudenkmäler Kategorie A ocker, Kategorie B gelb und andere Gebäude grau.

Die Grünfläche zwischen den Häuserfronten, die bebaut werden soll

In der Hermannstädter Onlinezeitung „Turnul Sfatului“ vom 13. September 2020 wurde ein Artikel mit der Überschrift „Kann man noch im historischen Zentrum bauen? Immobilienprojekt in der 0-Zone von Hermannstadt“ veröffentlicht, ein Artikel betreffend die Planung von Neubauten im Bereich der Fleischer- und Bruken-thalgasse (PUZCP, datiert 8. Mai 2020, erstellt entsprechend dem Städtebauzertifikat Nr. 2674 / 02. 11. 2018 und Opportunitätsempfehlung Nr. 12 /13. 06. 2019 für bebaute geschützte Zonen). 

Ein Blick auf den entsprechenden Ausschnitt des Stadtplans von 1875 zeigt uns einerseits die alte städtebauliche Struktur mit dem Verhältnis von Bauten, Straßen und Gärten und andererseits die Veränderungen seit Ende des 19. und während des 20. Jahrhunderts (Siehe Abb. 2)

Ausgehend vom Antrag eines Besitzers von 330 Quadratmetern Baugrund im Südwesten des Platzes am Ende der Brukenthalgasse, ein Haus zu bauen, wird in der Planung vorgeschlagen, in freien Flächen zwischen den beiden Straßen sechs neue Bauten, mit der Zweckbestimmung von Wohnungen und Büros, zu errichten (siehe Abb. 2).

Aus meiner Sicht widersprechen die Vorschläge dieser Planung zur Gänze den Prinzipien, die bei der Planung in historischen, von mittelalterlichen Wehrmauern begrenzten Ortschaften zu berücksichtigen sind, und das aus folgenden Gründen:

  • Bebauungsdichte: Der Bereich gehört zum Zentrum der Oberstadt von Hermannstadt/Sibiu, das im 14. Jahrhundert von einer Stadtmauer mit Türmen umgeben war. Mit der vierten Stadtmauer, die auch die Unterstadt erfasste, vergrößerte sich die Fläche „intramuros“ auf 72 Hektar – eine Größe, die Hermannstadt in die Kategorie mittelgroßer europäischer Städte wie Krakau, Danzig oder Stralsund versetzte. Während der folgenden 260 Jahre ist diese Fläche gleich geblieben, was dazu geführt hat, dass die Dichte der Bebauung stetig zugenommen hat, durch die Erschließung von freien Flächen der Gärten oder von Grundstücken, die aus strategischen Gründen freigeworden sind. 
    So sind neue Straßen entstanden, wie die Brukenthal- (Xenopol), Wiesen- (Tipografilor), Neugasse (str. Nouă) und die Neustiftgasse (str. Movilei). Dadurch sind die Grünflächen der Stadt stetig reduziert worden. Die Bebauung dieser relativ wenigen verbliebenen Grünflächen in der Altstadt ist inakzeptabel. Im Gegenteil: Die städtische Verwaltung sollte bemüht sein, wertlose Bauten abzureißen und die resultierenden Freiflächen als Grünflächen zu nutzen, um so die Wohnqualität in der Altstadt zu steigern.
  • Respekt für die heutigen Bewohner: Im Erläuterungsbericht der Studie wird erwähnt, dass man es in der Altstadt mit einer „mehrheitlich überalterten Population mit/oder geringen finanziellen Möglichkeiten“ zu tun hat. Aus unserer Sicht ist es in der gegenwärtigen Situation nicht gerechtfertigt, diesen Bewohnern ihre kleinen Gärten und das Licht für die Fenster, die zu diesen Freiflächen führen, wegzunehmen.
  • Baudenkmäler: In der Nähe der behandelten Zone, den Straßen Fleischer-, Brukenthal-, Quer- und Heltauergasse, befinden sich wertvolle Baudenkmäler, sowohl Kirchen als auch Verwaltungs- und Wohnbauten. Die vorgeschlagenen Neubauten verändern den Charakter der Zone und beeinträchtigen damit auch die Wahrnehmung dieser Baudenkmäler.
  • Im Kommentar zum Projekt wurde erwähnt, dass auch in Städten wie Rom und Paris Neubauten genehmigt und gebaut werden. Für Hermannstadt sollten nicht diese Hauptstädte zum Vergleich herangezogen werden, sondern Städte, deren Wert vor allem in ihrer Bausubstanz aus stilistischen Perioden wie dem Mittelalter, der Renaissance oder dem Barock besteht. In diesem Zusammenhang kann man an Städte mit gut erhaltener historischer Substanz wie Dinkelsbühl, Carcassonne, Siena oder Krakau denken.


Im Kontext dieser Studie halte ich es für sinnvoll, einen Blick auf die jüngere Geschichte der Stadt unter Berücksichtigung ihres historischen Wertes zu werfen. Ich erinnere mich, dass es im Kommunismus ein Projekt gegeben hat, das vorsah, die Ostseite des Großen Rings abzureißen und an dieser Stelle ein politisch-administratives Gebäude zu errichten. Wieso ist das nicht realisiert worden? Ein wichtiger Grund war, dass für die Übersiedlung der Einwohner der abzutragenden Häuser viele neue Wohnungen nötig gewesen wären. Der andere Grund war, meiner Meinung nach, der Stadtarchitekt zu jener Zeit: Otto Czekelius, der übrigens in der aktuellen Studie erwähnt wird. In einem Interview hat er einmal gesagt, für ihn sei das Wichtigste seiner beruflichen Laufbahn nicht, was er gebaut habe, sondern die Bauten, die er in Hermannstadt verhindern konnte.

Schauen wir auf die jüngere Geschichte der Stadt, so denken wir an die Europäische Kulturhauptstadt im Jahr 2007. Am Anfang dieser Entwicklung stand ein internationales Symposium, das der damalige Kulturminister Ion Caramitru im Jahr 1998 in Hermannstadt veranstaltet hat. Unter den Teilnehmern war ein Vertreter von UNESCO Paris, Delegierte aus verschiedenen Ländern, aber auch Georges Calteux, Direktor der Luxemburgischen Denkmalpflege. In ganz pragmatischer Manier hat er zwei Projekte für Hermannstadt vorgeschlagen, die mit Hilfe des Großherzogtums Luxemburg finanziert und realisiert werden sollten: 

  • Ein Kulturweg durch die Hermannstädter Altstadt, nach dem Vorbild ähnlicher Wege, wie sie in einem von Luxemburg initiierten europäischen Programm empfohlen wurden.
  • Die Restaurierung eines denkmalgeschützten Hauses in der Hermannstädter Altstadt.


Das erste Vorhaben, der Kulturweg, besteht aus Tafeln mit Informationen und richtungweisenden Pfeilen und kann in etwa 80 Minuten begangen werden. Er ist 1999 zum großen Teil in Luxemburg realisiert und vor Ort montiert worden. Das zweite Vorhaben, das Luxemburghaus auf dem Kleinen Ring/Piața Mică, konnte am 30. März 2004 in Gegenwart des Großherzogs von Luxemburg Henry und seiner Gattin Marie-Thérèse eingeweiht werden. Die Hauptstadt Luxemburg mit der umliegenden Region hatte damals schon die Zusage zur Europäischen Kulturhauptstadt 2007 und war einverstanden, Hermannstadt als zweite Stadt hinzuzunehmen. Es besteht kein Zweifel daran, dass ohne die beiden mit Luxemburgs Hilfe realisierten Projekte Hermannstadt damals nicht den Status einer Europäischen Kulturhauptstadt erlangt hätte.

Wiederholte Male ist in den letzten Jahrzehnten der Versuch unternommen worden, Hermannstadt auf die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufnehmen zu lassen – ein Status, den heute Schäßburg/Sighișoara hat. Die Vorschläge der vorliegenden Planung, die massive Eingriffe in die historische Substanz unserer Stadt beinhalten, wären ein weiterer Grund, Hermannstadt die Eintragung in die UNESCO-Liste zu verweigern. Hier kann erwähnt werden, dass ich 1991 die Unterlagen erstellt habe, auf deren Grundlage die Birthälmer Kirchenburg 1993 in  diese Liste aufgenommen wurde.

Schlussfolgernd halten wir fest, dass es nicht zulässig sein kann, heute auf Grünflächen und anderen unbebauten Flächen innerhalb der Stadtmauern siebenbürgischer Städte Neubauten zu errichten. Doch es gibt noch einen anderen Grund, die vorliegende Planung zurückzuweisen: Wir erachten die darin enthaltenen Vorschläge für diskriminierend und sicher auch arrogant gegenüber der vorhandenen, „überalterten und materiell bedürftigen“ Bevölkerung. Diese Art von Umgang mit den Bewohnern der Ortschaften hat es in unserem Land vor 30 Jahren schon gegeben, sie sollte sich heute nicht mehr wiederholen.

Was das 330 Quadratmeter große Grundstück im Südwesten des Platzes am Ende der Brukenthalgasse betrifft, kann an einen Bau von bescheidenen Dimensionen gedacht werden, der an die vorhandene Feuermauer anschließt und sich harmonisch in die Platzfront einfügt. Angesichts der exponierten Lage des Grundstücks könnte dafür ein Ideenwettbewerb ausgeschrieben werden, welcher den modernen Charakter des Neubaus mit seinem historischen Umfeld optimal verbindet – ein Thema, für das es genügend überzeugende Beispiele in der westeuropäischen Architektur gibt.

Im von Stadtmauern begrenzten Bereich der Altstadt können selbstverständlich Baumaßnahmen durchgeführt werden, die die Restaurierung, Konsolidierung und funktionale Optimierung der vorhandenen Bausubstanz betreffen, allerdings nur für je eine einzelne Immobilie und unter Einhaltung der international anerkannten Grundsätze der Denkmalpflege, so dass der Charakter der Altstadt erhalten bleibt – ein Wert, den man bei einer europäischen Verwaltung der Stadt berücksichtigen sollte.