Eltern als Schlüsselfaktor für erfolgreiche Onlinetherapien

Rehabilitations- und Integrationszentrum für Kinder mit Behinderung vorübergehend ohne Räumlichkeiten

Es ist in Rumänien fast schon einzigartig: Das Zentrum für Ressourcen und Erziehungsbeihilfe CRAE Speranța in Temeswar/Timișoara. In den 90er Jahren als NGO entstanden, fand man dessen Leistungen so wertvoll und wichtig, dass es 2005 per Regierungsverordnung in eine staatlich geförderte Institution umgewandelt wurde. Seither ist es dem Schulinspektorat untergeordnet, funktioniert wie eine schulische Einrichtung, wird finanziell nicht von der Stadt, sondern vom Kreisrat Temesch/Timiș getragen, allerdings werden die Gehälter des Personals über die Schulbehörde ausgezahlt. Die Lehrkräfte haben einen speziellen Auftrag: Kindern mit Entwicklungsverzögerungen, körperlichen und geistigen Behinderungen oder Lernschwierigkeiten bei ihrer Rehabilitation und Integration zu helfen. 

Heilpädagogische Frühförderung durch Sprach-, Physio- und Ergotherapie, psychologische Betreuung von Kindern und Eltern sind nur ein Teil des Angebots. Zu den besonderen Herausforderungen kommt jedoch noch eine räumliche dazu: Trotz der großen Nachfrage, denn es werden pro Schuljahr über 300 Kinder aus dem ganzen Kreis betreut, verfügt das Zentrum über keine eigenen Räumlichkeiten und musste seit seiner Gründung mehrmals umziehen, denn es kam in Gebäuden unter, die das Temeswarer Bürgermeisteramt ihm nur befristet zur Verfügung stellte. Das hieß bisher, jedes Mal die Räume für die Therapien neu einrichten und Sponsoren für die Renovierungen und Ausstattungen ausfindig machen. Zuletzt galt dies für die Räume im Erdgeschoss und ersten Obergeschoss des Schülerinternats des Henri-Coandă-Gymnasiums in der Circumvalațiunii-Straße (dem vormaligen Sitz der Temescher Verkehrspolizei). Das Temeswarer Bürgermeisteramt, dem das Gebäude gehört, hat 2019 eine längst fällige Sanierung des Gebäudes bzw. der beiden unbenutzten Obergeschosse, der Leitungen und Heizung sowie des Daches veranlasst, wobei die Therapien zunächst trotz Baustelle noch stattfinden konnten. Nach dem coronabedingten Übergang zum Online-Unterricht, was automatisch auch von heute auf morgen die Therapien ins Internet verlagerte, musste nach dem Notstand unter strenger Einhaltung von Hygienevorschriften auch diese Stätte geräumt werden. Die Ausstattung aus über 30 Büros und Therapieräumen wurde mithilfe der Angestellten, Volontäre und Eltern in drei Tagen in die Kantine und die Werkstätte des Gymnasiums geschafft. Von alldem haben die betreuten Kinder kaum etwas gemerkt, denn die Therapien sollten im Herbst wegen der Pandemie ohnehin nur online weitergeführt werden. 

Herausforderung Online-Therapie

Kinder mit besonderen Lernbedürfnissen sind die Hauptnutznießer dieses Zentrums. Andere haben verschiedenste Behinderungen und werden auch schon als Babys angenommen, je nach Beeinträchtigung und Notwendigkeit der Frühförderung. Der soziale Kontext spielt dabei auch eine Rolle, wobei die Devise lautet, „jenen, die es am nötigsten haben, unter die Arme zu greifen”, so Leiterin Elena Petrică. Es sei nicht einfach, auf Förderung aus privater, staatlicher und kommunaler Hand angewiesen zu sein, gesteht sie. Noch schlimmer findet sie, dass sie auf wesentliche Aspekte wie das Raumproblem kaum Einfluss nehmen kann. Trotzdem zeigt man sich ambitioniert, die höchsten Standards der Kinderrehabilitation und Frühförderung anzustreben. Auch in Sachen Online-Therapie wurde nichts dem Zufall überlassen. Zuerst wurde eine Bestandsaufnahme gemacht, inwiefern alle Nutznießer denn Zugang dazu haben würden: „Dabei ging es uns nicht nur darum, ob ein internetfähiges Gerät zur Verfügung stand, sondern auch, ob die Eltern und Kinder mit den gängigen Programmen zurecht kommen würden, also ob das technische Wissen vorhanden war. Tatsächlich mussten wir dabei feststellen, dass es besonders in Familien mit mehreren Kindern keine ausreichende Ausstattung gab. Da haben wir die Eltern erst mal auf die Schulen verwiesen, über die sie ein Tablet beantragen sollten. Wo das nicht geklappt hat, konnten wir Sponsoren ausfindig machen, die noch im November einigen Familien die nötigen Geräte gespendet haben. Die Eltern ihrerseits erklärten sich bereit, für ein minimales Telefon-Abo aufzukommen, das ihnen den Internetzugang sichern würde, um sich am Unterricht und den Therapien beteiligen zu können. Andererseits haben wir es geschafft, über den Kreisrat die nötige Ausstattung mit leistungsstarken Laptops für unsere Lehrkräfte zu beschaffen”, so Petrică. 

Und dann war es die Aufgabe der Therapeuten und Begleiter, attraktive Mittel zu finden, um sowohl die Kleinen wie auch die Großen online in den Unterricht, die Aufgabe oder das Spiel einbinden zu können. Bei der Auswahl der Übungen habe man danach getrachtet, ein Gleichgewicht von Aktivitäten vor dem Bildschirm und draußen in der Natur zu finden. Die Angst, dass die Familien sich vor dem Eindringen in ihre Intimsphäre, in ihr Zuhause scheuen würden, war in Kürze verflogen und es konnten starke Teams aus Eltern und Heilpädagogen entstehen, die gemeinsam die Bildung und Förderung dieser besonderen Kinder in die Hand genommen haben. Die Offenheit, das Vertrauen und die Bereitschaft der Eltern hätten sie zutiefst beeindruckt, bekennt die Leiterin des Zentrums.

Schwierigkeiten während Lockdown

Eine psychologische Betreuung der Eltern war in dieser Zeit vermehrt nötig, da bei vielen durch die Umstellungen Ängste geschürt wurden, Übermüdung wurde sichtbar, aber auch Mut- und Hoffnungslosigkeit. Kritische Momente zu überbrücken, Spannungen abzubauen, mit diesen Aufgaben sah sich auch Psychologin Beatrice P²lici konfrontiert: „Ich habe zunächst sehr viel und lange mit den Eltern telefoniert, um herauszufinden, wer von ihnen denn gefährdet sei, emotionale oder Verhaltensprobleme durch die Einschränkungen und die fehlenden sozialen Kontakte zu entwickeln.“ Während der Ausgangssperre, aber auch danach, zeichneten sich nebst der Unsicherheit durch die pandemische Situation der limitierte Zugang zu Bildungs-, Therapie- und Rehabilitationsangeboten sowie zu medizinischer und sozialer Betreuung als Stressfaktoren ab. Die Kinder litten besonders darun-ter, dass sie nicht im Freien spielen durften und ihnen der Kontakt zu anderen Kindern fehlte. Die Psychologin bemerkte dabei, dass be-sonders Einzelkinder oder Kinder, die in Wohnblocks wohnen, viel öfter unruhig, reizbar und angespannt wurden. Vorteilhaft sei die Ausgangssperre besonders für eine engere Eltern-Kind-Beziehung gewesen, weil man nun mehr Zeit mit den Kleinen verbringen konnte. Eltern berichteten auch über Erfolge bei der Sprachförderung oder bei autonomen Handlungen, wie z. B. Anziehen, Essen, Waschen, Toilettengang usw.  In Bezug auf den Online-Unterricht habe man besonders zu Beginn des Schuljahrs eine gewisse Überforderung bei einigen Eltern feststellen müssen, beson-ders dort, wo mehrere Kinder nun auch schulisch betreut werden mussten und es keinen sonstigen familiären Rückhalt gab. Trotzdem habe es lediglich bei ganz schwierigen Fällen eine Stagnation gegeben, sonst hätten alle Nutznießer kleine und teils große Fortschritte verzeichnen können.

Eltern als Therapeuten gefordert

34 Angestellte arbeiten bei CRAE Speranța direkt mit den Kindern und den Eltern zusammen: Psychologen, Physiotherapeuten, Heilpädagogen, Logopäden, Grundschullehrer, Hilfs- und Integrationslehrer, Erziehungsexperten, aber auch medizinisches Fachpersonal und eine Sozialhelferin. Nach einer medizinischen, psychologischen und sozialen Bewertung der jeweiligen Fälle bekommen die Kinder einen sogenannten Case-Manager zugeteilt und ein individueller Therapieplan wird aufgestellt. Bei der großen Nachfrage von über 320 – manchmal bis zu 360 Kindern pro Schuljahr, können diese jedoch nur in begrenztem Umfang betreut werden. Man legt entsprechend wert darauf, die Eltern einzubinden, die Übungen zu Hause selbst zu wiederholen: Seien es Spiele zur Aufmerksamkeitsförderung, sensorielle Integration, ergo-therapeutische Spiele oder einfache Gymnastikübungen, diese müssen täglich durchgeführt werden, denn einem Kind, das beispielsweise mit einer Gehirnlähmung diagnostiziert ist, reicht eine halbe Stunde Physiotherapie in der Woche bei Weitem nicht aus.

Gerade in diesem Sinne hat die Corona-Krise auch eine positive Entwicklung provoziert: Die Eltern sahen sich mehr oder weniger gezwungen, verstärkt die Rolle der Therapeuten und Lehrer für ihre Kinder wahrzunehmen. „Ohne den großartigen Einsatz dieser Eltern, hätten wir die Therapien nicht weiterführen können”, berichtet Physiotherapeutin Raluca Nedelea. Sie bestätigt aber auch, dass ihr der Kontakt zu den Kindern fast schmerzlich fehlt und dass sie sich so manches Mal wünscht, durch den Monitor greifen zu können, um die eine oder andere Position zu korrigieren oder zu kontrollieren, fühlen zu können, welche Muskelpartien gerade zum Einsatz kommen. Die Eltern hätten jetzt nach den zahlreichen Telefonaten, Video-Konferenzen, Lernvideos und Anleitungen mehr Zuversicht und Sicherheit im Umgang mit den Kindern bei den Übungen bekommen, sodass sie eben nicht nur während der Therapiestunde, sondern auch tatsächlich außerhalb dieser das Gelernte umgesetzt haben. So konnten nach der regelmäßigen Bewertung bei allen Kindern Fortschritte verzeichnet werden, zwei der Kinder hätten es in dieser Zeit geschafft, sich erstmalig aufzurichten und sogar erste Schritte zu machen. Natürlich sei Physiotherapie per Telefon mit dem physischen Eingriff nicht zu vergleichen, man habe es jedoch geschafft, das Beste aus den Gegebenheiten zu machen. Für manche Nutznießer des CRAE-Zentrums opferte Ralu, wie sie die Kinder nennen, vor den Schulschließungen jedes Wochenende ein bis zwei Stunden, um im Schwimmbecken einer Partnerschule Kindern mit Behinderung Wassergymnastik anzubieten, manchmal auch mit Unterstützung von Kinetotherapie-Studenten, deren Pflichtpraktikum sie begleitet. Denn auch Studenten dieser Fakultät, wie auch jener für Psychologie, bietet das Zentrum die Möglichkeit, erste praktische Erfahrungen im Umgang mit Kindern zu machen, deren Start im Leben durch verschiedenartigste Beeinträchtigungen erschwert wird.

Nicht nur die Therapien, sondern auch sämtliche weitere Angebote und Programme des Zentrums liefen online weiter: die monatlichen Seminare für Eltern, außerschulische Aktionen zu Weihnachten, zum Nationalfeiertag, zum internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen am 3. Dezember oder ein buntes Blätterfest. Die Lehrkräfte konnten ihrerseits ihre Prüfungen zur Erlangung höherer Grade ablegen, wobei die Inspektoren den Online- Therapien beiwohnten. Die Erfahrungen, die man bei der ins Internet oder auf das Telefon verlagerten Betreuung, Förderung und Bildung gemacht hatte, trug das Zentrum zu einem Handbuch zusammen, das auch anderen ähnlichen Einrichtungen oder NGOs praktische Handreichungen geben mag. 

Hoffnung auf räumliche Lösung

Im Herbst 2019 hieß es noch, dass aus dem Schülerwohnheim in der Circumvalațiunii-Straße eine Jugendherberge oder ein Hostel für das Kulturhauptstadtjahr 2021 entstehen sollte. Inzwischen gibt es zumindest mündliche Zusagen, dass CRAE Speranța nach Abschluss der Sanierungsarbeiten wieder in das Internatsgebäude ziehen dürfe. Der Vertrag, der zwischen Kreisrat und Bürgermeisteramt infolge von Stadt- und Kreisratsbeschlüssen schon seit Langem unterzeichnet werden sollte, damit die Einrichtung die Räumlichkeiten über fünf Jahre nutzen dürfe, soll nun auch fertiggestellt und unterschrieben werden, zeigt sich Direktorin Elena Petrică zuversichtlich. Parallel dazu habe der Kreisrat vor, eigens für das Frühförderungs- und Rehabilitationszentrum eine Anlage bauen zu lassen. Das technische Projekt und der Boden seien vorhanden, im Frühjahr hoffe man auf die Ausschreibung für die Ausführung der Bauarbeiten, schließt Leiterin Petrică.