„Es geht um Gerechtigkeit!“

Der Fall Mall of Berlin – fünf Jahre danach

Kundgebung vor dem Sitz eines Subunternehmens – einer Briefkastenfirma Fotos: die Verfasserin

Ovidiu Mandrilă lebt weiterhin in Berlin und arbeitet in der Baubranche.

Elvis Iancu lebt seit mehr als drei Jahren in Großbritannien.

Mandrilă hat an den Protesten 2015 teilgenommen.

Iancu hat sich früher sehr stark für die Rechte der Bauarbeiter an der Mall of Berlin engagiert.

Ende September 2014 wurde die Mall of Berlin eröffnet, eines der größten Einkaufszentren in Deutschland. Das riesige Gebäude befindet sich im Herzen der deutschen Hauptstadt, nicht weit vom Potsdamer Platz. Es beherbergt über 250  Geschäfte. Finanziert wurde der Bau von der Firma HGHI, deren Geschäftsführer Harald Huth ist. Der Investor wird in deutschen Medien als „König der Shoppingmalls“ oder „Baulöwe“ bezeichnet. In einem Interview sagte Huth letztes Jahr, dass „die rumänischen Bauarbeiter gar nicht für uns gearbeitet haben“ und dass „keiner sie kannte“. 

Die Geschichte im Schnelldurchlauf: Proteste, Prozesse, Geduld. Ovidiu Mandrilă, Bogdan Droma, Elvis Iancu, Nicolae Hurmuz - sie und viele andere haben laut Berichten vor mehr als fünf Jahren auf der Baustelle von der Mall of Berlin gearbeitet. Für Subunternehmen, so wie es oft in der Baubranche gängig ist, in diesem Fall der Bauherrin HGHI (High Gains House Investments). Dabei haben sie ihren Lohn teilweise nicht bekommen. Die Bauarbeiter haben protestiert und manche  mit Hilfe der Gewerkschaft FAU sogar gegen die Subunternehmen geklagt. Gefordert wurden damals insgesamt 30.000 Euro. Die Subunternehmen hatten jedoch Insolvenz angemeldet und die rumänischen Bauarbeiter gingen leer aus. Manche haben die Sache aufgegeben und sind ihrer Wege gegangen. Nicht alle. 

Nun erreicht die Geschichte einen neuen Höhepunkt: Im Oktober kommt der Fall vor das höchste deutsche Arbeitsgericht. Die beiden noch laufenden Klagen - darunter eine von Ovidiu Mandrilă - gegen HGHI  von  Harald Huth werden vor dem Bundesarbeitsgericht in Erfurt verhandelt.  Es geht dabei um eine Revision, denn die Klagen wurden bereits abgewiesen. Es ist das erste Mal, dass ausländische Bauarbeiter  derart vorgehen.

Heute und gestern

Ovidiu Mandrilă sitzt in seiner Einzimmerwohnung und erzählt von seinem aktuellen Berufsleben in der Baubranche: Er hatte unlängst angefangen, bei einem Unternehmen in Berlin zu arbeiten. Sein Chef verlangte, er solle eine Firma in Polen gründen. Da er das nicht wollte, wurde er informiert, dass es keine Arbeit mehr für ihn gäbe. Seit ein paar Jahren lebt der 37-jährige Rumäne in Berlin. Zum ersten Mal ist er 2011 nach Deutschland gekommen. Ursprünglich stammt er aus Bacău. Viele seiner Familienmitglieder leben seit Jahren im Ausland, in Italien arbeiten nicht nur sein Bruder und Vater, sondern auch Verwandte seiner Frau. Zukunftspläne aber schmieden sie für ihr Heimatland. 

Früher hat Mandrilă als Tagelöhner in Rumänien gearbeitet. Im Ausland hat er gehofft, bessere Arbeitsmöglichkeiten zu finden. Nach Deutschland ist er gekommen, weil ein Bekannter ihm von der guten Arbeit auf Baustellen erzählt hat. „Es war tatsächlich alles in Ordnung am Anfang“. Er erinnert sich an seine ersten Aufträge, am Cottbuser Tor, Hermannstraße, Moritzplatz – dort musste er Reinigungsarbeiten durchführen und Fenster putzen, nachdem die Arbeit auf der Baustelle fertig geworden war. „Natürlich kannte ich damals die Kieze nicht, ich war nur ein Anfänger“.  Das einzige Mal, dass er in dieser Branche Probleme hatte, war  im Jahre 2014, als er bei der Mall of Berlin gearbeitet hat. Die deutschen Medien haben damals intensiv über den Fall berichtet, die rumänischen Medien weniger. Auch die ADZ hat diesem Thema mehrere Artikel gewidmet  - siehe ADZ-Online vom 11. Juni 2015: „Chronik eines Konflikts“; 20. Juli 2016: „Menschen werden systematisch ausgegrenzt“ und 13. Februar 2017: „Sie haben Solidarität erlebt“.
Mandrilă hatte begonnen, an der Mall of Berlin zu arbeiten, nachdem er von anderen Rumänen davon erfahren hatte: „Ich habe Sasha kennengelernt. Er sagte, wir werden dich bezahlen, wir schließen einen Vertrag ab, kümmern uns um alle Dokumente. Dann habe ich gefragt, wann können wir anfangen?“

Kein Geld seit fünf Jahren

Seit insgesamt fünf Jahren wartet Ovidiu Mandrilă nun auf einen Teil seines Lohns. Im Oktober klagt er nun gegen den Investor Harald Huth vor dem Bundesarbeitsgericht in Erfurt. Der Mann erzählt, dass er noch über 4000 Euro bekommen sollte; zehn Monate lang habe er insgesamt bei der Mall of Berlin gearbeitet, doch den Lohn für einen Monat nicht erhalten. 
Wäre ein Kompromiss eine Lösung? Das weiß Mandrilă nicht. Er findet, es sind schon viele Jahre, seitdem das passiert ist, letztendlich hat er eine Familie, um die er sich kümmern muss. Er wäre aber bereit, mit Huth zu sprechen. „Dann kann er sagen, dass er kein Geld hatte oder dass die Firma pleite gegangen ist oder was auch immer passiert ist“. Mandrilă hofft, dass er den Prozess doch noch gewinnt, dass er nächstes Jahr nicht wieder aufs Gericht gehen muss. „Ich persönlich habe genug davon - aber ich weiß nicht, ob der Investor Harald Huth genug davon hat. Er schickt immer einen seiner Anwälte.“ Was passiert, wenn er den Prozess nicht gewinnt? „Ich weiß nicht, was weiter käme. Wenn wir weiter gehen können, dann gehen wir weiter, kein Problem.“ Dabei geht es ihm gar nicht ums Geld. „Es geht um Gerechtigkeit. Vielleicht verstehen Unternehmer endlich, dass sie ihre Mitarbeiter nicht so betrügen können“. 

„Es fiel mir sehr schwer zu warten“

Ursprünglich klagten zehn Arbeiter, sieben von ihnen haben recht erhalten. Elvis Iancu erzählt in einem Interview für die ADZ, dass er inzwischen seit dreieinhalb Jahren in Großbritannien lebt. Aus Deutschland ging er direkt dort hin, denn er betrachtete Engländer als „seriöse“ Menschen: „In einer Woche habe ich angefangen zu arbeiten. Ich hatte auch einen Arbeitsvertrag und alles.“ Iancu arbeitet vier Nächte pro Woche bei einem großen Online-Versandhändler. Er ist zufrieden mit der Bezahlung und will im Ausland noch ein paar Jahre arbeiten und Geld sparen, danach möchte er nach Hause. In der Heimatstadt Konstanza/Constanța hat seine Familie ein kleines Geschäft, um das er sich kümmern will. 

Ob die Geschichte mit der Mall of Berlin seine Meinung über Deutschland geändert hat? „Nein, das hätte in jedem Land passieren können“, meint Iancu. Vor fünf Jahren war er einer der Hauptfiguren der Proteste, heute interessiert er sich nicht mehr dafür. „Damals war ich wütend. Es geht nicht ums Geld, sondern um meine Würde. Es war nicht zu viel Geld.“ Iancu erklärt, dass er nicht mehr in Berlin auf Ergebnisse warten konnte. „Es fiel mir sehr schwer zu warten, dass die anderen mir Geld schicken, um zu überleben. Ich sprach von Würde. Ja, ich habe sie noch.“ Was er von den anstehenden Verhandlungen hält? „Es ist so viel Zeit vergangen, es ist nicht mehr aktuell. Aussichtslos.“