Es war der Kauf von Freiheit (II)

Gespräch mit Dr. Heinz Günther Hüsch, dem deutschen Verhandlungsführer beim Freikauf der Rumäniendeutschen

Faksimile einer der Tabellen, welche die deutsche Seite der rumänischen zwecks Abrechnung überreichte.

Der Anwalt Dr. Heinz Günther Hüsch war von 1976 bis 1989 Deutschlands Verhandlungsführer in der sogenannten Geheimsache Kanal. In ihrem Rahmen hatte er 313 offizielle und wohl dreimal so viele inoffizielle Treffen mit Vertretern der Securitate, die sich als Ministerialbeamte der rumänischen Regierung ausgaben. Verhandelt wurde die Familienzusammenführung von Rumäniendeutschen, die sich Rumänien zunehmend besser bezahlen ließ.

Dr. Heinz-Günther Hüsch, Jahrgang 1929, war von 1976 bis 1990 Mitglied des Deutschen Bundestages und da u. a. Vorsitzender des Vermittlungsausschusses, stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit oder Obmann im Flick-Untersuchungsausschuss. In diesem zweiten Teil werden Auszüge aus dem am 6. Oktober von ADZ-Redakteurin Hannelore Baier geführten Gespräch in Interview-Form abgedruckt. Der Ausgangspunkt für einige der Fragen sind Dokumente aus dem CNSAS-Quellenband „Acţiunea ‚Recuperarea’. Securitatea şi emigrarea germanilor din România (1962-1989)“.


Die rumänische Seite charakterisiert Sie als „Person, die Einfluss hat“ bis zu „wahrscheinlich gut vorbereiteter Agent, wendig und hartnäckig“. Auf wen hatten Sie Einfluss?

Ich war ein Abgeordneter, der einen gewissen Einfluss hatte, selbst wenn ich kein Regierungsamt hatte und auch nicht haben wollte. Ich habe oft mit Bundeskanzler Helmut Kohl gesprochen – und nicht nur in der Rumänienfrage. In seinem Auftrag war ich im Libanon während dem Bürgerkrieg und mehrmals in Uganda.

Wussten Sie, welchen „Strukturen“ Ihre rumänischen Gesprächspartner angehörten, die sich offiziell als „Ministerialrat“ ausgaben?

Wir wussten das anfänglich nicht. Wir haben das aus vielen Indizien zusammengetragen und später auch die Bestätigung dazu gefunden, zum Teil auch aus dem Buch „Rote Horizonte“ von Ion Mihai Pacepa. Wir hatten 1969/70 Vermutungen, dass unsere Partner der Securitate angehören, die habe ich auch zu Papier gebracht, und ab 1970/71 hatte ich Gewissheit.

Sind Sie – Sie sind Rechtsanwalt – spionageabwehrtechnisch gebrieft worden, oder hat man sich auf Ihr „Gespür“ verlassen?

Ich bin nie gebrieft worden. Ich hab es auch nicht nötig gehabt. Ich war ja immerhin schon viele Jahre Anwalt gewesen, als ich den Auftrag, in dieser Angelegenheit zunächst zu recherchieren, erhielt. Ich hatte mit dem Geheimdienst nichts zu tun. Ich habe dann später mit dem Geheimienst Spionagefälle gelöst, das ist richtig. Aber irgendeine spezielle Ausbildung genossen oder in Anspruch genommen habe ich nie. Seit der Zeit von Erwin Wickert in Bukarest (er war deutscher Botschafter von 1971-1976 – Anm. HB) bin ich mit Diplomatenpass gereist. Wickert hatte verstanden, dass ich für diese Aufgabe einen solchen benötige. Und zwar hatte ich einen solchen Pass nur für Rumänien, und einen zweiten, der wurde beim Ministerium verwahrt, der wurde für sonstige Reisen genutzt, denn die rumänischen Partner brauchten nicht zu wissen, wo ich sonst noch war.

Die rumänischen Gesprächspartner teilen in ihren Berichten mit, Sie seien „Agent“ und sehr geschickt in den Verhandlungen.

Ich bin deutscher Anwalt. Wenn man mich als wendig bezeichnet, gut, das akzeptiere ich. Ich betrachte das als Anerkennung.

Da uns die rumänische Seite anfangs Barzahlungen verlangt hatte, kam es uns darauf an, irgendetwas Schriftliches zu bekommen, und zweitens Anhaltspunkte dafür, dass die Partner nicht für irgendwelche kriminelle Bande – jedenfalls nicht offiziell – agieren. Diese Anhaltspunkte konnte ich systematisch sammeln. Als wir nach dem ersten Gespräch im Flughafen B²neasa waren, noch 1968, übergab mir Martinescu (einer der ersten Verhandlungsführer seit 1962 – Anm. HB) ein kleines Zettelchen, wo die drei Kategorien Personen draufstanden, für die unterschiedliche „Preise“ verlangt wurden, und 200.000 (den zu zahlenden Vorschuss). Nur die Zahlen.

Das war das erste Papier, das wir erhielten. Im Hotel hatte man unser Gepäck verwechselt. Da hätten Sie Martinescu sehen sollen: Das war schon klasse Securitate, wie der durch andere Zimmer eilte und mein Gepäck heraussuchte.
Dann haben wir uns die Nummernschilder der Fahrzeuge gemerkt – es waren alles 1 B oder 3 B, also offizielle Wagen. Das erste Gespräch hatte im Hotel Ambasador stattgefunden, die zweite Verhandlung im Lido und später gab es Gespräche im Außenhandelsministerium.

Ich habe immer genau die Ausstattung des Zimmers notiert, ob der Kalender aktuell war – in mehreren Zimmern war er 2 bis 3 Tage alt – dann hab ich beobachtet, wieviele Telefone da stehen: zwei, drei. Dann kam eine Sekretärin rein und andere Personen und waren erstaunt, wer da als Verhandlungspartner saß. Nicht der Büroinhaber.

Es baute sich Offiziöses auf, aber nie eine eingestandene Erklärung. In keinem der Verträge gibt es ein Rubrum. In einem hieß es „unter Fortsetzung auf höchster Ebene getroffener Vereinbarungen“ – damit war der Schmidt-Besuch gemeint – na ja, ist auch kein Rubrum.

Irgendwann tauchte die Frage auf, wer ein Minister Drăgan ist. Als solcher ließ er sich durch die rumänische Botschaft bei Genscher anmelden – wo es in Rumänien zu jenem Zeitpunkt keinen Minister mit diesem Namen gab. Sie können sich die Dreistigkeit vorstellen! Irgendwann tauchte er am Foto hinter Ceau{escu beim Besuch von Henry Ford in Bukarest auf – und das wurde mir zugespielt. Ich habe gefragt, wer ist es denn, und erhielt die Auskunft Nicolescu, der Chef der Securitate. Seine wahre Identität: Nicolae Doicaru (der Leiter der Direktion Außenspionage 1959-1978. Anm. – HB)

Die Gespräche mit der rumänischen Seite wurden in Bukarest ab Mitte der 1980er abgehört, wie dem Dokumentenband „Recuperarea“ zu entnehmen. Geschah dasselbe auch in Deutschland?

Ich gehe davon aus, dass von Anfang an abgehört wurde und dafür waren auch die entsprechenden Einrichtungen da. In Deutschland ist nie abgehört worden. Das gibt’s hier nicht. Es sei denn, wir haben Verhandlungen in der rumänischen Botschaft geführt. Ich würde also sagen, auf deutschem Rechtsgebiet wurde nicht abgehört, in der rumänischen Botschaft nehme ich an, dass es getan wurde.

Ihre rumänischen Gesprächspartner geben in ihren Berichten viele Aussagen von Ihnen über Kohl, Genscher, die innenpolitische Lage im Vorfeld von Wahlen in Deutschland, die deutsch-sowjetischen Beziehungen, jene zu Honecker, usw. wieder. Innenminister Postelnicu leitet die Informationen oftmals an Ceauşescu weiter. In welchem Kontext sind diese Aussagen gemacht worden? Wenn man die heute liest, erhält man den Eindruck, Sie seien „abgeschöpft“ worden.

Das Abschöpfen ist eine bekannte wechselseitige Methode. Anfänglich haben die Rumänen versucht, mich wie Dreck zu behandeln, erst nach und nach wurden sie zunehmend freundlicher. Dann konnte ich den Fall Nanu (eines in Deutschland ertappten rumänischen Spions – Anm. HB) lösen. Das war eine kleine Sensation.

Ich habe vier Regierungswechsel in dem Auftrag überstanden – für sie eine weitere Sensation. Die rumänische Seite hat mich beobachtet und sie konnte das. Wir haben absolut offenes Haus gespielt und einige der rumänischen Verhandlungspartner waren wiederholt auch während der Wahlkämpfe hier gewesen. Da haben wir immer über Politik gesprochen. Manchmal in der Absicht, was zu lancieren, manchmal wollte ich hören, was der eine oder andere so sagt. Ich glaube sagen zu können, irgendein Geheimnis hat man in der Bundesrepublik ja kaum, da kann man jederzeit alles in der Zeitung lesen, mehr als jeder Geheimdienst herausfindet. Die brauchten eigentlich nur die deutschen Zeitungen zu lesen. Aber das taten sie nicht.

Inwieweit war die Bundesregierung bzw. welche Stellen über die vertraulichen Vereinbarungen informiert? An wen sandten Sie nach den jeweiligen Treffen mit den rumänischen Unterhändlern Berichte?

Das kann ich nicht umfangreich und verlässlich berichten. Nach dem Koalitionswechsel 1969 wurde das Bundesministerium für Vertriebene und Flüchtlinge aufgelöst und es entstand eine Abteilung des BMI unter dem Staatssekretär Nahm. Diese Abteilung blieb mein Ansprechpartner, in dringenden oder heiklen Fragen hatte ich aber Zugang zu Innen- und später Außenminister Hans Dietrich Genscher oder zu Bundeskanzler Helmut Kohl. Ich weiß, dass wichtige Fragen auch auf Kabinettsebene besprochen und mit dem Auswärtigen Amt abgestimmt wurden. Aus späteren Vorgängen muss ich entnehmen, dass das Auswärtige Amt relativ umfangreich unterrichtet war, weil ich vermute, dass Indiskretionen sich namentlich in diesem Bereich abgespielt haben.

Den in „Recuperarea“ veröffentlichten Dokumenten zufolge entsteht der Eindruck, dass die deutsche Seite auf die Forderungen der rumänischen Seite stets eingegangen ist und die Kopfgeldzahlungen erhöht hat.

Das ist ganz klar falsch. Das zu belegen, muss ich erwarten, dass die Protokolle gelesen werden und das sind Leitzordner voll. Schon in der ersten Verhandlung in Bukarest – und in der zweiten Besprechung in Wien – haben wir die von der rumänischen Seite gestellten Forderungen nicht akzeptiert. Sie wollte 2000 DM für jeden Auszusiedelnden haben und wir einigten uns auf 1700.

Dann wollte die rumänische Seite einen Vorschuss von 400.000 DM, und zwar ohne Quittung. Haben wir nicht getan. Und es gab jedes Mal unterschiedliche Auffassungen über die Kategorien, für die gezahlt wird.

Ein Punkt, der immer wieder eine Rolle spielte – insbesondere beim Schmidt-Besuch – war: Wer erstellt die Listen. Und was wird eigentlich bezahlt: die Erteilung der Ausreisegenehmigung, die Aushändigung der Pässe, das Verlassen des rumänischen Staates, das Eintreffen an der deutschen Grenze? Letztendlich zustandegekommen ist die Registrierung auf deutschem Gebiet. Darüber gab es sehr lange, heftige Auseinandersetzungen, bis die rumänische Seite einsah, dass wir ja nicht für Genehmigungen bezahlen können, die wir nicht sehen.

Dann war die Frage umstritten, wer die Listen der Ausreisenden erstellt. Die rumänische Seite hat strictissime abgelehnt, dass wir die Listen zusammenstellen und übergeben. Dann war die Frage, wie erklärt sich die rumänische Seite uns gegenüber mit Listen. Die rumänische Seite hat sich zunächst geweigert, uns Listen auszuhändigen. In Wien, bei der zweiten Verhandlung, konnten wir erstmals in Listen hineingucken.

Dann kam die Frage des Vorschusses: 400.000 DM. Die Summe haben wir nicht akzeptiert, das hatte ich Staatssekretär Gerd Lemmer empfohlen. 200.000 DM ist ein Risiko, das kann man eingehen, hab ich ihm gesagt. Wenn Sie das nicht wollen – und er wollte es ursprünglich nicht – dann haben Sie die gesamte Verantwortung für ein etwaiges Scheitern – falls die rumänischen Ersuchen seriös sind. Er hat sich dieser Empfehlung gebeugt. Das war 1968.
Dann liefen ein Jahr lang die mündlich festgelegten Bedingungen.

Ende 1968 kam die rumänische Seite und sagte: Wir sind auch bereit, einen Vertrag abzuschließen, machen Sie einen Entwurf. Als ich mit dem Entwurf kam, hieß es: Nein, machen wir nicht. Ich erklärte, sie hätten das mündlich zugesagt und für uns sei es wichtig, denn ich habe ein großes persönliches Risiko eingegangen – die rumänische Seite hatte inzwischen mehrere Hunderttausend DM bekommen und ich keine Quittung. Das ging hin und her, bis im März 1969 das erste schriftliche Abkommen in Stockholm unterzeichnet wurde.

In dem von mir gemachten und in der Verhandlung nochmals korrigierten Entwurf spielte eine große Rolle zunächst die Dauer des Vertrags: ein Jahr. Dann ist die Zahl der Ausreisenden genannt: 6000 pro Jahr. Festgehalten worden sind die Beträge für die Kategorien von Ausreisenden und dass die Registrierung in Deutschland bezahlt wird.

Dann entspannte sich eine lange Diskussion über die Einleitung des Vertrages, der Jurist sagt das Rubrum. Bis dahin gab es eine Formulierung, die wir mit Staatssekretär Lemmer vereinbart hatten: Die rumänische Seite legitimiert sich durch Ausreisen, die deutsche Seite durch Zahlungen und keiner fragt danach. Wir hätten gerne ein Rubrum gehabt, wie auch immer es ausgesehen hätte. Das lehnte die rumänische Seite ab. Ich hatte die Ermächtigung zu verzichten. Das war uns völlig egal, die Personen waren uns wichtig und dass die dauerhaft eintreffen. Dann wollte die rumänische Seite, wir sollen auch für alle Ausreisen nach Österreich bezahlen. Da musste ich ihnen sagen, dass sie das von uns nicht erwarten könnten.

An das Zustandekommen des Vertrags in Stockholm hatte mein Auftraggeber nicht geglaubt, das hat er mir nachher gesagt. Es war mein Vorschlag gewesen, es zu versuchen, auch mein Risiko. In dem Vertrag spielt auch eine weitere Vorschussleistung eine Rolle, die sie haben wollten und die wir abgelehnt haben. Zustandegekommen ist aber, dass bei mir auf anwaltlichem Konto 500.000 DM hinterlegt werden und ich der rumänischen Seite die Hinterlegung nachweise – damit blieb das Geld aber bei uns.

Dieser Vertrag von 1969 enthält wesentlich weniger, als die Rumänen verlangt haben. Die beiden Dolmetscher Bucur und Oprea haben nachher zu Papier gebracht, dass die deutsche Seite das Äußerste erreicht hat, nicht aber die rumänische Seite. 

1969 kam durch den Einjahresvertrag der Durchbruch, den wickelten wir ab. Ende 1969 sagte die rumänische Seite: Wir sind bereit, noch mehr abzuschließen. Bevor ich den Entwurf für den ersten schriftlichen Vertrag gemacht hatte, legten die Bürokraten in Bonn einen solchen vor. Das war die schlichte Katastrophe. Ein typischer deutscher Beamtenvertrag. Da hab ich Staatssekretär Lemmer unter vier Augen gesagt, das geht so nicht.

Der zweite Vertrag wurde am 7. März 1970 für die Dauer von fünf Jahren unterzeichnet. Die Bedingungen standen fest. Nun kam die rumänische Seite und wollte ein Darlehen haben, von zunächst 10 Millionen DM. Meine Frage lautete: Wer soll das Darlehen geben und wer nimmt das Darlehen? Ja das ist absolut sicher, darauf können Sie sich verlassen, haben sie gesagt. Wir haben abgelehnt. Später verlangten sie ein Darlehen von 100 Millionen DM, in weiteren Verhandlungen wird die Vermittlung eines Kredits von 200 Millionen vereinbart. Ursprünglich sollte dieser Kredit auf meine Person aufgenommen werden, ohne Sicherheiten. Das haben wir nicht akzeptiert. Wir haben gesagt, wir können einen Kredit von einer Bank vermitteln. Letztendlich kam ein Darlehensvertrag mit der Bank für Entwicklung und Wiederaufbau zustande.

So zieht sich das durch die gesamten Verhandlungen hindurch. Die rumänische Seite hat immer schon innerhalb der fünf Jahre mehr von uns verlangt, mit dieser oder jener Begründung. Irgendwann kam sie mit der Idee – der Dollar war gestiegen – den Vertrag in Dollar zu schließen. Wir haben gesagt, wir sind ein souveränes Land, machen wir nicht. Dann wollten sie eine Verknüpfung der Sätze mit dem Dollarkurs und dem Ölpreis. Alles in der Diskussion. Da habe ich gesagt, wir haben eine feste Vereinbarung, wir halten uns da dran und bleiben dabei.


TEIL I

TEIL III

TEIL IV