„Es war entscheidend, dass die Rumäninnen und Rumänen ihren Rechtsstaat und damit unsere gemeinsamen Werte verteidigt haben“

ADZ-Abschiedsgespräch mit Cord Meier-Klodt, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Rumänien

Bildquelle: Deutsche Botschaft

Deutschlands außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter in Rumänien, Cord Meier-Klodt (63), verabschiedet sich Ende dieses Monats von unserem Land. Der deutsche Diplomat hat Rumänien durch eine äußerst schwierige und turbulente Zeit begleitet, war Zeuge der zahllosen Attacken der PSD-Regierungen und -Mehrheit auf Justiz und Rechtsstaat gewesen und auch der hartnäckigen Versuche so mancher rumänischer Politiker, sich über das Gesetz zu stellen. Gemeinsam mit den Botschaftern der USA, Kanadas, Frankreichs, Belgiens und der Niederlande hatte Meier-Klodt 2017 die Regierung Grindeanu in einer präzedenzlosen Stellungnahme aufgefordert, den Rechtsstaat nicht auszuhebeln und den Kampf gegen die Korruption nicht rückgängig zu machen. 
Mit dem scheidenden deutschen Botschafter sprach ADZ-Redakteurin Lilo Millitz-Stoica sowohl über seine Amtszeit in Rumänien als auch über Zukunftsperspektiven.


Exzellenz, wie erlebt man als Diplomat eine derart brachiale Aushebelung des Rechtsstaats, wie sie Rumänien bis 2019 erlebt hat? Und inwiefern hat der Druck der westlichen Diplomaten und Politiker letztlich noch Schlimmeres verhindern können?

Meine Amtszeit begann Anfang 2017 tatsächlich mit einem innenpolitischen Paukenschlag. Der hatte auch einen Namen: „Regierungsverordnung Nr. 13“. Da musste sehr schnell entschieden werden, wie wir uns auch als Diplomaten positionieren. Einfach nur zuzuschauen und nach Hause zu berichten, schien mir keine Option, weil klar war, dass es um unsere gemeinsamen europäischen Werte insgesamt ging und dass wir offensiv Stellung für den Rechtsstaat beziehen mussten. Rasch hat sich dann eine Gruppe sogenannter „likeminded“ gebildet, also gleichgesinnter Botschafter, die hier ganz klar und auch öffentlich Stellung bezogen haben. Inwieweit diese Gruppe dann dazu beigetragen hat, wie Sie sagen, „Schlimmeres zu verhindern“, ist natürlich schwer zu bewerten. Wie soll man das messen? Die Entwicklung hat dann aber auf jeden Fall gezeigt, dass es richtig war, sich hier ganz klar zu positionieren, sich hinter den Staatspräsidenten und weite Teile der Zivilgesellschaft zu stellen. Und es ist in der Tat so, dass mir im Laufe der Zeit viele Einzelpersonen gesagt haben, wie wichtig es war, dass wir ihnen in diesen schwierigen Momenten zur Seite standen.

Die politische Horror-Zeit hatte jedoch auch ihre Lichtblicke – nämlich die äußerst lebendige rumänische Zivilgesellschaft, deren ebenso dezidierter wie zäher Einsatz für die europäischen Werte nicht einmal mit Tränengas und Polizeiknüppeln zu stoppen war. Wie lautet nach einem derartigen Mandat nun Ihr ungeschöntes Fazit zu Rumänien?

Mein schönes Fazit ist, dass es ganz entscheidend die Rumäninnen und Rumänen selbst waren, die „ihren“ Rechtsstaat und damit „unsere“ gemeinsamen Werte verteidigt haben. Das war eine große Bewährungsprobe für die noch relativ junge Demokratie. Ich bin sehr froh, dass Rumänien diese Zeit aus eigenen Kräften überwunden hat und dass die jetzige Regierung nun daran arbeitet, die Justizreformen von damals zu korrigieren. Auch das wird, wie wir dieser Tage sehen, politisch nicht ganz einfach. Für jeden Schritt muss ja die notwendige Mehrheit im Parlament geschmiedet werden. Aber das sind doch im Wesentlichen übliche Auseinandersetzungen im parlamentarischen Raum einer lebhaften Demokratie.

Rumänien kann jetzt im Prinzip sehr schnell Vertrauen aufbauen und sich europapolitisch und international profilieren. Sicherheitspolitisch spielt es ja schon eine sehr wichtige Rolle an der Südostflanke Europas. Und auch wirtschaftspolitisch bleibt es gerade für die deutsche Wirtschaft ein sehr attraktives Pflaster, was in diesen Krisenzeiten gar nicht so selbstverständlich ist. Denn der ganze Bereich der Automobilindustrie, gerade auch der so wichtigen Zulieferindustrie, war ja schon lange vor Corona in einem tiefen Umbruch hin zu mehr Elektromobilität. Dass deutsche Investoren wie etwa die Firma Dräxlmeier gerade ihren Willen deutlich gemacht haben, dreistellige Millionen-Euro-Beträge im Land neu zu investieren, ist dafür ein beson-ders schöner Beleg. Ich appelliere gegenüber unseren rumänischen Partnern daher mit Nachdruck dafür, diese Gunst der Stunde zu nutzen, um aktiv nach außen zu kommunizieren, wo sich ausländische Partner jetzt engagieren können und wie man sie dabei unterstützen kann. Sozusagen: Warum Rumänien gerade jetzt? Das Interesse daran auf deutscher Seite ist groß.

Die aktuelle Koalition bekräftigt ihren Reformwillen zwar regelmäßig, hat jedoch in puncto Rücknahme der Gegenreformen der PSD im Justizbereich de facto wenig bis nichts getan; der Kooperations- und Kontrollmechanismus der EU-Kommission in diesem Bereich bleibt dem Land, zum Leidwesen seiner Politiker, daher vorerst weiter erhalten. Sind Sie vom eher mauen Reformtempo, das die bürgerliche Koalition an den Tag legt, enttäuscht oder hatten Sie es erwartet?

Was heißt schon enttäuscht? Mit Verlaub, Enttäuschung ist in meinen Augen keine diplomatische Denkkategorie. Natürlich würde ich mir wünschen, dass das eine oder andere noch schneller ginge. Etwa die Justizreformen und das Abarbeiten der verbliebenen CVM-Auflagen. Der EuGH hat ja ebenfalls in seiner Entscheidung im Mai klar unterstrichen: der Monitoring-Bericht der EU-Kommission ist nicht Kür, sondern Verpflichtung. Oder die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur und die Ausweitung der dualen Berufsbildung im ganzen Land – das würde so viele neue Entwicklungschancen bieten. Aber was zunächst zählt, ist der Wille dazu, den die Regierung von Beginn an deutlich gemacht hat. Ich hoffe daher, dass es ihr nun auch zügig gelingen wird, die richtigen Weichenstellungen zu treffen und die notwendigen politischen Mehrheiten zu schmieden, um den ehrgeizigen Zeitplan von Reform und Wiederaufbau auch durchzusetzen.

Wären Sie mit der Behauptung einverstanden, dass der Reformwille der Bürger hierzulande weit höher als jener der Politiker ist? 

Ich überlege gerade, welche von zwei sich widersprechenden Antworten ich darauf geben sollte. A: Ich bin gar nicht so sicher, ob das wirklich so ist. B: Ist es nicht fast überall so? Aber im Ernst: Politik ist doch immer die Kunst des Machbaren. Das heißt eben auch Abwägung, Kompromissfähigkeit und manchmal eben auch Umwege, bis man zum Ziel gelangt. Aber natürlich gibt es viele Bereiche, in denen Rumänien nun deutlich an Tempo zulegen muss. Vor allem bei der Weichenstellung hin zu einer „grünen“ Wende im Energiebereich und umweltfreundlichem, nachhaltigem Wachstum sowie zu einer schon erwähnten besseren Verkehrsinfrastruktur. Hier muss nun mit Mitteln des Aufbau- und Resilienzplanes PNRR nachgearbeitet werden, was andere EU-Mitglieder mit früheren EU-Finanzpaketen finanziert haben. Die rumänische Politik muss da sicher etwas Fingerspitzengefühl an den Tag legen, um Brüssel von der Notwendigkeit von Übergangslösungen und der richtigen Mischung neuer und alter Prioritäten zu überzeugen. Was zählt, ist aber auch hier, dass Rumänien die gemeinsam gesteckten Ziele voll teilt. Insofern bin ich zuversichtlich, dass die Verhandlungen mit der EU-Kommission zu einem guten Ergebnis führen werden. Der PNRR ist dabei eine echte Chance für Rumänien, es kann jetzt einen riesigen Sprung nach vorn machen. Und das erwarten die Bürgerinnen und Bürger auch.

In einem vor rund zwei Jahren gestiegenen Gespräch mit der ADZ sagten Sie, dass die „EU eine Gemeinschaft gemeinsamer Werte sein“ muss, an die sich „alle zu halten haben“. Finden Sie die EU inzwischen besser aufgestellt – insbesondere in puncto „Rechtsstaatssünder“, zu denen ja auch Rumänien zeitweilig gehört hat?

Die EU ist zumindest insofern besser aufgestellt, als inzwischen ein Rechtsstaatsmechanismus etabliert wurde, der turnusmäßig alle Länder gleichberechtigt einer regelmäßigen Inspektion unterzieht. Das ist auch deswegen wichtig, weil ja gegenwärtig gerade auch Mitgliedstaaten, die schon weit länger als Rumänien Mitglied der EU sind, in diesem Bereich Defizite aufweisen. Für Rumänien selbst gilt das oben Gesagte: Es hat sich richtige Ziele gesetzt und inzwischen große Schritte in die richtige Richtung gemacht. Jetzt gilt es, nicht nachzulassen, sondern stetig und entschlossen insbeson-dere an der Erfüllung der verbliebenen Auflagen und Empfehlungen des CVM zu arbeiten.

Und was ich vor zwei Jahren gesagt habe, gilt uneingeschränkt weiter. Die EU ist natürlich eine Union gemeinsamer Interessen, vor allem aber eine Union gemeinsamer Werte. Das macht sie so einzigartig in der Welt. Leider haben wir inzwischen auch lernen müssen, wie schwierig es ist, Mitglieder, die zentralen Werten zuwiderhandeln, wieder auf Kurs zu bringen. Die EU-Kommission hat dafür bestimmte Instrumente – als stärkstes das Art.7-Verfahren –, und auch die Auszahlungen von EU-Geldern sind grundsätzlich an rechtsstaatliche Kriterien geknüpft. Wir sehen aber auch, wie mühsam es ist, diese durchzusetzen. Es wäre daher viel besser, wenn Wohlverhalten und Respekt für unsere Werte nicht auf Druck angewiesen wäre, sondern aus dem richtigen Selbstverständnis für unsere gemeinsamen Interessen erfolgen würde. Leider klingt dies derzeit wie Wunschdenken.

Wegen der häufigen Blockaden bzw. Vetos einiger „Rechtsstaatssünder“, allen voran Ungarn, hat der deutsche Außenminister Heiko Maas erst kürzlich ein Ende des Einstimmigkeitsprinzips in der EU-Außenpolitik gefordert. Man dürfe sich nicht von einzelnen Ländern „in Geiselhaft nehmen lassen“, so Maas. Welche Erfolgsaussichten hätte ein derartiger Vorstoß und wie schnell ließe er sich umsetzen?

In der Außenpolitik gilt im Moment noch das Prinzip der Einstimmigkeit. Das zu ändern und das Veto in der europäischen Außenpolitik abzuschaffen oder zumindest aufzuweichen, wird eine mühsame Aufgabe. Es geht dabei tatsächlich darum, dass nicht ein Mitgliedstaat den politischen Willen und die Übereinstimmung aller anderen Mitgliedstaaten bei außenpolitischen Themen komplett behindern kann. Auf dem Spiel steht dabei die außenpolitische Schlagkraft der Europäischen Union. Denn wir müssen heute in einer Welt komplexer, hybrider Bedrohungen und zuwiderlaufender Interessen als EU immer schneller handlungsfähig sein. Einfach wird das sicher nicht – zumal einzelne Mitgliedsstaaten jetzt bereits von zu viel politischer Vergemeinschaftung sprechen. Man wird also behutsam, aber mit Bestimmtheit vorgehen müssen, um für einen solchen Schritt die notwendige kritische Masse an Unterstützung zu bekommen.

In Ihrem Land stehen Ende September Bundestagswahlen an, Bundeskanzlerin Angela Merkel tritt bekanntlich nicht mehr an. Wie tief dürfte die anstehende politische Zäsur Ihrer Meinung nach ausfallen, womit muss Europa rechnen?

Bundeskanzlerin Merkel war tatsächlich über viele Jahre eine große politische Konstante, nicht nur innen- und europapolitisch, sondern auch auf der übrigen internationalen Bühne. Ihre Erfahrung ist sicher nicht einfach zu ersetzen. Aber: Wandel und politische Neubesinnung gehören nun mal zu den Grundfesten der Demokratie und werden letztlich auch meinem Land guttun, davon bin ich überzeugt. Und außerdem wird unabhängig vom Wahlergebnis, möglichen neuen Koalitionen und einer neuen Kanzlerin oder einem neuen Kanzler eines konstant bleiben: Das parteiübergreifende Bekenntnis zu Europa und zu unserer multilateralen Verantwortung. Und auch unser Selbstverständnis als solidarischer, verlässlicher Bündnispartner steht nicht zur Disposition.

Ich kann mich im Übrigen noch sehr gut an die Anfangszeit der Bundeskanzlerin Merkel erinnern, wo einige überzeugt waren, „sie kann es nicht“! Und siehe da, sie konnte es, und zwar sehr schnell und immer besser!

Exzellenz, wir danken Ihnen für das Gespräch und wünschen Ihnen alles Gute für die Zukunft.