„Für mich bedeutet Temeswar Aufbruch“

Gespräch mit dem Bürgermeisterkandidaten Dominic Samuel Fritz (II)

Auch wenn er zum Bürgermeister von Temeswar gewählt wird, möchte Dominic Samuel Fritz das von ihm initiierte „Timişoara Gospel Project“ weiterführen. Foto: Zoltán Pázmány

In einer Ihrer öffentlichen Reden haben Sie unter anderem erwähnt, dass man im Rathaus Temeswar Ordnung machen müsste, bzw. dass man dort kompetente Leute braucht. Angesichts der Tatsache, dass es recht schwierig ist, Beamte zu feuern, müssten Sie versuchen, Mentalitäten zu ändern. Wie glauben Sie, könnten Sie das schaffen?

Ich bin studierter Politik- und Verwaltungswissenschaftler und ich glaube, wir dürfen nicht zu schnell personalisieren. Es geht nicht einfach nur um einzelne Personen und deren Kompetenzen, sondern auch um Strukturen, also um die Frage, wie wir eigentlich so ein Bürgermeisteramt strukturieren. Es geht um Abläufe, Prozeduren usw. Wenn zwei Referate nicht miteinander kommunizieren, dann hat das möglicherweise nicht mit den Personen zu tun, sondern vielleicht mit der Art und Weise, wie wir unser Organigramm aufbauen oder wie wir die internen Abläufe planen. Ich glaube, dass da sehr viel zu machen ist, denn wenn man sich das aktuelle Organigramm der Stadtverwaltung anschaut, dann erfasst einen das große Grausen. Und das hängt natürlich mit der Antwort auf die zweite Frage zusammen, dass eine der wenigen Möglichkeiten, die Beamten loszuwerden, eben eine Umstrukturierung ist. Wenn wir aber ständig irgendwelche absurden Umstrukturierungen haben, so führen diese nur dazu, den nächsten Direktor loszuwerden, und wir verlieren den Blick dafür, wie eigentlich eine funktionierende Organisation aussieht. Das ist sehr, sehr schwierig. Tatsächlich ist es wichtig, dass man von vornherein auch den politischen Willen zeigt, eine funktionierende Stadtverwaltung auf der Basis von Effizienz, Transparenz und Kompetenz aufzubauen. Leider hat der aktuelle Bürgermeister den Fehler gemacht, nicht von Anfang an diesen Willen an den Tag zu legen. Stattdessen hat er alle möglichen Kompromisse gemacht und selbst auch Leute in die Stadtverwaltung geholt, die nicht wirklich die kompetentesten sind. Es ist nicht so, dass er versucht hat, sieben Jahre lang die Inkompetenten loszuwerden und die neuen Leute, die er anstellt, nur kompetente Leute sind, vielmehr ist er Teil des Problems. Wenn man sich anschaut, wen er alles ins Rathaus geholt hat, dann rollen sich einem die Zehennägel hoch, und das wäre für mich ein Teil der Antwort.

Erstens muss man sich die Strukturen anschauen, zweitens Leute strikt auf Kompetenz-Basis ins Boot holen. 
Der Bürgermeister darf sein persönliches Büro, also seine vier persönlichen Berater mehr oder weniger frei bestimmen. Ich habe mir vorgenommen, selbst das über eine öffentliche Ausschreibung zu machen. Ich will niemanden in der Stadtverwaltung politisch besetzen. Natürlich kann es sein, dass Leute meiner Partei diese Wettbewerbe gewinnen, denn ich habe sehr gute Leute in der Partei, aber Parteizugehörigkeit darf nicht das ausschlaggebende Kriterium sein. Und dann kommt natürlich hinzu, weil Sie nach Mentalitäten gefragt haben – und ich versuche, das mit sehr viel Respekt zu sagen –, dass auch dieser Bürgermeister aus einer völlig anderen Zeit kommt. Und dass die Art und Weise, wie er führt und wie er Verwaltung versteht, im Grunde genommen aus dem letzten Jahrhundert oder sogar aus dem letzten Jahrtausend stammt. Mit einem neuen Verständnis von Führung, von Verwaltung kann man viel verändern. Denn eines ist klar: Es gibt viele Leute, auch im Rathaus, die selber auch frustriert sind, die auch keinen Spaß haben, weil die Sache nicht läuft, und die nur warten, dass ein bisschen frischer Wind reinkommt.

Eines Ihrer Mottos lautet: Wir werden zusammen den Geist von Temeswar wieder zum Leben erwecken. Was ist dieser Geist von Temeswar?

Erstmal ist es der Grund, warum ich hier bin und warum ich auch Bürgermeister dieser grandiosen Stadt werden will. Das ist wirklich etwas, was mich seit über 16 Jahren berührt, beschäftigt und fasziniert. Dieser Geist hat ganz grundsätzlich auch mit der Vielvölkerschaft zu tun, mit der Tatsache, dass in Temeswar seit Jahrhunderten ganz viele Kulturen friedlich zusammenleben. Viele andere Dinge, die mich an Temeswar faszinieren, z. B. eine gewisse Kreativität, ein Innovationsgeist, kommen auch daher. Denn dort, wo verschiedene Menschen unterschiedlicher Kulturen, unterschiedlicher Konfessionen, die unterschiedliche Sprachen sprechen, miteinander leben, gibt es auch kleine Konflikte, es gibt Spannungen, aber eben diese sind ein Motor für Innovation. Für mich bedeutet Temeswar Aufbruch. Dieser Aufbruch ist ein bisschen in den letzten Jahrzehnten ins Stocken geraten, aber Temeswar ist in seiner Geschichte vorangegangen, es hatte immer neue Ideen und hat sich nie gescheut, Avantgarde zu sein. Bei der Revolution ist nochmal dieser Funke aufgesprüht, dass die Temeswarer die Mutigsten in ganz Rumänien waren und den ersten Schritt gemacht haben und vorangegangen sind. Ja, das wünsche ich mir auch für das Temeswar von heute und ich möchte gerne Teil dieses Aufbruchs sein.

Dieser Geist der Toleranz scheint manchmal verloren gegangen zu sein, z. B., wenn man sich manche Kommentare im Internet anschaut, bei denen die Leute fragen, wieso wir nicht einen rumänischen Bürgermeisterkandidaten finden konnten. Es sind immer noch viele Bürger sehr nationalistisch eingestellt. Wie werden Sie diese Leute überzeugen, für Sie zu stimmen?

Ich mache es den Leuten sogar doppelt schwer. Ich bin kein Deutscher mit rumänischer Staatsbürgerschaft, sondern Deutscher, der in Deutschland geboren ist und der auch nur die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Und das ist, glaube ich, nicht nur in Rumänien, sondern auch in Europa eine Ausnahme, dass jemand für ein politisches Amt ganz dezidiert als Europäer kandidiert, ohne die Staatsbürgerschaft zu haben. Das ist mir schon bewusst, dass ich damit den Leuten schon etwas an europäischer Phantasie abverlange. Gleichzeitig glaube ich aber auch, dass genau Temeswar die richtige Stadt ist, in der so etwas funktionieren kann. Und, ehrlich gesagt: Die Reaktionen, die ich bekomme, sind überwältigender Weise positiv, viel positiver, als ich gedacht hatte. Mein Eindruck ist, dass – wie Sie es genannt haben – die nationalistischen Stimmen, die ein ganz grundlegendes Problem damit haben, dass ich Deutscher oder dass ich katholisch bin, wirklich nur eine Minderheit bilden. Meine Aufgabe ist nicht unbedingt, hundert Prozent der Temeswarer davon zu überzeugen, mich zu wählen. Wir leben in einer Demokratie und es mag Leute geben, die hier keinen deutschen Namen wollen. Mein Eindruck ist aber, dass die überwältigende Mehrheit der Temeswarer wissen will, ob ich diesen Job machen kann und ob ich ein guter Bürgermeister wäre, und dass sie sich wirklich nicht dafür interessiert, was in meinem Pass steht.

Sie sind bekannt als sehr empathisch, sehr menschenfreundlich. Ist diese Empathie in der Politik und gerade in der rumänischen Politik ein Vorteil oder eher ein Nachteil?

Das ist eine sehr interessante Frage. Ich glaube, man darf Empathie und Menschenfreundlichkeit nicht mit Schwäche oder Weichheit verwechseln. Denn Menschenfreundlichkeit heißt für mich auch, dass ich meine Krallen dort ausfahre, wo ich das Gefühl habe, dass Menschen benachteiligt werden. D. h. dort, wo ich den Eindruck habe, dass Korruption oder Nepotismus herrschen. Da heißt für mich dann Empathie, Empathie für diejenigen, die verlieren, und das ist nämlich die Mehrheit der Temeswarer, die durch dieses System verliert; und dann mit der angemessenen Härte gegenüber denen auftreten, die solche Spielchen spielen. Ich bin das gewohnt und mich stört es nicht, dass ich politisch unterschätzt werde. Meine Toleranz für Mauscheleien ist sehr niedrig.

Ein Teil des politischen Problems ist, dass wir eben Politikertypen haben, die eine sehr, sehr veraltete und sehr hierarchische Vorstellung von politischer Führung haben, die erwarten, dass die Leute die Klappe halten und das tun, was ihnen gesagt wird. Das ist natürlich sehr praktisch, wenn man Chef ist, aber es ist nur dann praktisch, wenn man selber alle Probleme lösen will und für alles selber die Antwort hat. Die Probleme sind heutzutage so komplex, selbst auf lokaler Ebene, dass man Leute und auch Bürger braucht, die ihren eigenen Kopf und ihre eigene Meinung haben, und die sich an diesem Prozess der Veränderung beteiligen. Und um genau das managen zu können, braucht man Empathie und muss zuhören können. Gott hat uns zwei Ohren gegeben und nur einen Mund, also müssen wir doppelt soviel zuhören wie sprechen, und ich glaube, dass das eine Qualität ist, die wir immer mehr in der Politik brauchen. Vielleicht sind auch deshalb die Reaktionen auf meine Kandidatur so positiv, weil die Menschen merken, das ist ein neuer Typ von Politiker und das ist das, was wir für einen Neuanfang brauchen.

Stellen wir uns vor, dass Sie tatsächlich Bürgermeister von Temeswar werden. Womit fangen Sie an?

Als Erstes werde ich eine Art Röntgenaufnahme der Finanzen der Stadt und auch der Strukturen innerhalb der Verwaltung machen, übrigens auch in den öffentlichen Firmen, die sich in Besitz der Stadt befinden. Vieles ist einfach nicht klar, weil die Sachen so intransparent sind, und das, was wir von außen sehen, ist nur die Spitze des Eisbergs. Wir brauchen eine Art Audit der Finanzen und der Strukturen und natürlich auch der Personalsituation, um erst mal Klarheit zu bekommen. Ansonsten, um politisch konkret zu werden, werde ich sehr, sehr schnell ein Team aufbauen müssen, das sich ganz speziell um das Projekt Europäische Kulturhauptstadt kümmert, denn sechs Monate nach der Wahl wird Temeswar Kulturhauptstadt Europas sein und da hinken wir derzeit weit, weit hinterher. Vieles haben wir leider auch schon verloren und können es gar nicht mehr nachholen. Aber eine wahnsinnig hohe Priorität wird der Aufgabe eingeräumt werden, alles so zu planen, dass es nicht zu einem Desaster kommt. Und da geht es nicht um das Kulturprogramm selbst, sondern um alles drumherum, um Sicherheitsfragen, um Verkehrsplanung, da ist wahnsinnig wenig geschehen und das beunruhigt mich ein wenig.
In der Nahverkehrsgesellschaft werde ich relativ schnell Reformen anstoßen müssen und auch können. Wir werden die Verwaltungsräte nach der Wahl neu besetzen, sodass wir da relativ schnell auch Veränderungen sehen werden.

Gibt es eine Frage, auf die Sie gerne geantwortet hätten und die ich Ihnen nicht gestellt habe? 

Wir haben nur über den Moment gesprochen, wenn ich Bürgermeister bin und die Probleme dann, aber für mich sind auch der Wahlkampf und die kommenden Monate sehr wichtig. Ich habe jetzt meinen Job mehr oder weniger gekündigt und werde die nächsten Wochen dafür nutzen, mit Sack und Pack in meine Wohnung in der Josefstadt einzuziehen, denn bisher bin ich zwischen Berlin und Temeswar gependelt. Ich freue mich wahnsinnig darauf, im Wahlkampf Temeswarer kennenzulernen, einfache Menschen, auch Leute, die sich hier engagieren, denn es gibt so viele, die hier ganz tolle Projekte machen und Gruppen gründen, als Unternehmer aktiv sind, usw. und die im Moment frustriert sind, weil die Sachen auf der Politik- und Verwaltungsebene nicht richtig laufen. Mein großer Wunsch ist, all diese Menschen zusammenzubringen und gemeinsam – anstatt uns über das System zu ärgern – das System zu verändern.