Geschichte im Spiegel der Gefühle

Eine andere Art von Oral History: Was dachten die Rumänen von den Siebenbürger Sachsen?

Auf der Buchvorstellung (von links nach rechts): Dr. Antonio Momoc , Dr. Cosmin Budeancă, Dr. Florian Banu, Prof. Dr. Zoltán Rostás.
Foto: George Dumitriu

„Wer keinen eigenen Boden hatte, der ging immer zu den Sachsen“, erzählt die alte Frau. „Die Frauen webten und wuschen bei den Sachsen, sie machten Leintücher aus Hanf“. – „Mädchen und Jungen waren Freunde, aber sie heirateten nicht. Nein, kein Gedanke an eine Heirat zwischen Rumänen und Sachsen.“ – „Es gab Deportierte, ja“, antwortet sie dann bereitwillig auf die nächste Frage. „Eine Frau hier bei uns, erst letztes Jahr ist sie gestorben, sie hatte ein vierwöchiges Kind an der Brust, sie haben es ihr weggerissen, sie weggezerrt und weggebracht. Sie ließen das Kind bei den Alten.“ – „Hier bei uns haben sich einige Mädchen versteckt, die Nachbarinnen vom Schwiegervater. Sie suchten sie mit hölzernen Spießen. Die stachen sie ins Heu, um sie zu finden.“ Zum Schluss des Interviews fragt Floarea Haplea aus Berghin, Alba: „Und dann – höre ich dann meine Stimme auf Radio Klausenburg?“ „Nein“, sagt Denisa Budeancă, „wir schreiben ein Buch.“

Das war am 31. Juli 2005. Aus dem Buch, das sich ihr Ehemann, der Historiker Dr. Cosmin Budeancă, 1997 vorgenommen hatte, sind mit-tlerweile vier geworden: Das erste, „Imaginea etnicilor germani la românii din Transilvania după 1918“ („Das Bild der Siebenbürger Sachsen bei den Rumänen nach 1918“), ist 2016 erschienen und wurde noch im Dezember desselben Jahres im Kulturhaus „Friedrich Schiller“ vorgestellt (siehe ADZ vom 10. Januar 2017: „Über den Zaun zum Nachbarn geguckt“).

Die anderen drei Werke sind aktuell erschienen und beinhalten ausgewählte Interviews mit Rumänen aus den Landkreisen Alba, Hermannstadt/Sibiu und Hunedoara. Sie waren Gegenstand der Buchvorstellung am 25. Juni im Schillerhaus, organisiert von Aurora Fabritius, im Beisein des Herausgebers, Cosmin Budeancă (IICCMER), und der Historiker Prof. Dr. Zoltán Rostás (Uni Bukarest), Dr. Antonio Momoc (Direktor der Anthropologieabteilung an der Fakultät für Journalismus und Kommunikationswissenschaften, Uni Bukarest) und Dr. Florian Banu (CNSAS).

Auf einmal kommt Farbe ins Spiel

Beleuchtet wird durch die Interviews das Image der Siebenbürger Sachsen in der rumänischen Bevölkerung. Der Ansatz ist freilich subjektiv: Wer erinnert sich schon genau an weiter zurückliegende Ereignisse? Erlebte Eindrücke speichert jedes Gehirn anders ab. Vieles wird vom Hörensagen erzählt: Floarea Haplea war gerade mal vier, als die Deportationen stattfanden, über die sie Rede und Antwort steht. Auch bei der Frage, woher die Sachsen kamen und wo sie sich niederließen ist klar, dass es keine Zeitzeugen gegeben haben kann.

Dennoch ist es ein spannendes Experiment, Geschichte sozusagen im Spiegel der Gefühle darzustellen: Das scharfe Schwarzweißbild präziser historischer Fakten verschwimmt – dafür kommt auf einmal Farbe ins Spiel! Das bunte Bild liefert nicht nur Informationen über den Beobachteten, sondern auch über den Beobachter, ihr Verhältnis zueinander, die entsprechende Zeit. Es macht einen großen Unterschied, ob man Rumänen nach ihrer Meinung über die Sachsen heute oder in den 30er Jahren befragt, stellt Momoc fest. Banu präzisiert: „Es geht darum, wie diese Leute heute denken – nicht damals, als die ersten Sachsen weggegangen sind, oder im Krieg 1940, oder als ausgewanderte Sachsen mit einem dicken Mercedes aus Deutschland zu Besuch kamen und die Rumänen hatten nichtmal einen Dacia.“ „Damals wären die Antworten ganz anders ausgefallen“, fügt er an. Auch dass die Geschichte der großteils ausgewanderten Siebenbürger Sachsen für die meisten Befragten als abgeschlossen gilt, spielte eine Rolle, meint Budeancă. „Hätte ich Rumänen über die Roma oder Ungarn befragt, hätten sie sicher nicht so offen geantwortet.“

Eine Eindringlichkeit, die sonst fehlt

Während in dem 2016 präsentierten Band eine Synthese der Aussagen erfolgte, gegliedert nach Themen, geben die drei Interviewbände die Gespräche in voller Länge wieder. 23 Interviews umfasst der Band zum Landkreis Alba, befragt wurden Rumänen in der Stadt Mühlbach/Sebeș und in den ländlichen Gemeinden Blutroth/Berghin, Kelling/Câlnic, Urwegen/Gârbova, Donnersmarkt/Mănărade, Petersdorf/Petrești und Schönau/Șona. 37 Interviews aus Broos/Oraștie und den Dörfern Benzenz/Aurel Vlaicu, Batiz und Rumes/Romos flossen in den Band zu Hunedoara ein. 29 Befragungen aus Hermannstadt/Sibiu und den ländlichen Gemeinden Hetzeldorf/Ațel, Großau/Cristian, Stolzenburg/Slimnic, Schellenberg/Șelimbăr, Großscheuern/[ura Mare und Kleinscheuern/Șura Mică finden sich in dem Band zu Hermannstadt.

Nicht nur, dass sich die Interviews wie spannende Geschichten lesen – zum Teil auch mit komischen Momenten. Man bekommt ein Gefühl dafür, was das Zusammenleben wirklich prägte. Zudem werden ganz nebenbei zahlreiche Details aus dem Alltag vermittelt. Zum Beispiel rund ums Essen: „Sie machten täglich Essen, wie für eine Hochzeit“, staunt Ana Vecerzan aus Schellenberg. Und stellt fest: „Sie waren nicht geizig, wenn es um ihre Mägen ging.“ Die Zubereitung von Hanklich bei den Deutschen und Rumänen vergleicht Maria Brezoiu aus Stolzenburg: „Wir, unsere armen Rumäninnen, vor allem als ich klein war, gaben ein winziges bisschen Ei und Butter drauf, nur damit man den Teig nicht mehr sieht. Die Sächsinnen gaben einen Finger breit Butter drauf und viele Eier, das war gut und zerging im Mund.“ Anerkennend fügt sie an: „Und wenn du eine Sächsin nach dem Rezept fragtest, war sie nicht heimlichtuerisch, sodass sie es dir nicht gesagt hätte, damit nur sie es kennt.“

Über Fleiß und die Einstellung zur Arbeit: Maria Mihu aus Großschelken erinnert sich an einen Spruch: „Die Sachsen graben den Weinberg um. Wir trinken ihren Wein. So sagten die Rumänen.“ Maria Restan]ia fügt an: „Sie verkauften ihn… weil die Rumänen nicht so viel hatten wie sie.“ „Sie waren fleißige Leute. Sie waren friedliche Leute, sie liebten die Landwirtschaft...“, äußert sich Ion Bădică aus Batiz, Hunedoara, anerkennend. „Einige hatten sogar 40 Hektar, die sie nur mit der Familie bearbeiteten... Es war eine Familie, drei Söhne und der Vater.“ – „Verstehen Sie, was das bedeutet, 40 Hektar mit Pferden zu bearbeiten? Aufstehen um drei Uhr morgens...“

Auch kontroverse Themen kommen zur Sprache: „Welche Meinung hatten die Rumänen darüber, dass sie (Anm.: die Sachsen) zur deutschen Armee gegangen sind?“ wird Iuliu Dicu aus Broos gefragt. Dieser denkt lange nach. Dann meint er: „Das kann ich nicht sagen…“ – „Wir haben zusammen gespielt, waren auf dem Gymnasium zusammen, in der Schule zusammen… Und auf einmal: Komm, wir ziehen in den Krieg!“
Kann man so aus Geschichte lernen?
Die Interviews reflektieren „das Modell eines Zusammenlebens über mehrere Jahrhunderte“, erklärt Historikerin Hannelore Baier, „das auf dem Kennen des anderen mit seinen Stärken und Schwächen basiert, die als solche akzeptiert wurden, sodass die Beziehung zwischen diesen beiden ethnischen Gruppen funktioniert hat.“

Hinzu kommt eine bildhafte Eindringlichkeit, die einer faktenbasierten, doch abstrakten Geschichtsvermittlung zwangsläufig fehlt. Allein die Vorstellung, wie man mit Spießen im Heuhaufen stocherte, um versteckte junge Leute für die Deportation zu finden, löst intensive Gefühle aus. Bleibt als lebhafte Szene im Gedächtnis haften, wie ein Fußtritt im feuchten Lehm. Und hinterlässt in so manchem den Wunsch, dieser Teil der Geschichte möge sich nicht mehr wiederholen... Kann man vielleicht so aus Geschichte lernen?