Handwerk hat goldenen Boden und braucht strahlende Pflege

Jugendliche aus Portugal, Griechenland, Österreich, Lettland und Rumänien entdecken Europas Zukunftswerkstatt

Spannungsübungen in der Tanzprobe mit Teresa Leonhard

Jedes kleinste Stückchen Kuhleder wird verwertet. Fotos: Klaus Philippi

Eine Schülerin aus Lettland bastelt eine Collage, auf der die Gesichter von Donald Trump und Wladimir Putin ihr Fett abkriegen.

Nadel, Stickgarn und Stickmuster zaubern ein Lachen, das auch der beste Schulunterricht nicht übertreffen kann

Beruf Glasbläser: so kann es aussehen, wenn Selbsterzeugtes und Stolz zusammenspielen.

„Unsere Fabrik erhält keine Unterstützung von der Regierung. Rumänien hat in den letzten 30 Jahren 15 Glashütten geschlossen. China hat im selben Zeitraum zwanzig eröffnet.“ Montag, am 2. März, zeigt der Gästeführer der SC Fabrica de Sticlă SA in der Kleinstadt Freck/Avrig 65 Jugendlichen und Lehrkräften des partnerschaftlich-strategischen ERASMUS-Plus-Projekts „Entrepreneurial Journey – Reanimating Craftsmanship“ die Werkhallen auf der Brukenthal-Straße Nummer 114 vor verschneiter Kulisse der Bergriesen Suru (2281 Meter) und Negoiu (2535 Meter) unter grauem Frühlingshimmel. 400 Jahre alt ist die regionale Tradition von Glasbläsereien, denen bereits damals das eiskalte Wasser der Gebirgsbäche und der quarzhaltige Sand der alpinen Landschaft wie gerufen in die Werkstätten flossen. Im Ofen wird alles Nötige bei 1450 Grad Celsius miteinander zu Rohstoff-Kugeln verschmolzen, die sich gleich anschließend bei 1000 Grad Celsius vom Atemdruck der Glasbläser zu Blumenvasen, Trinkgläsern und Weinkaraffen formen lassen.

Die kleine Vorgängerin der Glashütte Freck war bereits 1625 im Nachbardorf Ober-Bornbach/Porumbacu de Sus aktiv und wechselte zweihundert Jahre später in den Besitz der Familie Fleissig, die ihrerseits das Unternehmen zur Zwischenkriegszeit an die Stadt abtrat. Alles wurde und wird noch immer in Handarbeit gefertigt. Noch bevor die Projekt-Teilnehmergruppen der Höheren Bundeslehranstalt für wirtschaftliche Berufe, Tourismus, Mode und Bekleidungstechnik in Oberwart (Österreich), des Enieo Eidiko Epaggelmatiko Gymnasio in Lykeio, Katerinis (Griechenland), der Agrupamento de Escolas da Maia (Portugal), des Grobinas gimnazija (Lettland) und des Samuel-von-Brukenthal-Gymnasiums Hermannstadt/Sibiu den ersten Innenraum der Glashütte betreten, erklärt ihnen der Gästeführer, dass 99 Prozent der hier erzeugten Gebrauchsware für den Export nach Frankreich, Italien, Österreich, Deutschland, die Schweiz und die USA gehen. Er sagt es, ohne auch nur den Schimmer einer Träne in seinen Schnurrbart zu vergießen.

Mehr als 130 Personen beschäftigt die SC Fabrica de Sticl² Avrig, in deren Werkhallen man unge-fragt auf spannende Zeitreise in das fünfzig Jahre zurückliegende Rumänien geschickt wird. Manch ein Schmuckgegenstand der Marke Swarovski, der heute für teures Geld auf Tischdecken und Körperhaut betuchter Menschen schillert, entsteht hier in der Frecker Großwerkstatt zwischen den Zeiten.

Ein Großteil der Werksangestellten hantiert in seelenruhiger Routine vor den Schmelzöfen. Nach Schutzkleidung hält man hier vergeblich Ausschau. Einzig und allein einige Männer, die mithilfe von Bunsenbrennern kegelförmige Vasen mit kleinen Kugeln versehen, tragen Halbfingerhandschuhe. Ansonsten sind alle hier Tätigen in Alltagskleidung unterwegs, das Hilfspersonal an Wasserkübeln, Regalen und Glashärteofen mit eingeschlossen. Aber nicht alles, was der Schauraum der Glashütte in seinen Vi-trinen bietet, wird auch tatsächlich frei verkauft. Wunderschöne Kristallgegenstände, die vormals wegen 24-prozentigem Bleigehalt weltweit begeisterten, dürfen aus Gesundheitsgründen erst gar nicht mehr hergestellt werden. Bewundern Ja, Anfassen Nein. Dafür gibt es viele andere Haushaltswaren, die für edle Preise vermarktet werden. Eine in Freck von Hand geblasene Weinkaraffe ist ab 7 Euro zu haben, und ein einfaches Trinkglas nicht unter 4 Euro.

„Wir haben monatlich eine Stromrechnung von umgerechnet 20.000 Euro und eine Gasrechnung in Höhe von 50.000 Euro zu stemmen. Das ist schon sehr, sehr teuer, aber noch können wir von Glück reden, da unsere Leitungen an das Netzwerk Rumäniens eigener Erdgasreserven angeschlossen sind und wir deswegen nicht von russischen Preisverhandlungen abhängen“, weiß der Gästeführer der Glashütte zu berichten. Er ist sich darüber im Klaren, dass die vorteilhafte Lage jederzeit kippen kann, und kommt auf die „autochthonen Politiker“ zurück, „die nur ein Profit interessiert, der Finanzen abwirft. Profit einer Tradition hat für sie keine Bedeutung...“

Was kann man sich als junger Mensch in Rumänien unter hoffnungsloser Landschaft, die vor nicht allzu langer Zeit Schlimmes erlebt hat, vorstellen? Mâr{a liegt nur einen Steinwurf von Freck entfernt und ist Sinnbild missratenen Tapetenwechsels von kommunistischer Arbeiterkolonie zu gekonnt kapitalistischer Wohnkultur. Wer auf dem Parkplatz der SC Metropolis Com SRL steht und ringsum nach draußen blickt, fühlt sich beinahe wie an einem Ort, der eben noch gestern durch Bomben verwüstet wurde. Der Kontrast zum Innenraum der Produktionshalle für bedruckte und industriell bestickte Kunststofftextilien von Nachbildungen regionaler Trachten über Sportbekleidung bis zu Fußballmatch-Wimpeln für Champions-League-Begegnungen könnte nicht größer sein.

Früher verbrachten Hausfrauen aus der Dobrudscha, der Moldau, der Bukowina, aus Oltenien, der Walachei, dem Banat, aus Siebenbürgen und der Maramuresch die lange Winterzeit oftmals mit dem mühsamen Sticken einer neuen Tracht von Hand. In Mâr{a tun das heute vorprogrammierbare Nähmaschinen, die auf Knopfdruck jedes regionale Muster in kürzester Zeit beliebig oft kopieren. Trotzdem gibt es hier auch zahlreiche manuelle Nähmaschinen, an denen Ortsansässige zufrieden ihrem Job nachgehen. Bianke Grecu, stellvertretende Direktorin des Samuel-von-Brukenthal-Gymnasiums und Leiterin der Schülergruppen für siebenbürgisch-sächsische Volkstänze, möchte Montag, am 2. März, vom Gästeführer der SC Metropolis Com SRL wissen, „was ich tun muss, wenn ich nach den Eindrücken von hier nachts nicht schlafen kann?“

Vier Tage lang touren die Wissbegierigen aus Griechenland, Österreich, Portugal, Lettland und ihre Gastgeber aus Rumänien durch Hermannstadt und Südsiebenbürgen. Am ersten März-Sonntag hält der doppelstöckige Reisebus der Gesellschaft Trans Europa auf dem Parkplatz des ASTRA-Freilichtmuseums für Rumänische Volkswohnkultur im Jungen Wald/P²durea Dumbrava und im orthodoxen Bergbauerndorf Sibiel, Standort eines schmucken Museums für auf Glas gemalte Ikonen. An beiden Vorzeigemuseen nahe Hermannstadt schwingen bereits die dreifachen Erlebnisse vom Königin-Maria-Schloss Bran, aus dem siebenbürgisch-sächsischen Wolkendorf/Vulcan und dem Kloster Sâmb²ta de Sus im Brâncoveanu-Stil mit, die tags vorher besichtigt wurden.

Freitag, am 28. Februar, legen die Schülerteams in Aula und drei Klassenzimmern des Brukenthal-Gymnasiums auf dem Hermannstädter Huetplatz selber Hand und Füße an. Performance-Künstlerin Teresa Leonhard führt wenige Mutige durch einen Workshop für zeitgenössischen Tanz, macht dabei auch von ihrer reichen Erfahrung im Arbeiten und Proben mit geistig Behinderten Gebrauch und stößt dennoch auf organisatorisches Missgeschick, das zwar ungewollt ist, aber ihre Resilienz stark belastet. Aus unverdienten Gründen haben es die Leiterinnen und Leiter der drei weiteren Projekt-Ateliers merklich einfacher. Lederhandwerker Adrian David-Coman zeigt vor, dass Leder dem Feuerzeug trotzt und sich „seine Echtheit durch drei Indikatoren feststellen lässt: Feuer, Geruch und Geschmack!“. Raluca Andrei und Alina Blaga führen in das leicht erlernbare Sticken von Hand ein, und Profi-Designer Florin Viorel, der einen Narren an unorthodoxen Collagen und Plakaten gefressen hat, erlaubt den experimentierfreudigen Teenagern fast alles. „Das einzige, wovon sie in meinem Workshop beim Zerschneiden und Zusammenkleben die Finger lassen sollen, sind Symbole religiöser Art, denn die können trotz nicht böser Absicht großen Krach anrichten“ - ein gesunder Rat, weil viele Ausgaben der pikanten Zeitschrift „Spiegel“ auf dem Basteltisch liegen.

Die mitmachenden Neuntklässler vom „Bruk“ können sich die Hände reiben. Ihre Projektkontakte haben daheim Fahrt aufgenommen und sollen laut Plan bis einschließlich April 2021 durch Gegenbesuchsreisen in die Partnerländer fortgeführt werden. Mitte Mai 2020 dürfen, wenn alles gutgeht, zwei Lehrkräfte und fünf Schülerinnen und Schüler aus Hermannstadt mit dem Flieger in den Staat der Hauptstadt Riga einreisen, wo die Gastgeber des Grobinas gimnazija ihre von weither aus vier verschiedenen Ländern eintreffenden Freunde in die Werkstatt eines Juweliers begleiten werden, der die Lebensmitte noch lange nicht erreicht hat, aber schon im jungen Alter weiß, dass man „Handwerk mag oder nicht.“

Wer die Schulbank des Samuel-von-Brukenthal-Gymnasiums drückt, kann sich für danach etwas anderes als universitären Hörsaal und Expertenbüro kaum vorstellen. Bei soviel Sucht nach schnellem Geld und Sofort-Karriere wird es jedoch eng in Rumänien. Man spürt es bereits. Was gestern noch gut war, reicht heute nicht mehr, und was morgen gebraucht wird, kann ohne Handwerk nicht entstehen. Wenn ein ganzes Land den Schreibtisch vergöttert und die Werkstatt hasst, kommt der Kurs ins Schlittern. Natürlich ist es keine unverzeihliche Schande, handwerklich ungeschickt zu sein. Aber dann bitte die intellektuelle Laufbahn ernst mit einem Blick für Alle angehen und als erwachsenes Mitglied der Elite von oben herab dafür sorgen, dass auf die von unten herauf stoßende Freude am Handwerk wieder das regnet, was sie verdient. Ansonsten wird Rumänien trotz Europa-Projekten immer arm bleiben.