„Hier lebt es sich intensiver“

Ein Interview mit dem Schriftsteller und Drehbuchautor Frieder Schuller

Die malerische Kirchenburg von Katzendorf | Foto: Wikimedia

Frieder Schuller auf dem Pfarrhof in Katzendorf | Foto: Elise Wilk

Seit März 2020, als Thomas Perle, der letzte Dorfschreiber, sie plötzlich und unerwartet wegen dem Ausbruch der Corona-Pandemie verließ und durch leere Straßen und Autobahnen zurück nach Wien fuhr, steht die Dichterklause auf dem Katzendorfer Pfarrhof leer. Doch im September soll sie wieder einen neuen Gast empfangen. Der Literaturpreis „Dorfschreiber von Katzendorf“ wird zum siebten Mal vergeben, diesmal an den Schriftsteller und Verleger Traian Pop. „Er kann nach Schreibenslust ein Jahr lang im Pfarrhof von Katzendorf wohnen und sein Preisgeld als tägliches Brot mitnehmen. Er kann und soll sich umsehen, in die Sprache der Dorfbewohner hineinhören, sich wundern, mitreden um einen Dichterbeitrag zum gegenwärtigen Transsylvanien hinzuzufügen“ – wie es auf der Urkunde steht. 
Das Kulturfest selbst, im Rahmen dessen der einmalige Literaturpreis vergeben wird, nähert sich seinem 30. Jubiläum. Wieder einmal werden an einem Herbstwochenende Gedichte an den Bäumen hängen und internationale Gäste werden sich auf Liegestühlen sonnen, unter den Linden Kaffee trinken, ins elf Kilometer entfernte Dorf Streitfort fahren und Picknick unter der dicksten Eiche Südosteuropas machen, Filmvorführungen in der Scheune und Lyriklesungen unter dem Sternenhimmel besuchen. 
Der Schriftsteller und Drehbuchautor Frieder Schuller, Initiator der „Begegnungen auf Rumänisch, Ungarisch und Deutsch mit Dichtern, Musikern, Malern, Bauern, Roma und Neugierigen“ ist unermüdlich. Für ihn ist das ehemalige Pfarrhaus in Katzendorf/Cața das zweite Quartier, neben seiner Wohnung in Berlin. Nach einer coronabedingten einjährigen Pause verbringt er die Sommermonate wieder auf dem Hof in Katzendorf, empfängt Gäste und bereitet das Kulturtreffen vor. Das genaue Datum der Veranstaltung wird in den nächsten Wochen bekanntgemacht. 
ADZ-Redakteurin Elise Wilk besuchte Frieder Schuller und sprach mit ihm über seine Pläne. 

Herr Schuller, in diesem Herbst findet das Katzendorfer Kulturfest erneut statt und ein neuer Dorfschreiber wird gekürt. Das ist eine Rückkehr zur Normalität, nach einer sehr schwierigen Zeit, besonders für Kunst und Kultur. Wie verläuft ihre Organisationsarbeit? 
Ich bin kein Genie im Organisieren, also findet alles so statt wie es sich eben ergibt. Ein Gast hatte einmal gemeint, die Veranstaltung sei ein wunderschönes Chaos. Ist sie auch. 

Sie kamen 1992 auf die Idee, ein mehrsprachiges Kulturtreffen zu organisieren, weil Sie  Ausländern die Schönheit Siebenbürgens zeigen wollten. Das war vielleicht eine der ersten Initiativen, Kulturtourismus in Rumänien zu machen. Denn Kulturfest und Dorfschreiber-Stipendium sind nicht nur ausgezeichnete kulturelle Initiativen, sie funktionieren auch perfekt als Werbung für die charmante Gegend in Siebenbürgen. 
Genau. Mit diesen Veranstaltungen wollte ich ein Zeichen setzen, dass man auch hier leben kann. Ausländer sind von Katzendorf fasziniert, da sie plötzlich in eine andere Welt treten. Hier führen sie ein einfaches, sorgenfreies Leben. Sie können auf den Kirchturm steigen und die gesamte Landschaft bewundern, die Frauen aus dem Dorf kochen für sie. 
Außerdem werden sie kulturell bestens versorgt. Es gibt jedes Jahr Lesungen auf dem sächsischen Friedhof, der aussieht wie ein wilder Park. Dann fahren wir alle zu den tausendjährigen Eichen. Oder wir fahren zur Senne, wo wir uns bei frischem Käse und Wein mit den Schäfern unterhalten und ich aus dem rumänischen Volksgedicht Miorița vorlese. So eine Atmosphäre kann man nirgendwo mehr finden. Im Westen lebt es sich vielleicht besser, aber hier lebt es sich intensiver. 

Nächstes Jahr feiert das Katzendorfer Kulturtreffen sein dreißigjähriges Jubiläum. Eine gute Gelegenheit, um auf die ersten Editionen zurückzublicken. Wie war es damals? 
Viele Gäste hatten damals überhaupt keine Ahnung von Siebenbürgen. Beim ersten Treffen kamen über 300 Leute. Darunter 60 Schriftsteller, die mit einem Reisebus kamen. Sie wurden im Dorf untergebracht. Das Kulturtreffen ist eine gute Gelegenheit, interessante Leute kennenzulernen und sich bis spät in die Nacht zu unterhalten. Manche Liebesgeschichte ist hier schon über die Bühne gelaufen. Oder es wurden Freundschaften geschlossen. Und einer der Dorfschreiber war so angetan von der Kochkunst einer Frau aus dem Dorf, dass er sie nach Berlin eingeladen hat, um für ein Festessen zu kochen. Früher haben sich die Veranstaltungen über eine Woche hingezogen, jetzt dauern sie drei Tage.

Wieviele Gäste werden im September erwartet? 
In den letzten Jahren kommen zwischen 40 und 100 Gäste zur Veranstaltung. Ich lade nicht mehr so viele ein. Denn die Information geht immer von einem zum anderen, und am Ende kommen dreimal so viele Leute. 

Sind das auch Leute aus dem Dorf? 
Ich erinnere mich an ein Jahr, in dem das Jugendorchester aus Stuttgart zu Gast in Katzendorf war. 80 Jugendliche mussten wir damals in der Scheune unterbringen, stell dir das vor. Sie mussten natürlich schwören, dass sie nachts nicht rauchen. Dann haben wir überall im Dorf Plakate aufgehängt: „Cântă orchestra de la Stuttgart, veniți!“ („Das Orchester aus Stuttgart spielt! Kommt!“). Am nächsten Abend war der Hof voll, die meisten Gäste waren Roma, sie waren total begeistert von der Musik. Der Dirigent meinte zum Schluss: „So ein schönes Publikum hatten wir nie“. Leider sind unter den Besuchern keine der Siebenbürger Sachsen, die immer im Sommer zurück nach Katzendorf kommen. Ich habe sie eingeladen, sie kommen aber nie zu diesen Veranstaltungen. 

Der Höhepunkt des Kulturtreffens wird die Verleihung des Literaturpreises „Dorfschreiber von Katzendorf“ sein. Wer traf die Entscheidung für 2021? 
Das war eine Jury bestehend aus mir, der Kulturreferentin für Siebenbürgen Heinke Fabritius, der Literaturwissenschaftlerin Michaela Nowotnick und der Künstlerin Ulrike Döpfer. 
In diesem Jahr fiel unsere Wahl auf den rumänisch-deutschen Schriftsteller, Herausgeber und Verleger Traian Pop. 2022 folgt dann ein sehr berühmter Schriftsteller: Ingo Schulze. 

Welche Autoren waren bisher als Dorfschreiber hier beschäftigt? Und wie viele Bücher zu Siebenbürgen sind schon entstanden? 
Bisher waren es sechs Autoren, die zum Katzendorfer Dorfschreiber gekürt wurden: Elmar Schenkel, Jürgen Israel, Carmen Francesca Banciu, Tanja Dückers, Dagmar Dusil und Thomas Perle. Schenkel, Israel und Dusil haben schon Bücher über ihre Zeit in Siebenbürgen veröffentlicht: „Mein Jahr hinter den Wäldern“, „Katzendorfer Tagebuch“ und „Auf leisen Sohlen. Annäherungen an Katzendorf“. 

Verraten Sie uns schon ein paar Highlights aus dem Programm im Herbst? 
Der aus Rumänien stammende Berliner Philarmoniker-Cellist Götz Teutsch wird auftreten. Ebenfalls wird es eine Lesung von Ingo Schulze geben und die traditionellen Ausfahrten in die Gegend. Zum Beispiel zur Kirchenburg in Dersch/Dârjiu, der einzigen Kirchenburg im Szeklerland, in der auch die Kirche wehrhaft ausgebaut wurde und als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt ist. 

Und was verraten Sie uns über Ihren neuen Roman, der im nächsten Jahr erscheinen wird? 
Der Roman heißt „Draculescu“ und ich habe vor etwa 10 Jahren angefangen, an ihm zu schreiben. Einige Teile sind schon in verschiedenen Literaturmagazinen veröffentlicht worden. 
Die Idee kam mir aber viel früher – vor etwa 30 Jahren war ich in Schäßburg und sah an einem Vormittag einen eleganten Leichenwagen mit deutschem Kennzeichen vor dem Hotel. Ich erfuhr, dass er einen Siebenbürger Sachsen transportiert hatte, der in Rumänien begraben werden wollte. So kam mir die Idee für die Hauptfigur des Romans – ein deutscher Bestatter. Dieser will die verlassenen Friedhöfe in Siebenbürgen gewinnbringend ausnutzen, dann werden angebliche Antiquitäten über die Grenzen transportiert, und zuletzt fahren nur noch Geschichten hin und her. 

Herr Schuller, wir danken für das Gespräch!


Die Gemeinde Katzendorf befindet sich im Norden des Kreises Kronstadt, etwa acht Kilometer nördlich von Reps, 70 Kilometer nordwestlich von Kronstadt. Die Geschichte der Besiedlung der Region reicht bis in die Jungsteinzeit zurück, wie zahlreiche Funde beweisen. Das heutige Katzendorf wurde vermutlich im 12. oder 13. Jahrhundert von Siebenbürger Sachsen gegründet, die erste urkundliche Erwähnung stammt aus der Zeit um 1400. Der Ort ist auch wegen seiner typischen Schreinermalerei bekannt – und auch unter dem Namen „Pferdedorf“, da einige Familien bis zu sieben Pferde hatten.