Illegale Heimkehr im Vorstrafenregister

Grenzübertritte ehemaliger Verschleppten landeten vor Militärgerichten

Ausschnitt aus der Eingabe für das Vorstrafenregister einer 21jährigen Jahrmarkterin, die nach der Zwangsarbeit in der Sowjetunion illegal in ihr Heimatland zurückgekehrt war. Die Strafsache („infracțiune“ rumänisch, „Straftat“ laut Militärstrafgesetzbuch C. J. M.) wurde vom Militärgerichtshof (Curtea Marţială oder Militärgericht bei Garnisonen) verhandelt und der zuständigen Polizeidienststelle in Temeswar mitgeteilt zwecks Vollzugs der beschlossenen Strafe.

Beispiel einer Liste von im Sommer 1947 verhafteten Heimkehrer aus Jahrmarkt. Die Strafakte für die Gruppe liegt im CNSAS-Archiv Bukarest. Weshalb die Akte im Juli 1963 von einem Hauptmann erneut bearbeitet wurde (siehe Einträge rechts), kann nicht nachvollzogen werden. Möglicherweise erfolgte die Aktendurchsicht in Verbindung mit den Amnestien von 1963 und 1964.

Kopie (Ausschnitt) des Urteils über eine Gruppe von drei Personen, die nachts bei Tschanad schwarz über die Grenze gelangt war. Nach fast anderthalb Monaten Arrest im Temeswarer Gefängnis für Zivile (11. Juni bis 22. Juli) forderte der Militärstaatsanwalt als Ankläger (!) vollständige Straffreiheit. In anderen Fällen wurden die Verhafteten gleich nach der Untersuchung und Rückmeldungen aus den Gemeinden ohne Prozess nach Hause entlassen. Zeugen und Verteidiger hatten die Beschuldigten bei Gerichtsverhandlungen nicht vorgeschlagen. (Alle Kopien aus Familienunterlagen)

Der Siebenbürger Publizistin Hannelore Baier verdanken wir, dass sie die frühesten Dokumente ausfindig gemacht hat, in denen erstmals über Rückkehrer aus der Verschleppung berichtet wird, wichtige Unterlagen zur Deportationsgeschichte auch für die Ungarn- und Jugoslawiendeutschen. Denn im hier erwähnten zweiten Dokument werden auch Zahlen für die Nachbarländer aufgeführt.

Im Akt 00005 der Generaldirektion der Polizei wird am 20. Oktober 1945 der telefonische Befehl Nr. 27291 an die regionalen Polizeiinspektionen Konstanza, Neumarkt/Târgu-Mureș, Oradea, Pitești, Bukarest und Klausenburg/Cluj übermittelt, demzufolge bekannt gemacht wurde, dass über den Grenzpunkt Sighet (Maramuresch) „der erste Transport rumänischer Staatsbürger deutscher Abstammung“ eingetroffen ist, „die auf Zwangsarbeit (munca obligatorie) in der Sowjetunion waren, und die der Kommission in Satu Mare“ zugeführt wurden zwecks Überprüfung und Weiterleitung.

In dem Dokument werden weitere Transporte angekündigt, die über Sighet, Ungheni oder andere Grenzpunkte ankommen würden. Diese mussten sofort der Generaldirektion der Polizei gemeldet werden, mit aufgeschlüsselter Angabe der Zahl der „Repatriierten“: Männer, Frauen und Kinder.

Die Weiterleitung der Heimkehrer erfolgte an sechs Überprüfungszentren („Centrele de Triere“!), darunter Arad, Großwardein/Oradea und Temeswar/Timișoara. Laut dem früheren Befehl vom 11. Mai 1945 wurde den Heimkehrern ein für 15 Tage gültiger Ausweis ausgehändigt mit dem Vermerk „Fost la munca obligatorie in U.R.S.S.“ Im Heimatort sollte die Identität nochmals überprüft und von den lokalen Polizeidienststellen Sonderlisten mit den Heimkehrern angelegt werden. Für Uneingeweihte ist es spekulativ, die handgeschriebenen Randnotizen auf dem frühen Dokument zu deuten, möglicherweise handelt es sich um die Nummern der etwa 20 Rückkehrertransporte der Jahre 1945 und 1946.

Ein weiteres wichtiges Dokument zu frühen Heimkehrern stammt von der Alliierten Kontrollkommission in Rumänien (de facto sowjetisch), unterzeichnet von Generalleutnant Vinogradov und dem Leiter des Verwaltungsbüros in Bukarest, Oberst Borisov. Es stammt vom 3. November 1945 und ist an den Innenminister Rumäniens, damals Teohari Georgescu, gerichtet. Darin wird mitgeteilt, dass aufgrund eines sowjetischen Regierungsbeschlusses „ein Teil“ (o parte) der zur „Arbeit in die Sowjetunion mobilisierten Deutschen“ an ihre ursprünglichen Wohnorte entlassen werde. Es handelte sich um 8000 Heimkehrer nach Rumänien und weitere 4500 nach Ungarn und Jugoslawien. Die Rückkehr dieser Personen sollte über das Lager Nr. 36 in Sighet erfolgen, wo bis dahin bereits etwa 4000 Personen eingetroffen waren.

Die Kommission bat in dem Schreiben, dringend Maßnahmen zu ergreifen für „die Aufnahme der Deutschen, die nach Rumänien zurückkehren und für die Weiterleitung nach Ungarn und Jugoslawien“. Desgleichen erbat sie Rückmeldung über die getroffenen Maßnahmen.

Ab März/April 1947: Heim in die „Ostzone“

Wir wissen somit, dass die arbeitsunfähigen Heimkehrer in den ersten zwei Jahren (1945 und 1946) über Sighet, Ungheni (Jassy/Iași), Bihor (Großwardein) und Bukarest ins Land gekommen waren. Im Folgejahr, ab März/April 1947, ging die Entlassung der Krankentransporte mit Volksdeutschen in die sowjetisch besetzte „Ostzone“. Das war somit keine Heimkehr im Sinne des Wortes und entsprach nicht den Erwartung der Betroffenen. Nach einer Quarantänezeit bzw. in vielen Fällen nach längerem Krankenhausaufenthalt wurden die ehemaligen Deportierten im Raum Frankfurt/Oder, Dresden, Bitterfeld, Freiberg, Leipzig bis Brandenburg und Torgau auf Dörfern Landwirten als Arbeitshelfer zugeteilt, was ihnen ein Quartier sichern und sie wieder zu Kräften bringen sollte. Arbeit für Kost und Quartier, ohne Lohn oder für länger gedachte Vertragsarbeit. Es wurden Listen geführt mit den „fremden Arbeitern“ (sie sind teils erhalten, siehe Freiberger Listen), aber sie wurden weder in den Quartieren, noch bei der Arbeit überwacht. Ihre Heimat- bzw. Staatsbürgerschaftslage wie auch ihre Zukunft waren nicht geklärt.

Daher machten sich viele ab Sommer 1947, als die meisten wieder bei Kräften waren, oft unangemeldet und illegal auf den Weg über Grenzen, zumal die Repatriierungsmissionen weit entfernt waren (Berlin, Wien): In den Westen Deutschlands, wo inzwischen Landsleute, Verwandte oder Ehepartner lebten, oder nach Österreich, wo in Wien Transporte aufgestellt wurden für die Repatriierung nach Rumänien. Wer diese nicht erreichte, machte sich mit der Bahn und streckenweise zu Fuß auf den Weg. Der dauerte oft lange und führte über Bayern, Österreich und Ungarn illegal über die rumänische Grenze, wo Schießbefehl galt, ins westliche Banat.

Vor Militärgerichten

Wer es heil über die Grenze geschafft hatte – bekanntlich gab es mehrfach Tote durch Erschießen – war nicht immer am Ziel. Bei Tschanad/Cenad, aber auch in der Arader Grenzgegend (Sanktanna/Sântana, Matschaer Weingärten) wurden immer wieder Heimkehrer von Gendarmen verhaftet und in Arrest gesteckt. Andere konnten sich verstecken, bis sie von Verwandten abgeholt und auf Pferdewagen oder mit der Bahn nach Hause gebracht wurden.

Der illegale Grenzübertritt galt damals im Königreich Rumänien als schwere Straftat („infrac]iune“) und wurde von höchsten Militärgerichten geahndet. Auch im Falle der Heimkehrer aus der Sowjetunion, obschon sie rumänische Staatsbürger waren und sie ihre unvorsätzliche „Straftat“ stets eingestanden haben. Laut uns bekannter Aktenlage – neuestens wurden Familien auf Antrag Kopien vollständiger Aktenordner von der CNSAS zur Verfügung gestellt – erfuhren die Heimkehrer gerichtlich unterschiedliche Behandlung. In allen Fällen wurde aber bürokratischer Aufwand betrieben wegen Unterlagen zur Identität aus dem Heimatort, wegen Übersetzungen aus dem Russischen, mit Verhören und fallweise mit öffentlichen Prozessen. Zeugen oder Verteidiger konnten die Betroffenen aber nicht bestellen.

In vielen Fällen wurde den Beschuldigten nach dem Prozess ein Vorstrafenregister angelegt, das sie ein Leben lang begleitete, ohne dass sie es wussten. In seltenen Fällen spielte es dann doch eine Rolle, wie beispielsweise bei der Einstellung einer Frau aus Deutsch-Bentschek (Guttmann) als Pförtnerin an der Temeswarer Lenauschule.