Illiberalismus und Realpolitik

Die bislang stärkste Botschaft zur Wahrung der Universellen Menschenrechte und des Rechtsstaats überbrachte die Biden-Administration zum Mord am Journalisten Jamal Khashoggi, den saudische Sicherheitskräfte mit Zustimmung des saudischen Thronerben Mohammed bin Salman in Istanbul verübt hatten. Die Botschaft wurde mittels der Veröffentlichung des von Donald Trump geheimgehaltenen CIA-Berichts zur Causa Khashoggi überbracht: „Wir sind zur Schlussfolgerung gelangt, dass der Erbprinz Saudi-Arabiens, Mohammed bin Salman, die Operation in Istanbul, Türkei, genehmigt hat, wo der saudische Journalist Jamal Khashoggi gefangengenommen und getötet wurde.“ Direkter und undiplomatischer geht´s nicht.

In diesem Kontext ist auch der Inhalt des ersten Telefongesprächs Joseph Bidens mit König Salman von Saudi-Arabien zu verstehen, wo der US-Präsident Tacheles redet über „die Bedeutung, welche die Vereinigten Staaten den Universellen Menschenrechten und dem Rechtsstaat beimessen“. Während Staatssekretär Antony Blinken seinem saudischen Amtskollegen Feisal bin Farhan nahelegte, wie wichtig den USA „die Fortschritte im Bereich der Wahrung der Menschenrechte“ seien, was als eine der Prioritäten der gegenwärtigen US-amerikanischen Administration anzusehen sei, ganz im Sinne der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.

Was muss es doch in amerikanischen Ohren für Kratzlaute verursachen, wenn sie dem gegenüber aus Europa das zu hören kriegen: „Die liberale Demokratie ist in eine liberale Non-Demokratie umgewandelt worden. Die Lage im Westen ist die, dass es dort Liberalismus gibt, aber es gibt dort keine Demokratie mehr.“ Das ist die Meinung des wohl undemokratischsten Chefs eines demokratischen Staates, Ungarns Viktor Orbán, ausgesprochen bei der Eröffnung der 29. Offenen Universität von Balványos/Bad Tuschnad in Ostsiebenbürgen. Ebendort war aus Orbáns Mund zu hören: „Die Menschenwürde, die Familie und die Nation sind Grundlagen des Christentums. Wir versuchen nicht, Universalität zu erreichen durch die Auflösung der Nationen, sondern indem diese bewahrt werden.“ Verstanden werden sollte daraus: Es ist ein gutes Recht der christlichen Demokratie, die liberale Demokratie zu verdrängen, zu ersetzen – und dies in völliger Missachtung der universellen und humanistischen Wurzeln der christlichen Demokratie. 

Dass Orbán dort auch seine grenzenlose Sympathie für China, Putin und Trump bekundete, gehört zur Illiberalität. Dass derselbe Viktor Orbán sich aktuell demonstrativ mit dem chinesischen Vakzin Sinopharm impfen ließ und, ebenfalls demonstrativ und ohne auf die Expertise der europäischen Arzneimittelagentur EMA zu warten, Millionen Sputnik V-Impfdosen von Russland bestellte (was in den demokratieblinden Augen Trumps ein Glanzpunkt wäre), auch das dürfte dem Diktator von Ungarn in den neuen US-amerikanischen Augen keine Pluspunkte eingetragen haben.

Es ist anzunehmen, dass der „Rekalibrierungsprozess“, den die Biden-Administration mit Saudi-Arabien einleitete, auch auf die illiberalen Frontländer der EU, Ungarn und Polen (vielleicht auch die Slowakei), übergreifen wird. Die flagrante Missachtung der Menschenrechte und die Illiberalisierung der Demokratie, die in Ungarn und Polen zur Staatspolitik wurden – und die dadurch in unmittelbare Nähe Putin-Russlands rückten (wobei Polen und „Nähe zu Russland“ ein Paradoxon an sich ist...) – dürfte bald schwer in die Waagschale US-amerikanischer Erwägungen fallen, wenn es darum geht, Partnerbeziehungen enger zu knüpfen.

In diesem Kontext kann die Nominierung des neuen Botschafters Rumäniens in Washington, des Johannis-nahen Andrei Murariu, als eine glückliche Wahl bezeichnet werden (nicht weniger die Nominierung Emil Hurezeanus für Wien!). Murariu gilt als ein geschickter Realpolitiker. 

Das braucht Rumänien im Biden-Washington.