Im Dreieck der kulturellen Vielfalt

Siebte Journalistenreise DRI: Auf den Spuren der nationalen Minderheiten zwischen Temeswar, Nadlak und Arad

Serbisch-orthodoxer Bischofssitz Temeswar Fotos: George Dumitriu

Schwabenmuseum im Adam-Müller-Guttenbrunn Haus

Im Verwaltungspalast Arad

Heimatmuseum der Slowaken in Nadlac

Das serbisch-orthodoxe Kloster in Birda

In der Klosterkirche Birda

Synagoge in der Josefstadt in Temeswar

Wo gibt es eine Stadt mit vier Nationaltheatern in vier unterschiedlichen Sprachen – Rumänisch, Deutsch, Ungarisch und Serbisch? Mit der einzigen serbischen Schule des Landes und dem Sitz des serbisch-orthodoxen Bistums, das in der Region fünf Klöster unterhält? Gut 60 Kilometer weiter, wohlgemerkt im selben Land, dann eine andere Stadt – mit slowakischer Schule, slowakischer Kirche, einem slowakischen Heimatmuseum. In der nächsten Stadt, die das Dreieck komplettiert, wandeln wir auf den Spuren der Ungarn. Dazwischen begrüßen uns Ukrainer in ihrem Heimatdorf mit Salz und Brot. Die Nachbargemeinde wiederum erinnert an die Schwaben. Vier Tage auf Reisen, tausend verschiedene Eindrücke. Preisfrage: Wo sind wir gelandet? Richtig, im Banat!

Das Banat ist ein gigantisches Ethno-Puzzle. Ein Wirbelkorb für Völker, die kamen und gingen und wo freigewordene Plätze sofort von anderen belegt wurden. In Königshof/Remetea Mică, einem einstigen Schwabendorf, siedelten sich als Nachfolger Ukrainer an. Im benachbarten Charlottenburg/Șarlota, kreisrund, für deutsche Siedler geplant, leben seit ihrer Auswanderung Rumänen. Die jüdischen Synagogen in Temeswar/Timișoara sind längst - bis auf eine - Stätten kultureller Veranstaltungen für alle Nationen. 

Wie kann man diesen bunten „Blumengarten“ in nur vier Tagen erfassen, fragen wir uns als Teilnehmer der siebten Journalistenreise, die das Departement für Internethische Beziehungen an der Rumänischen Regierung (DRI) vom 7.bis 11. Oktober organisiert hat, auf der Suche nach dem touristischen Potenzial der Minderheiten. Wie Schmetterlinge lassen wir uns mal hier, mal dort nieder, schnuppern in alle Blüten hinein, bevor wir weiterflattern. Zu welcher Erkenntnis werden wir diesmal gelangen? 

Auf den Pfaden der Serben

Die erste Station führt direkt in die Gemeinde Birda. Ein serbisches orthodoxes Kloster, gestiftet 1485 vom Despoten George Brancovici. Nachdem dieser zwei bedeutende Reliquien - ein Stück Schädelknochen des Heiligen Georg und ein Stück der Kette, mit der der Apostel Paulus gefesselt war - vor den Türken in dieses Kloster gerettet hatte, wo sie bis heute aufbewahrt werden, verzichtete er plötzlich auf Rang und weltliche Güter und zog sich als Mönch Maxim dorthin zurück. Später wurde Maxim der erste orthodoxe Metropolit der Walachei, dann von Belgrad, und nach seinem Tode heilig gesprochen. Die serbische Familie Brancovici ist auch mit den Moldauer Fürstenhäusern eng verwoben: die Frauen von Neagoe Basarab und Petru Rareș stammen aus diesem Hause.  

Heute betreiben ein junger Pfarrer und eine ältere Nonne, Maica Evghenia, das Kloster. Im Dorf gibt es nur vier serbische Familien, doch ist das Kloster beliebtes Pilgerziel von Serben aus der ganzen Region. An den Wänden hängen Kinderzeichnungen, gefertigt in den Ferienlagern, die im Sommer stattfinden, um den Kleinen die Geheimnisse des serbisch-orthdoxen Glaubens  näher zu bringen. 
In Temeswar besuchen wir auch den Palast des serbisch-orthodoxen Bistums mit seinem beeindruckenden Museum. Das Bild runden Gespräche im Direktorat des serbischen Gymnasiums „Dositei Obradovici“ und im Kulturzentrum der Serbischen Union ab.

Im Bann der Banater Schwaben

Im Adam-Müller-Guttenbrunn-Haus, Sitz des Demokratischen Forums der Banater Schwaben, erzählt dessen Vorsitzender Dr. Johann Fernbach die Einwanderungsgeschichte der Donauschwaben. Ein riesiges Gemälde von Stefan Jäger, leihweise vom Temeswarer Kunstmuseum überlassen, illustriert den Zug der  Einwanderer vor fast 300 Jahren. Ein weiteres zeigt den Namensgeber des Hauses, einen der bedeutendsten schwäbischen Schriftsteller und Kunstkritiker. 
In drei Wellen zogen die deutschen Siedler unter den Habsburgerkaisern Karl VI., Maria Theresia und Josef II. auf der Donau von Ulm bis nach Belgrad, dann weiter zu Fuß ins Banat. Mit welchen Schwierigkeiten die ersten Generationen zu kämpfen hatten, illustriert der Spruch: „Den ersten der Tod, den zweiten die Not,den dritten das Brot.“ Ihre Ursprungsgebiete waren Elsass-Lothringen, Baden-Württemberg, Bayern und Teile Österreich-Ungarns. In den geschlossenen Dorfgemeinschaften im Banat spielte die katholische Kirche eine zentrale Rolle. Wichtigster Feiertag neben Weihnachten und Ostern war das Kerweih-Fest (Kirchweihe). Wie einen bunten Teppich rollt Fernbach weitere historische Etappen auf: die Große Vereinigung – mit den Hohenzollern-Königen Karl I. und Ferdinand für die Schwaben „eine Art Garantie, dass es in Rumänien gut wird“; die Magyarisierungsbestrebungen der Ungarn  - „auf Friedhöfen sehen Sie oft deutsche Familiennamen mit ungarischen Vornamen“; der Zweite Weltkrieg  - „viele sind in Stalingrad gestorben“. Die Deportation nach Sibirien und in den Donbass - prominentester Zeitzeuge ist der 93-jährige Pfarrer Ignaz Bernhard Fischer, heute Präsident des Deportiertenvereins. Die kommunistische Zeit und die Verschleppung jener, die nahe an der Grenze zu Jugoslawien lebten, in den Bărăgan - „Wer zu viel Grund besaß oder die Nase zu hoch trug, wurde dort mit der ganzen Familie unter freiem Himmel ausgesetzt.“  Es gab auch Gutes, räumt Fernbach ein: „Unsere Schulen wurden in all der Zeit nicht aufgelöst, wir hatten das Recht, auf Deutsch zu lernen. Nicht wie in Ungarn oder Serbien, wo man auf der Straße plötzlich nicht mehr Deutsch sprechen durfte.“ Nach der Revolution wurden auch die Schwaben von der Auswanderungswelle der deutschen Minderheit erfasst. Heute leben noch ca. 14.000 Deutsche im Banat. 
Wer mehr über das Leben der Banater Schwaben erfahren möchte, sollte sich auf keinen Fall das außerordentlich liebevoll eingerichtete Museum im Adam-Müller-Guttenbrunn Haus entgehen lassen, zugänglich über den Trakt des dortigen Altenheims. 

Der jüdische Geist von Temeswar

In der Synagoge in der Josefstadt  erfahren wir die jüdische Geschichte Temeswars: Ende des 19. Jh. lebten an die 13.000 Juden in Temeswar, etwa 8 Prozent der Stadtbevölkerung. Dass ein großer Teil den Holocaust überlebt hat, verdanken sie Königinmutter Elena, die bei Diktator Antonescu um Aufschub der Deportationen in die Konzentrationslager der Nazis gebeten hatte. Kurz darauf ereignete sich die Niederlage bei Stalingrad und die Massendeportationen wurden ausgesetzt. 
Die Synagoge gehörte einst den orthodoxen Juden, die im Gegensatz zu den Neologen strikt an althergebrachten Regeln festhielten. Die meisten sind jedoch während des Kommunismus ausgewandert, weil dieser Anpassung verlangte: keine Bärte, keine Talare, arbeiten auch am Samstag, dem heiligen Schabbat.
Etwa 500 Mitglieder zählt die Glaubensgemeinschaft heute im strengen Sinne, als Jude zählt für das Rabbinat nur, wer eine jüdische Mutter hat. Tatsächlich ist die Gemeinschaft wesentlich größer, dazu gehören gemischte Familien und Sympathisanten, die sich meist aufgrund jüdischer Vorfahren für die Kultur interessieren. Ursprünglich gab es fünf Synagogen in Temeswar - die drei großen, in der Josef- und in der Innenstadt  (Cetate; in Restauration) und jene in der Fabrikstadt, sowie zwei kleine. Heute dient nur noch die Synagoge in der Josefstadt als Kultort, die anderen sind Stätten der Kultur.

Ungarischer Kultur auf der Spur

In die ungarische Kultur Temeswars schnuppern wir bei einer Aufführung des ungarischen Staatstheaters hinein. Die Sprechtexte werden per Kopfhörer ins Rumänische übersetzt, während des Teszt-Theaterfestivals auch ins Serbische und Deutsche. Während des Festivals hat auch immer ein neues Stück Premiere.
Außerdem besuchen wir das ungarische Bildungszentrum für die Jugend „Bolyai János Kollegium“. Die 2013 gegründete NGO hat sich zum Ziel gesetzt, die ungarische Kultur und die Gemeinschaft unter ungarischen Studenten zu fördern. Auch soll ihnen bei Schwierigkeiten mit der rumänischen Unterrichtssprache geholfen werden, durch Kurse und Seminare, gehalten von Experten aus Ungarn, zu bestimmten Studienthemen je nach Bedarf. Im dazugehörigen Heim mit 13 Zwei- und Dreibettzimmern wohnen derzeit 30 Studenten, 15 davon aus Harghita und Covasna. Etwa 300 Studenten der ungarischen Minderheit gibt es in ganz Temeswar. Im hauseigenen Konferenzsaal wird für diese und andere Interessierte regelmäßig ein Kulturprogramm geboten: ungarische Filme, Vorträge, Buchpräsentationen. Die NGO ergänzt die bestehende Infrastruktur aus ungarischem Gymnasium und ungarischer katholischer Kirche.
Auch in Nadlak/Nădlac verbringen wir einen Tag, wo sich die slowakische Minderheit mit ihrer Schule, ihrer Kirche, einem bezaubernden Heimatmuseum und dem Kulturverein vorstellt – ein eigenes Thema, ebenso wie die Abstecher nach Charlottenburg und Königshof. Selbstverständlich werden auch die anderen Etappen noch einzeln vertieft.

In Arad besuchen wir das ungarische Gymnasium „Csiky Gergely“, einzige höhere Bildungsanstalt mit Unterrichtssprache Ungarisch im ganzen Kreis. An der Freiheitsstatue im „Park der Versöhnung“ erschließt sich uns die Bedeutung dieses Denkmals: Es erinnert an  13 ungarische Generäle, die am 6. Oktober 1849, infolge des Aufstands der Ungarn gegen das österreichische Kaiserreich, hingerichtet wurden. Ihrer gedenken die Ungarn bis heute als Märtyrer. Im Kulturpalast gibt es zudem eine Ausstellung zur Revolution von 1848. Krönender Abschluss des Besuchs in Arad war die nächtliche Besichtigung des Verwaltungspalasts mit interessanter  Architektur und atemberaubender Innendekoration. 
So kann es bei dieser überwältigenden Vielfalt im Banat nur eine Schlussfolgerung geben: Man muss wiederkommen! Immer wieder und wieder.