In Haft, in Freiheit: Kunst kann Brücken bauen

Neun Häftlinge des Jugendgefängnisses Craiova präsentierten in Bukarest ein Stück – als Vorbereitung für mehr

Im Pavillon des Goethe Instituts präsentieren die Insassen des Jugendgefängnisses Craiova vor ausgewählten Besuchern das erste Mal ihr Stück, mit eigener Musik und Literatur.

Vor dem Pavillon des Goethe-Instituts in Bukarest stehen Polizisten. Mit Pistolen am Gürtel und schweren Jacken kommunizieren sie über Walkie Talkies und tragen einen einschüchternden konzentriert-aufmerksamen Blick. Alle Ankommenden werden misstrauisch gemustert. Das Gebiet wurde schon vorher ausgekundschaftet, denn an diesem Tag, am Donnerstag, den 20. April, präsentierten neun Gefangene aus dem Jugendgefängnis in Craiova ihr Stück mit eigener Musik und Texten vor ausgewählten Gästen. Um das zu ermöglichen, mussten viele Puzzlestücke zusammengebracht werden. 

Organisiert hat diese Präsentation maßgeblich der Musiker Andrei Dinescu, welcher in verschiedenen Bands in Rumänien gespielt hat. Angefangen hat die ganze Idee bereits „ungefähr zehn Jahr früher“, erklärt er im ADZ-Gespräch. Maßgeblich beteiligt war Dana Cenu{˛ – die ehemalige Journalistin und Sprecherin der nationalen Gefängnisverwaltung, erklärt Dinescu. Nachdem er während eines Drehs für einen Dokumentarfilm einmal in das Gefängnis Craiova gekommen war, um mit den Insassen zu musizieren, brachte Cenușă das Thema ins Rollen. „Sie hat hunderte humanitäre Aktionen geplant“, erzählt der Musiker von der vor einigen Jahren verstorbenen Cenușă˛. 

Im Vordergrund stand dabei immer die Kunst. „Sie hatte die Idee, ein Theaterfestival mit Gefängnisinsassen zu veranstalten, und kontaktierte deswegen bekannte Persönlichkeiten aus der Theater und Musikszene – weil sie auch Musik dabeihaben wollte. 

Manche, die sie kontaktierte, hatten Angst, andere verlangten viel Geld. Aber irgendwie fand sie mich, und ich war bereits einmal im Gefängnis gewesen“, erklärt Dinescu. „Beim ersten Mal landete ich im Hochsicherheitsgefängnis Bukarest, und dort fand ich so gute Musiker, dass sie mir was beibrachten, anstatt dass ich ihnen was beibrachte! Manche waren einfach Vollzeit-Musiker und Teilzeit-Kriminelle, und andere waren Teilzeit-Musiker und Vollzeit-Kriminelle.“ 

Man verliert nichts, man bekommt etwas

So begann er mit Cenu{˛ freiwillig und ohne Bezahlung zusammenzuarbeiten und fuhr teilweise mit ihr durch das ganze Land, in die meisten Gefängnisse von den Karpaten bis zur Donau, um dort mit den Menschen im Gefängnis zu musizieren. 

Das Ziel von all dem war stets klar: Öffentliche Auftritte in großen Theatern, oder Konzerte in Clubs, Pubs und Bars, vor allen Menschen, die kommen wollten – welche auch tatsächlich stattfanden. „Es gibt Länder, die mehr Geld haben als Rumänien, wo man viele Aktivitäten in den Gefängnissen hat, aber sie bleiben im Gefängnis – es gibt keinen Kontakt mit der Gesellschaft.“ 

Und genau das wollten die beiden ändern: Es gehe darum zu zeigen, dass Menschen in Gefängnissen, nur weil sie mal etwas Schlechtes getan haben, nicht komplett und grundsätzlich schlechte Lebewesen sind. „Das geht am leichtesten mit Kunst. Sonst ist alles nur theoretisches Geplapper – blabla, Resozialisierung, und und und. Die Vorurteile sind so, dass Leute, wenn sie Gefängnisinsassen treffen, Angst haben, was zu verlieren: Dein Portemonnaie, oder dein Geld. Nach einer Stunde Musik aber hast du von den Insassen stattdessen etwas bekommen, was du vorher nicht hattest: die Kunst.“

Eine grundsätzlich problematische Situation

Schließlich gebe es ein grundsätzliches Problem: Das Problem der Gefängnisse „in denen du immer mehr davon hörst, was du nachher noch Kriminelles tun kannst, als anderes“, wie Dinescu berichtet. „Es ist ein grundsätzliches Problem der ganzen Welt – wie geht man mit Straftätern um? Gefängnisse sind sicherlich nicht die ideale Lösung“ – jedoch hatte Cenu{˛ ihm eines gesagt: Die Kunst kann helfen.

Aber für Kunst braucht es auch immer Menschen. Menschen, die Kunst machen und Menschen, die es ermöglichen. Mit Cenu{˛ verstarb auch erst mal das komplette Projekt „Kunst und Musik in rumänischen Gefängnissen“. „Wenn jemand wie sie – die so viel gemacht hat – nicht mehr da ist, kommt nicht einfach jemand, der das übernimmt. Du bräuchtest 30 bis 40 Leute dafür“, meint Dinescu voller Respekt.

Nochmal alles von Neuem aufrollen

Jedoch möchte er genau dort ansetzen: Seit einem Jahr organisiert er mit einem Team von vier Personen wieder ein Projekt, das Musik in das Jugendgefängnis Craiova bringen will.
Im Gepäck hat er den Roma-Musiker Boca Dumitru, welcher selbst im Gefängnis war und ein Experte in Roma-Musik ist – also gleich doppelt perfekte Voraussetzungen besitzt. Dazu kommen der Drummer Eugen Imecs, welcher in verschiedenen Bands war/ist, und der experimentelle Musiker und Theaterregisseur Andrei Raicu. Gefördert vom „EEA and Norway Grants“, welche sich für Roma-Rechte einsetzt, hat er Finanzierung für zwei Jahre in der Tasche (wovon bereits eines vergangen ist), in denen sein Team im Gefängnis Musik und Theaterübungen macht und auch Auftritte in den kommenden Monaten plant. 

Im Fokus stehen auch insbe-sondere Roma. „Roma-Gefangene leiden unter doppelter Diskriminierung, wenn sie wieder das Gefängnis verlassen. Zum einen weil sie Roma sind und zum anderen, weil sie ehemalige Insassen sind. Ein Doppelproblem – und das, während Roma in Rumänien zwar eine Minderheit, wegen den sozialen Umständen aber in den Gefängnissen eine Mehrheit darstellen“.

Eine Generalprobe vor ausgewähltem Publikum

Diese komplizierte Geschichte führte also zum Donnerstag, den 20. April, an dem neun Insassen das erste Mal vor der Öffentlichkeit auftraten und das erste Mal seit Langem überhaupt das Gefängnis verlassen hatten. Jedoch konnten wegen rechtlicher Probleme, wie Dinescu berichtet, nicht alle kommen, und insbesondere eine Frauengruppe musste noch im Gefängnis bleiben. 

Zu Besuch waren Bekannte und Freunde der Organisatoren, damit die Insassen in einem kleinen Rahmen eines wohlwollenden Publikums ihre allererste Bühnenerfahrung sammeln konnten – denn jeder kennt es: Vor Publikum aufzutreten ist nicht leicht. So saßen die Neun augenscheinlich nervös auf ihren Stühlen auf der Bühne, bevor das Stück begann, und scherzten mit ihren Sitznachbarn – ganz wie normale Jugendliche, wären da nicht die Polizisten mit verschränkten Armen, die jede Bewegung beobachten.

Der Auftritt, die Kunst und die Polizei

Doch als es losgeht, verfliegt die Anspannung. Das Organisatorenteam um Dinescu, Dumitru und Imecs kommt auf die Bühne, wo der als Gefängniswärter verkleidete Raicu auf sie wartet. Denn das Theaterstück könnte nicht verwirrender angelegt sein: Die Gefängnisinsassen spielen nach, wie die Künstler zu ihnen zu Besuch kamen. 

Die Gefangenen spielen also außerhalb des Gefängnisses den Gefängnisalltag nach – welch Ironie. Nach ein paar kleinen Theaterszenen beginnt die Musik. Bei einem Stück spielen alle auf Trommeln perfekt und lautstark den Takt und beschwören einen geradezu hypnotischen Sound herauf, bei einem anderen singt einer der Jungen durchaus gekonnt ein Lied. 
Unterbrochen werden die musikalischen Stücke von Briefen, welche sie im Theaterstück erhalten und dann vor den Gästen vorlesen, mit bedrückender Musik im Hintergrund. Die von den Künstlern verfassten Texte sind teils Gedichte, andere erzählen vom eigenen Schicksal. Alle sind sehr emotional, das Publikum ist offensichtlich mitgenommen – und sogar ein Polizist wirkt berührt. Am Ende gibt es nicht nur den wohlverdienten Applaus, sondern „standing ovations“ – das Publikum steht auf und jubelt den jugendlichen Künstlern zu.

Doch nur so lange, bis durch den Saal klingt: „Alle müssen raus!“ Polizeianweisung. Brav packen alle ihre Sachen eilig zusammen und versammeln sich um die Aschenbecher vor dem Goethe-Institut, welches seine Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt hatte. Für die Künstler gibt es in Bewachung noch ein paar Sandwiches, bis sie wieder zum Fahrzeug abgeführt werden, unter den Blicken der rauchenden und quatschenden Gäste. Gehört das noch zur Show, oder zum natürlichen Gaffen bei einer solchen Situation?

Nachdem das fensterlose Auto wieder nach Craiova aufgebrochen ist, fragen sich womöglich einige, ob sie wirklich was gewonnen haben, oder nur ihr eigenes moralisches Gewissen gefüttert haben. Doch eines ist klar: Gerade eben saßen sie vor Menschen, welche nun wieder auf dem Weg in Gefangenschaft sind, während sie selbst nun langsam nach Hause spazieren. Und die Gefangenen saßen vor Menschen, welche sie nicht ignorierten und ausgrenzten. Denn während der Aufführung, bei der Kunst, gab es nur zwei Rollen: Interpreten und Zuschauer.

Dinescu möchte das Projekt auch nach dem kommenden Jahr weiterführen. „Das Goethe-Institut hat Interesse daran gezeigt, es für immer zu finanzieren“, berichtet er. Jedoch würde er sich ein staatliches Projekt für alle Gefängnisse des Landes wünschen, das Musikräume, Lehrkräfte und Veranstaltungen beinhalten würde – damit alle inhaftierten Menschen eine Chance bekommen, selbst aufzutreten.