Ist es „ketman“?

Als der Innenminister und seine zwei Staatssekretäre, die direkt in die Vorbeuge- und Einschränkungsmaßnahmen der Coronavirus-Krise involviert sind – Ion Marcel Vela, Dr. Raed Arafat und Polizei-Chefquästor Bogdan Despescu – ihre für Sonntag 19 Uhr angekündigte „Information an die Nation“ mit fast zweistündiger Verspätung und ohne jede Entschuldigung starteten, erinnerte ich mich an das von Czeslaw Milosz zu Beginn der 1950er Jahre veröffentlichte Buch des späteren Literatur-Nobelpreisträgers „Verführtes Denken“ (rumänisch mit einem treffenderen Titel: „Gândirea captivă“, in etwa „Befangenes/Gefangengenommenes Denken“). Milosz lanciert den Begriff „ketman“, mit dem er ausdrückt, wie ein instinktiv gefühltes Widerstreben, die instinktive Abweisung mittels auffälliger Freundlichkeit und aufdringlichem Wohlwollen kaschiert und überbrückt wird. Etwa wie wir in der Schule und auf der Hochschule den „Wissenschaftlichen Sozialismus“ „studiert“ haben…

Das Zappeln der gegenwärtigen Regierung – und es spielt überhaupt keine Rolle, dass es diesmal eine „liberale“ Regierung ist – und die zur Schau getragene Selbsttäuschung mit den für Rumänien aktuellen Zahlen der Infizierten kann nur Naive überzeugen. Für mich ist es „ketman“. Immerhin dürfte es jedem bekannt sein (ist sogar von den drei Herren mehr oder weniger zwischen Zeilen und Zähnen zugegeben worden), dass die Möglichkeiten zum Test für die Infizierung mit SARS-CoV-2 in Rumänien mangels Ausstattungen und -rüstungen extrem beschränkt sind oder waren, wenn der angekündigte Nachschub an Testmöglichkeiten wirklich erfolgt sein sollte. Dass also der Realstand der Angesteckten wahrscheinlich weit über dem Zugegebenen liegt. Das erklärt auch den plötzlichen hohen Anstieg der Fälle.

Warum sollte denn Rumänien, mit seinem rudimentären Gesundheitsbetreuungssystem, seinem Ärztemangel, seiner schrägen Finanzierungshaltung Krankenhäusern gegenüber und einer Bevölkerung, von der es so oft hieß, dass sie der Seife spinnefeind sei, warum sollte dieses Land, wohin Zehntausende seiner Bürger aus den betroffensten Gegenden Italiens zu flüchten versuchen (und denen die Regierung insgeheim und auf unser aller Kosten – ohne Rechtfertigungen – durch Zurverfügungstellung von Flugzeugen Vorschub leistet), zu den am wenigsten vom Coronavirus befallenen gehören? Es kann kein Zufall sein, dass die negative Empathiewelle gegenüber den Millionen in Italien, Spanien, Frankreich und Deutschland tätigen Rumänen hochkochte, die beim „Heimkehren“ als „Infizierer“ empfunden werden (und die nicht selten diese Einschätzung aufgrund der Ignorierung elementarer Vorbeugemaßnahmen vollauf rechtfertigen). Von der Aussage, die der Reschitzaer Bürgermeister den ganzen Winter über auf die Industrieseilbahn projizieren ließ – „Ne e dor de voi!“/„Wir sehnen uns nach euch!“ – vom Wort, von dem die Rumänen behaupten, es existiere NUR im Rumänischen („dor“ = „Sehnsucht“…) war bei Ausbruch der (wohl) europäischen Mutation der Covid-Linie nichts mehr übrig.

Auch die dreißig Jahre lang anerzogenen demokratischen Instinkte scheinen den Bürgern Rumäniens zu fehlen. Es liegt auf der Hand: Um eine Pandemie zu bekämpfen, sind Sondermaßnahmen nötig. Präsident Johannis hat das in seinen Appellen und in beherrscht-ausgewogenen Stellungnahmen hinreichend betont. Und doch scheint es, als ob die demokratischen Instinkte der Bevölkerung eingeschlafen sind. Zu locker, zu selbstverständlich, zu masochistisch sind die Restriktionsmaßnahmen der militärischen Verordnungen, die Innenminister Vela vor laufender Kamera vom Papier heruntergemurkst hat, „angenommen“ worden, aber ohne Verinnerlichung…. Von den Arabern via Türken kommt wohl das Sprichwort: „Câinii latră, caravana trece“ / „Die Hunde bellen, die Karawane zieht vorbei“. Allein Autoritätshörigkeit kann das auf keinen Fall sein.

Doch eine tagesaktuelle Form des „ketman“ von Czeslaw Milosz?