„Jeder Tag ist ein neuer Tag!“

Rohtraut Wittstock, unsere langjährige Chefredakteurin, verabschiedet sich von der ADZ

Foto: Erwin Josef Țigla

Als Interims-Redaktionsleiterin wurde vom DFDR die bisherige zweite Stellvertreterin Nina May gewählt. Nach einem Jahr soll die Stelle ausgeschrieben werden. Foto: George Dumitriu

Seit heute muss es auch ohne sie gehen: Rohtraut Wittstock, Chefredakteurin der „Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien“, hat ihren wohlverdienten Ruhestand angetreten. Auf der Vertreterversammlung des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR) wurde sie letzten Freitag in Hermannstadt/Sibiu mit der Goldenen Ehrennadel des DFDR (überreicht vom Vorsitzenden Dr. Paul-Jürgen Porr) ausgezeichnet. Die Laudatio hielt Nina May. Auch das Team der Mitarbeiter wünscht hiermit alles Gute für den neuen Lebensabschnitt!

Laudatio


Es war Oktober 1976, also ziemlich genau vor 44 Jahren, als Rohtraut Wittstock beim „Neuen Weg“ – heute „Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien“ (ADZ) – als Redakteurin begann. Prädestiniert für ihre Aufgabe als Journalistin hatte sie das Elternhaus: der Vater Schriftsteller, die Mutter Krebsärztin, aber ebenfalls sehr an Literatur interessiert. Drei ältere Brüder – davon ein Schriftsteller, zwei Journalisten. Alle vier Geschwister schreiben. Den „Neuen Weg“ gab es auch damals schon im Hause Wittstock. Der Journalismus ist ihr sozusagen in die Wiege gelegt. Studium der Germanistik – wen wundert’s? Berufsbeginn beim Radio in Bukarest. Aber es störte sie, dass die Worte einfach so in den Äther verschwinden...

Das war bei der Zeitung anders. Zeitung ist ein Dokument für gelebte Geschichte. Und in 44 Jahren –  ein halbes Leben – da erlebt man schon einiges: 24 Jahre erlebte sie mit der Zeitung den Kommunismus, als Kulturredakteurin, dann als Chefin der Kulturabteilung.

Dann kam die Wende. Sie brachte Freiheit zum Mitgestalten und neue Themen. Ein solches war auch der Exodus der Deutschen: Die Zeltstadt, die auf der Piața Dorobanți nahe der deutschen Botschaft entstand, zur Erlangung eines Einreisevisums. Ganze Dörfer wanderten geschlossen aus.  Andere blieben. Der „Neue Weg“ berichtete, brachte stets beide Stimmen. Es war sicher eine spannende Zeit. Gleichzeitig musste man aber auch um die Zukunft der Zeitung bangen.

Die Wende brachte aber auch noch etwas Neues: Verantwortung. Frau Wittstock erzählte mir einmal, wie ein betagter Kollege sie damals ziemlich aufgeregt auf dem Flur der Redaktion gefragt hat: „Aber – wer trägt denn jetzt die Verantwortung für das Geschriebene?“ „Na, Sie!“, antwortete sie ihm bestimmt. Da war sie aber noch nicht die Chefin. 
Wie sie selbst mit der Veränderung zurecht kam? „Du machst einfach, was dein Verstand dir sagt“, erklärte sie mir mit einer Leichtigkeit, die sie auch heute noch auszeichnet. Denn so kenne ich meine Chefin: Pragmatisch, unkompliziert, zielsicher. Wenn etwas logisch ist, dann wird es gemacht. Sonst haben die Mitarbeiter genug Spielraum, selbst Verantwortung zu zeigen und sich einzubringen.

Mit der gleichen Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit hat sie 2008 die Leitung der Redaktion übernommen. Dies, nachdem die ADZ nach mehr als 60-jährigem Bestehen zuerst abgeschafft – und dann, nach einer Flut erboster Leserbriefe, doch weitergeführt werden sollte. Frau Wittstock war damals bereits im Rentenalter, hatte gerade Enkelchen bekommen, war ehrenamtlich sehr engagiert, „man hat ja noch anderes zu tun als die Zeitung“, tröstete sie sich.

Doch es sollte anders kommen: An dem Tag, der ihr letzter Arbeitstag sein sollte, hatte sie der heutige Staatspräsident Klaus Johannis überraschend gefragt, ob sie bereit wäre, die Chefredaktion zu übernehmen. Am selben Abend setzte sie sich hin, schrieb eine Rundmail an das längst entlassene Team, trommelte es zusammen und leistete Überzeugungsarbeit. So wurde die ADZ buchstäblich in letzter Minute gerettet.

Wie hat sich die Zeitung entwickelt unter ihrer Leitung? Nun, das durfte ich zehn Jahre lang persönlich miterleben. Und staunen, welche Wirkung so eine kleine Zeitung haben kann! Nicht nur, dass sie heute die einzige deutschsprachige Tageszeitung Südosteuropas ist und mit über 75 Jahren eine Art Archiv für die gelebte Geschichte der deutschen Minderheit. Sie ist auch Bindeglied und Botschafterin: Bindeglied zwischen den einzelnen Gruppen der deutschen Minderheit, zwischen den ausgewanderten und hiergebliebenen Deutschen. Zwischen den Lesern in Rumänien und in den anderen Ländern. Aber auch zwischen Alt und Jung, zwischen Tradition und Moderne. 
Die ADZ erreicht heute eine kleine, aber äußert breit gefächerte Leserschaft. 

Sie ist Botschafterin für ethnische, religiöse und kulturelle Vielfalt, Botschafterin für Rumänien im Ausland, sie erinnert an historische Lektionen und berichtet über die heutigen Aktivitäten der Deutschen in Rumänien. Damit hat sich die ADZ weit über ihre Rolle als Minderheitenzeitung hinaus emanzipiert! Sie vermittelt eine zutiefst europäische Botschaft, wie der deutsche Botschafter Cord Meier-Klodt anlässlich unserer 75. Jubiläumsfeier betonte.

Es gibt sogar Doktorarbeiten über die ADZ: Die jüngste kam zu dem Schluss, die ADZ sei sprachbewahrend, identitätsstiftend, kulturraumverbindend und eigentlich eine Kulturtageszeitung. Na, da sehen wir doch deutlich die Handschrift von Frau Wittstock!

Die Zeitung hat heute einen guten Ruf, sie gilt als sprachlich und inhaltlich qualitätsvoll und vermittelt offenbar die richtigen Werte.  In den 12 Jahren als Chefredakteurin hat Frau Wittstock bewusst gutes Personal aufgebaut. Sie pflegt einen unauffälligen, aber bestimmten Führungsstil. Auch mit Kritik, wo es sein muss – vor allem aber mit viel Offenheit. Bewusst ist sie stets auf die Mitarbeiter eingegangen, die sie, wie sie selbst sagt, nicht nur respektiert, sondern schätzt – und das spürt man. Es ist leicht, mit ihr zu arbeiten, denn sie verinnerlicht keinen Ärger, trägt nichts nach. Ihre Lebenshaltung, sagt sie, lautet: Jeder Tag ist ein neuer Tag. Das sollten wir ALLE von ihr lernen!

Und es ist sicher auch ihr Verdienst, dass wohl die meisten von uns mit großer Freude und Engagement an der Zeitung arbeiten. Es ist nicht einfach nur ein Job!
Ich habe Frau Wittstock kürzlich gefragt, was sie denn bewogen hat, jetzt in Rente zu gehen. Denn man merkt, dass es ihr immer noch Spaß macht, täglich die Zeitung zu machen. Sie sagte, irgendwann müssten einfach jüngere Leute ran. Sie sagte aber auch: Es fiele ihr jetzt leicht zu gehen, weil die ADZ gute, selbstständig agierende Leute hat und reibungslos funktioniert. So ist es wohl bei ihr wie bei den Spitzensportlern: Es ist weise, am Höhepunkt der Karriere aufzuhören. Damit hinterlässt sie uns ein leichtes Erbe – aber vielleicht auch ein schweres, denn oft ist es viel einfacher, etwas mit großem Tamtam aus dem Nichts aufzubauen, als etwas Gutes still auf dem bewährten Standard zu halten.

Für mich ist die ADZ eine Zeitung mit Herz und Verstand – genau die richtige Mischung. Und das ist wohl kein Zufall. Denn genau so würde ich auch Rohtraut Wittstock beschreiben: als eine Chefin mit Herz und Verstand. Und dafür, liebe Frau Wittstock, möchte ich Ihnen auch ganz persönlich danken.