Kommunalwahlen 2020: Krethi und Plethi kämpfen gegen Hinz und Kunz

Großer Andrang auf den Wahlzetteln, doch schiefe Gesetze lassen kaum Überraschungen zu

Symbolbild: Agerpres

Zum achten Mal seit der Wende von 1989 dürfen die Bürger Rumäniens am kommenden Sonntag ihre Vertreter in den Gemeinde-, Stadt- und Kreisräten sowie die Bürgermeister ihrer Ortschaften und die Vorsitzenden ihrer Kreisverwaltungen bestimmen. Etwa 19 Millionen Wahlberechtigte sollen in wenigen Tagen ihre Stimme abgeben, doch man darf davon ausgehen, dass im Landesdurchschnitt die Wahlbeteiligung die 50-Prozent-Marke nicht überschreiten wird. Dafür spricht die Tatsache, dass noch immer verhältnismäßig wenige Wähler die Bedeutung der Kommunalwahlen begreifen. Und hinzu kommt natürlich die Pandemie, die den Weg in die Wahllokale erschwert. Die Erfahrung anderer EU-Staaten zeigt, dass die Wahlbeteiligung in Zeiten von Covid-19 deutlich geringer ausfällt; da dürfte Rumänien keine Ausnahme sein.

Allerdings müssen die Wahlen abgehalten werden, die Amtszeit der 2016 Gewählten ist ausgelaufen und jedwelche zusätzliche Verlängerung ist mit der demokratischen Praxis nicht mehr zu vereinbaren. Nicht wegen der Wahlen sind in den Sommermonaten die Fallzahlen gestiegen, sondern wegen der mangelnden Disziplin einer Bevölkerung, die eher Verschwörungstheorien hinterherläuft als sich die Hände regelmäßig zu waschen und den Mund-Nasenschutz korrekt zu tragen.

Es sind auch andere Erfahrungen des am Freitag zu Ende gehenden Wahlkampfes, die diese Kommunalwahlen von den vorherigen unterscheiden. Zunächst die große Ungeduld der Politiker, die bereits in den Monaten Juli und August das Land mit ihren Wahlplakaten überzogen haben, obwohl damals der offizielle Wahlkampf nicht begonnen hatte. Noch vor dem ersten Wahlkampf-Tag verschwanden die Plakate allesamt, denn nur an den seltsamen Bestimmungen der rumänischen Wahlgesetze kann es liegen, dass unbegrenzte Wahlwerbung vor dem offiziellen Wahlkampfbeginn erlaubt ist, nachher aber nur unter strengen Auflagen.

Die Zulassung von Wahlwerbung dürfte jedoch im Zeitalter von Facebook und Instagram als eine Lappalie erscheinen, von viel größerer Tragweite ist die undemokratische Regel, nach der die Bürgermeister gewählt werden. Auf die Stichwahl haben die Großparteien PSD und PNL schon früher und in vollkommener Eintracht verzichtet und somit die Ämter unter sich aufgeteilt. Der Osten und der Süden sind Rot und sie dürften größtenteils auch nach dem kommenden Sonntag Rot bleiben, einige Ausnahmen sind natürlich vorbehalten. Siebenbürgen und das Banat bleiben Gelb, im Szeklerland und in anderen wenigen Gebieten, wo die Magyaren in relativer oder absoluter Mehrheit leben, werden Amtsträger des UDMR ein leichtes Spiel haben, weshalb die Abschaffung der Stichwahl auch den verkrusteten Ungarnverband entzückt hat. Keine andere Wahlregel dürfte undemokratischer sein als diese, denn sie verstärkt den Amtsbonus der Regierenden und erschwert Neulingen die Wahl. Vor allem die USR-PLUS-Allianz, die in zahlreichen Kommunen unverbrauchte (man könnte auch sagen: unerfahrene) Kandidaten aufgestellt hat, wird an dieser unsäglichen Regelung zu leiden haben.

Dennoch gibt es einige Großstädte, wo der Wahlausgang unter Fragezeichen steht, vor allem Bukarest. Nach vier Jahren, in denen es ihr gelungen ist, aus dem Klein-Paris von früher ein Groß-Voluntari nach dem Vorbild ihres Gatten, dem Bürgermeister der besagten Bukarester Vorstadt, zu machen, dürfte Gabriela Firea-Pandele trotz allem wiedergewählt werden. Aus vielerlei Gründen. Zum einen, weil es der rechten Allianz PNL-USR-PLUS nicht gelungen ist, den aufmüpfigen Ex-Präsidenten Traian Băsescu und seine Splitterpartei PMP in ihre Koalition einzubinden. Băsescu, der sich durch seine Kandidatur für das Oberbürgermeisteramt der Hauptstadt endgültig zum Narren gemacht hat, verfügt auch sechs Jahre nach Ende seiner Amtszeit auf Schloss Cotroceni über eine bemerkenswerte Anhängerschar und sein Dauergeplapper im Fernsehen lässt den Eindruck entstehen, er sei der einzige, der Wahlkampf macht oder zumindest etwas davon versteht.

Auch die jüngsten Enthüllungen über die Verbindungen des „Oppositionskandidaten“ Nicușor Dan, dem früher allseits gefeierten Retter von Alt-Bukarest, zu Bukarester Immobilienhaien und über die Art und Weise, wie er über seine zahlreichen NGOs deren Interessen vor Gerichten unterstützte, dürften am Image des sowieso etwas bizarren Dan kratzen. Seinen Spottnamen „Plicușor Ban“, den übrigens seine heutigen Verbündeten, die Liberalen, im Wahlkampf von 2016 erfunden haben, wird er jetzt nur noch schwer los. Firea, die PSD-Kandidatin, der im Falle einer Wiederwahl höhere Ambitionen nachgesagt werden, hat nur einen wahren Gegner: die Covid-19-Pandemie, vor der sich ältere Bürger – ihre traditionelle Klientel – eher fürchten als die Jungen. Das hat sie bereits im Frühjahr verstanden und noch stärker auf das populistische Pedal gedrückt: Gratis-Tests für Griechenland-Urlauber, Massentestungen auf dem Stadion, Gratismasken für Bedürftige. Beim Antena-3- und Romania-TV-Publikum kommt das an. Der Kampf um den Riesenhaushalt der Stadt Bukarest wird bis zuletzt und mit harten Bandagen geführt; unklar jedoch bleibt, was am meisten überraschen soll: die Wieder- oder die Abwahl Fireas.

Ähnlich dürfte die Wiederwahl von Nicolae Robu in Temeswar eine Überraschung sein. Robu, ein Produkt der unmöglichen PSD-PNL-Koalition von 2012, konnte in seiner ersten Amtszeit das verschlafene Temeswar seines Vorgängers Gheorghe Ciuhandu wachrütteln, doch seit 2016 entwickelte er sich immer mehr zu einer grotesken Figur, zu einem Möchtegern-Napoleon, der sich von einer skurrilen Truppe von unfähigen Ja-Sagern umgeben ließ und dabei in Kauf nahm, dass ominöse Interessengruppen ehemaliger PDL-Größen an den 300 bis 400 Millionen Euro umfassenden Jahreshaushalt der Stadt herankamen. Da jedoch die Sozialdemokraten in Temeswar noch nie einen ernsthaften Kandidaten aufstellen konnten, glaubte Robu, dass er 2020 die Wahl problemlos gewinnen werde. Bis der deutsche Bürger Dominic Fritz auftauchte, ein 37-Jähriger, der 2003 zum ersten Mal nach Temeswar gekommen ist und jetzt Bürgermeister werden will. Lange Zeit nicht ernst genommen, konnten Fritz und seine USR-Leute beweisen, dass ein kluger Wahlkampf möglich ist, und zwar mit Stadtentwicklungsideen von heute und nicht mit welchen von vorgestern, die noch mehr Asphalt für noch mehr Autos versprechen. Robu begann zu zittern, und zwar so sehr, dass er, der Liberale, zuletzt auch die nationalistische Keule zu schwingen vermochte: Fritz, der Nicht-Rumäne, der Nicht-Orthodoxe, der fremde Interessen vertritt. Es wird sich am Sonntag zeigen, was aus der toleranten Temeswarer Gesellschaft von einst geworden ist. Ein äußerst gedämpfter Optimismus ist angebracht.

Anderswo werden die Überraschungen wegbleiben, in mehreren Großstädten werden die Amtsinhaber bestätigt, unabhängig davon, ob sie es verdienen, wie beispielsweise in Klausenburg (Emil Boc), in Hermannstadt (Astrid Fodor), in Großwardein (wo der bisherige Bürgermeister Ilie Bolojan Kreisratsvorsitzender von Bihor werden möchte) oder in Reschitza (Ioan Popa), oder eher nicht, wie in allzu vielen Ortschaften. Leichter als früher ist es diesmal, dem Volk Märchen zu verkaufen, vor allem über Facebook oder andere Online-Medien, die verstärkt jene Funktion einnehmen, die früher dem Fernsehen zukam. Was aber an diesem Wahlkampf mehr nervt als je zuvor, ist, dass jeder Bürgermeister, jeder Kreisratsvorsitzende, jeder Möchtegern-Kommunalpolitiker (und die gibt es zu Hunderttausenden, insgesamt tauchen auf den Wahlzetteln 256.042 Namen auf!) die Wähler für besonders dumm hält. Krethi und Plethi nehmen es mit Hinz und Kunz auf und schmeißen mit Projekten, Vorhaben, Investitionen und Plänen um sich, die nie durchdacht und nie realisiert werden. Robu, zum Beispiel, der Temeswarer Ober-Possenreißer, brachte es sogar soweit, dass er eine private Investition, ein Erlebnisbad, das derzeit kaum über das Wunschstadium zweier Geschäftsleute hinaus gekommen ist, als seine große Errungenschaft präsentiert. So geschieht es dieser Tage überall: Baustellen werden eröffnet, Reißbrett-Pläne gezeigt, es wird mit Milliarden jongliert, die natürlich nicht aus dem Lokalhaushalt kommen, sondern netterweise von der EU geschenkt werden, und ein Schlaraffenland projiziert, das es nie geben wird. Und jeder, der bereits im Amt ist und wiedergewählt werden möchte, erklärt, was er alles getan hat, so als habe er die Bank und den Müllkorb im Park oder die neuen Bordsteine eigenhändig hingestellt und auch noch großherzig aus seinem eigenen Portemonnaie bezahlt. Stets mit dem Hintergedanken natürlich, dass man sich für das Gemeinwohl aufgeopfert hat und die undankbare Wählerschaft es nicht zu begreifen vermag. Das ist eindeutig der Beigeschmack des rumänischen „(v-)am făcut asta și asta“ – „ich habe dies und jenes (für euch) getan“, das dieser Tage so oft zu hören war. Man könnte sich fremdschämen, immer und überall.

Am Sonntag wählen die Bürger Kommunalverwaltungen, die der längst obsoleten territorialen Aufteilung von 1968 entsprechen. In der damaligen Gesellschaftsordnung hatte sie vielleicht ihre Logik, doch inzwischen wirkt sie sich eher negativ aus. Es gibt 2861 Gemeinden, 319 Städte, 41 Kreise und die Stadt Bukarest mit ihren sechs Bezirken. Von der Verwaltungsreform wurde seit der Wende viel gesprochen, realisiert wurde nichts. Mittlerweile haben ganze Kreise weniger Einwohner als eine im EU-Vergleich mittlere Großstadt wie Temeswar, aber sie beschäftigen alle dieselben Behörden, die es auch in bevölkerungsreicheren Kreisen gibt. Und die Regierung setzt 42 Präfekten ein (in den Kreisen und in Bukarest), die alle über entsprechende Verwaltungsapparate verfügen. Morgen könnte man sie auflösen und keiner würde etwas merken. Es liegt aber im Interesse keines Kandidaten, der nun nach Stimmen fischt, dass Gemeinden abgeschafft oder Kreise zusammengelegt werden, denn es würden somit Ämter und Würden verlorengehen, Beamtengehälter, Diäten, Einflussmöglichkeiten. Alle wären mit einem Strich dahin. Rumänien würde sich somit ein Stückchen weit entfernen von dem Modell einer „extraktiven Gesellschaft“, in der um nichts bitterer gekämpft wird als um die Erhaltung von Privilegien und in der Anreize zur Wohlstandsschaffung im Keim erstickt werden. Deshalb sollte man es heuer in den meisten Fällen mit jenen versuchen, die neu sind. Die nicht 2020 das versprechen, was sie auch schon mal 2016, 2012 oder vielleicht noch früher versprochen haben. Und diese 2024 austauschen, wenn sie mit demselben Gefasel aufwarten sollten.