Kulturhauptstadt Temeswar 2023: „Eine neue Transformationsdynamik, wo jeder Lust hat, mitzumachen“

Im Gespräch mit Bürgermeister Dominic Fritz

Bürgermeister Dominic Fritz: „Schaffen wir es, die positive Dynamik, die dieses Jahr entsteht, auch ins Jahr 2024, 2025 weiterzutragen?“ | Foto: Zoltán Pázmány

Mutig, offen, divers, einfach anders: Temeswar/Timișoara gehört definitiv zu den rumänischen Großstädten, in denen es sich gut leben lässt. Mit Sicherheit ist vieles noch verbesserungsbedürftig in der Stadt, in der in nur drei Tagen das Europäische Kulturhauptstadtjahr eröffnet wird, doch große Veränderungen passieren nicht über Nacht. Das weiß auch der bundesdeutsche Bürgermeister Dominic Fritz, der große Hoffnungen in das Stadtprojekt gesetzt hat. 
 

Was bedeutet das Temeswarer Kulturhauptstadtprojekt für Rumänien?
Es ist eine strategische Chance für das ganze Land. Eine Chance, dass wir durch das Erzählen der Geschichte, der Kultur und der Werte von Temeswar einen neuen Platz für Rumänien auf der europäischen Bühne finden. Ich glaube, dass diese einzigartige Geschichte Temeswars über Europa vieles aussagt, und dass, wenn diese Geschichte gehört wird, Europa seine eigene Geschichte, aber auch Rumänien ganz neu bewerten wird. Von daher setze ich sehr, sehr große Hoffnungen in dieses Kulturhauptstadtjahr, dass das einen Einfluss hat, weit über die Kulturszene hinaus, bis hin wirklich in Politik und Diplomatie, dass es die Wahrnehmung von Rumänien in Europa verändert.

Welche Rolle spielt die Region im Temeswarer Kulturhauptstadtgeschehen? 
Schon bei der Bewerbung haben wir klar gemacht, dass Temeswar die Hauptstadt des Banats ist und dass deshalb auch die Region mit einbezogen werden muss. Es gibt unterschiedliche Projekte, die kulturelle Akteure aus der Region mit einbeziehen. Unter anderem auch z. B. eine Gruppe aus Arad, aber auch Künstler aus der Region, die in den unterschiedlichen Projekten beteiligt sind. Es gab eine Zusammenarbeit schon seit letztem Jahr mit dem Kunstmuseum Novi Sad und dem Kunstmuseum Temeswar, wo man versucht hat, in den Sammlungen der beiden Städte Parallelen zu entdecken. Darüber hinaus versuche ich, gerade die Bürgermeister der anderen Städte in der Region, ob das jetzt Reschitza oder Arad ist, zu ermuntern, dieses Jahr für eigene Kulturveranstaltungen im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres zu nutzen. Ich freue mich, dass das dort auf positive Resonanz stößt.

Und wie soll das konkret erfolgen?
Konkret zum Beispiel, dass der Bürgermeister von Reschitza sagt: „Ein Theaterstück oder ein Konzert, das ihr in Temeswar aufführt, holen wir das doch auch zu uns!“ Teilweise laufen solche Kooperationen bereits. So ist die Ausstrahlung auf jeden Fall eine größere. Darüber hinaus ist der Kreisrat Temesch Mitfinanzierer des Kulturhauptstadtjahres und auch der Kulturhauptstadtverein hat natürlich eigene Programme, die versuchen, das auf Kreisebene weiterzutragen.

Wie viele Touristen erwarten Sie in diesem Jahr?
Für mich ist nicht entscheidend, wie viele Touristen ganz genau dieses Jahr hierher kommen, sondern: Schaffen wir es, die positive Dynamik, die dieses Jahr entsteht, auch ins Jahr 2024, 2025 weiterzutragen? Ich glaube, es ist möglich, 500.000 Touristen in diesem Jahr hier anzuwerben, wenn man vielleicht auch die mitzählt, die nur für ein paar Stunden kommen oder eine Tagesreise machen. Auch eine Million Touristen ist nicht ausgeschlossen, je nachdem, wie viele von den großen Veranstaltungen Erfolg haben werden. Wichtig ist aber, dass wir es langfristig schaffen, attraktiv für den Tourismus zu werden und dass wir die Marke „Kulturhauptstadt“ auch über das Jahr 2023 hinaus pflegen.

Wie sieht es denn aus mit den Unterkunftsplätzen bzw. wie schätzen Sie das bestehende Hotelangebot in Temeswar ein? Internationale Hotelketten sind kaum präsent. 
Natürlich würde ich mir wünschen, wir hätten mehr Hotels. Wenn die Pandemie nicht dazwischengekommen wäre, wären jetzt zwei-drei Hotelprojekte, die in der Entwicklung waren, schon fertig. Unter anderem hatte sich in dem ISHO-Gebäude eine Hotelkette eingemietet, doch in der Pandemie hatte sie sich wieder zurückgezogen. Jetzt ist gerade ein Bebauungsplan am Bega-Ufer im Stadtrat gewählt worden, wo ein neues Hotel der Ramada-Kette entstehen wird. Die Hotelwirtschaft sieht auf jeden Fall ein großes Wachstumspotenzial in Temeswar. Offiziell sind es zwischen 5000 und 6000 Betten in Temeswar selbst, und 10.000, wenn man die Umgebung dazu nimmt. Hinzu kommen natürlich dann auch noch Tausende von Ferienwohnungen. Von daher glaube ich, wir sind auf jeden Fall gut genug gerüstet, um gute Gastgeber sein zu können. Was uns tatsächlich fehlt, ist ein größeres Fünf-Sterne-Hotel für Staatsgäste, und auch im Niedrigpreisbereich vielleicht Jugendherbergen oder Hostels, wo Schulklassen günstig übernachten können. 

Wie werden denn die Touristen in der Stadt herumkommen? Der Nahverkehr ist leider nach wie vor verbesserungsbedürftig.
Wir sind ständig dabei, den Nahverkehr zu verbessern. Wir werden dieses Jahr 23 neue Trams haben und es kann sogar sein, dass wir mehr bekommen, denn wir haben eine Finanzierung gewonnen. Wir werden nach und nach die Busse ersetzen bzw. anreichern. Mit den neuen Bussen, die wir jetzt bekommen, ist natürlich das Ziel, die alten auszumustern, aber ich schließe nicht aus, dass wir auf bestimmten Wegen dann auch die alten Busse einsetzen, um noch mehr Verbindungen zu schaffen. Wir haben ein grundsätzliches Problem mit der Verfügbarkeit von Arbeitskräften. Es ist sehr, sehr schwierig, Fahrer zu finden. Darüber hinaus ist es aber schön, dass Temeswar zu Fuß gut zu erlaufen ist und grundsätzlich auch eine Fahrradstadt ist. Es gibt verschiedene Projekte, die interessiert sind, z. B. in die Fahrradinfrastruktur zu investieren, also in die Verfügbarkeit von Leihfahrrädern. Das System, das wir im Moment haben, ist leider recht veraltet. Aber ich glaube, dass Touristen auf jeden Fall von A nach B gut kommen können.

Wie schätzen Sie das bestehende Museumsangebot in Temeswar ein bzw. was könnte da noch getan werden, um dieses zu verbessern?
Der große Schmerz dieser Stadt ist, dass das älteste Gebäude seit mittlerweile 15 Jahren geschlossen ist und damit auch das Museum, das sich darin befindet, zumindest in seiner eigentlichen und gemeinten Form. Wir haben natürlich das Kunstmuseum, das Dorfmuseum und wir haben ein paar private Museen. Von daher ist das, was den institutionellen Anteil angeht, sicher zu wenig. Es ist auch schade, dass wir noch kein Stadtmuseum haben. Da habe ich verschiedene Pläne, aber das ist alles nichts, was sich kurzfristig realisieren lässt. Was den Kunstbereich angeht, kompensieren wir das sehr gut mit hochkarätigen Ausstellungen, die dieses Jahr in unterschiedlichen Locations stattfinden werden; unter anderem die große Brâncuși-Ausstellung, aber jetzt zum Beispiel auch Adina Pintilie, die den Goldenen Bären in Berlin gewonnen hat, die den rumänischen Pavillon bei der Biennale in Venedig gemacht hat. Aber langfristig brauchen wir mehr Museen, und zwar sowohl öffentliche, als auch private.

Wie haben Sie für Temeswar im Ausland geworben, bzw. wie werben Sie weiterhin für Temeswar als Europäische Kulturhauptstadt?
Ich glaube tatsächlich, dass es eine meiner wichtigen Aufgaben ist, die Stimme Temeswars ins Ausland zu tragen. Da hilft sicher auch so ein bisschen das Interesse der Journalisten für meine Person. Ich gebe sehr viele Presseinterviews, es kommen viele Fernseh- und Radioteams, aber auch Zeitungsjournalisten nach Temeswar, um Reportagen über die Stadt zu machen. Darüber hinaus gibt es auch ganz konkrete Werbeveranstaltungen im Ausland. Wir hatten solche in Berlin, Brüssel und Paris, jetzt planen wir eine in Lissabon. Da reise ich dann auch persönlich hin. Ein drittes Element ist schon auch eine richtig professionelle Werbekampagne. Die wird über den Kulturhauptstadtverein durchgeführt werden, wo im Moment gerade die Ausschreibung für eine Werbeagentur läuft, die dann auch auf Großflächenplakaten oder wie auch immer in bestimmten ausländischen Städten für die Kulturhauptstadt werben wird. Wir haben auch eine Art Stadtmarketingverein gegründet, Asociația de Promovare a Timișoarei,  wo wir gemeinsam mit den Vereinspartnern – Stadt, Verein der Hotel- und Restaurantbesitzer, Flughafen, eine Mall und Verein der Fremdenführer – massiv in Werbekampagnen für die Marke „Temeswar“ investieren.

Was soll von dem Temeswarer Kulturhauptstadtprojekt für die Zukunft bleiben?
Ich wünsche mir, dass wir langfristig Temeswar in Rumänien, Europa und der Welt als eine offene, diverse und europäische Stadt definieren und, dass Temeswar bekannter wird und dadurch Rumänien insgesamt besser wahrgenommen wird. 
Das Zweite ist, dass wir hier, was die kulturelle Infrastruktur angeht, dieses Jahr bestimmte neue Einrichtungen bauen und eröffnen, die uns langfristig erhalten bleiben, so der Wasserturm, das Victoria-Kino, das Timiș- und Studio-Kino. Ich bin zuversichtlich, dass wir mit diesen Kino-Kulturzentren neue Impulse schaffen können. 
Drittens, und das ist mir fast am wichtigsten, dass wir als Stadt aufwachen und dass wir uns als Stadtgesellschaft neu selbst finden, dass ganz viele Menschen, die sich jetzt beteiligen, Firmen, Vereine, Kirchen, Lust bekommen, in der Stadt weiterhin aktiv zu bleiben. Eine neue Transformationsdynamik in Temeswar muss her, wo jeder Lust hat, mitzumachen und nicht mehr nur alle warten, dass irgendwie die da oben die Dinge verändern.