Marotten und Schatten vom Feinsten

Hans Seiwerth parodiert Siebenbürgen und die Welt

Für die Produktion seiner CD hat der pensionierte Geschichtslehrer Hans Günther Seiwerth Unterstützung von der Münchner Edition Musik SüdOst erhalten. Am einfachsten bestellt werden kann sie zum Einzelstückpreis von 10 Euro beim Interpreten selbst über die Rufnummer 0049-07435-1762 oder durch Nachricht an die E-Mail-Adresse haan.seiwerth@web.de.

Hans Seiwerth wurde 1953 geboren und studierte Geschichte und Germanistik in Hermannstadt, anschließend arbeitete er als Lehrer an verschiedenen Schulen. Zwischen 1980 und 1990 leitete er den Kammerchor der Brukenthalschule, dem er unter dem Namen Cantores Juvenes zu großer Bekanntheit verhalf. 1990 siedelte er um nach Baden-Württemberg in Deutschland, wo er neben seinem Lehrerberuf weiter als Chorleiter tätig war.
2023 wird sein 50-jähriges Bühnenjubiläum feiern: Seine Sängerkarriere begann im Keller der Hermannstädter Hochschule mit einem Reinhard-Mey-Abend, wie er einmal erzählte.  1974 war er Mitbegründer des Cibinium-Quartetts, das sich seit 2004 De Lidertrun nennt. 
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Das über hundert Jahre alte Lied „Auf dieser Erde“ von Textdichter Ernst Thullner und Hermann Kirchner als vermutlichem Autor der Melodie steht in hochdeutscher Sprache auf der vorletzten Seite im Booklet der CD „Im Spiegelbild ein Kakadu“, die Hans Seiwerth 2020 zuhause im baden-württembergischen Stockenhausen am Fuß der Schwäbischen Alb eingespielt hat. „Auf dieser Erde, da ist ein Land,/so schön ist kein anders,/ich sehnt´ mich stets nach ihm zurück,/als ich die Welt durchwandert“, heißt es gleich zu Anfang der Gedicht-Vertonung. Hans Seiwerth als Sänger und Gitarrist in Personalunion tut, was Siebenbürger Sachsen von echtem Schrot und Korn schon immer tun, und kann einfach gar nicht anders, als dieses Lied in siebenbürgisch-sächsischer Mundart zu singen. Denn nur wenn es zünftig mit „Af deser Iërd“ beginnt, darf darin letztlich auch von jenem Haus geschwärmt werden, „da mein Schatz wohnt, der mir die Treu gehalten.“

Verzicht auf Dialekt käme vielleicht als halbherziges Zugeständnis an das alteingesessen sächsische Siebenbürgen herüber – vor allem genau dann, wenn man sich freiwillig dem Joch unterordnete, auch heute ganz wie in der Enklave von anno dazumal leben zu wollen. So halt, als ob es einen nicht wirklich zu interessieren bräuchte, wie es draußen rings um die ureigene kulturelle Komfortzone aussieht. „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, wie es der große Philosoph Ludwig Wittgenstein mal auf den Punkt brachte.

Hans Seiwerth entscheidet sich bei fünf von vierzehn Liedern seiner CD für den siebenbürgisch-sächsischen Dialekt und beherrscht ihn, weil seine Eltern aus Stolzenburg/Slimnic bei Hermannstadt/Sibiu stammen, wie aus dem Effeff. 

Nur hört seine Welt noch lange nicht beim Wortschatz und den Schriftzeichen der Mundart auf. Aber auch das siebenbürgisch-sächsische Universum selbst wird auf dem digitalen Tonträger der Spieldauer einer knappen Stunde nicht zur Bühne für Unterbewertungen von innen heraus degradiert. Zwar muss es einiges an Kritik schlucken, das siebenbürgisch-sächsische Anspruchsdenken, aber mit den Tricks harscher Polemik ist Hans Seiwerth auf seiner CD beileibe nicht unterwegs. Wer die deutsche Sprache so feinfühlig wie er drauf hat, kommt auch ohne Polemik bestens zurecht.

Raue Mengen Sprach- und Wortwitz voll ernstgemeinter Nachricht bringt diese bunte Scheibe zum Klingen. Der nicht mehr aus dem Zeitgeist des 21. Jahrhunderts wegzudenkende Binnenpluralismus, den manch eingefleischter Siebenbürger Sachse noch immer mit scheeläugigem Blick strafen zu können meint, läuft beim Hören der neuen CD von Hans Seiwerth zu erfrischender Höchstform auf. 

Pünktlich zum Beethoven-Jubiläumsjahr 2020 gönnte der Leiter des Kammerchores „Cantores Juvenes“ am Samuel-von-Bruken-thal-Gymnasium von 1981 bis 1990 sich die Freiheit, den französisch-deutschen Gassenhauer „Marmotte“ aus dem Gedankenlabor des Meisters der Neunten Symphonie und nach einem Text von Goethe um nur einen einzigen Buchstaben zu beschneiden und gerade mal ein kleines Wörtchen durch ein anderes auszutauschen. Was dabei herauskommt, zeugt von menschlicher Größe. Noch bevor Hans Seiwerth sich der Macken der siebenbürgisch-sächsischen Welt annimmt, legt er seine eigenen offen und fackelt nicht lange. „Ich komme schon durch manches Land avec que me marottes./Ich immer was zu singen fand avec que mes marottes (…) mit allen meinen Marotten.“ Ein Lachen über sich selbst, das in 59 Sekunden alles sagt.

Hans Seiwerth ist nicht der erste Kulturschaffende, der sich vom Hinter-die-Kulissen-Schauen antreiben lässt. Davon waren früher schon Typen wie Ioan Petru Culianu (1950-1991, siehe auch ADZ von Samstag, dem 22. Mai) überzeugt: „Ein Ideenhistoriker kann eine Kultur nur dann durchschauen, wenn er auf die Strömungen achtet, die von ihr an den Rand gedrängt werden.“ Tabus auch unter den Siebenbürger Sachsen? Ja, es gibt welche! Liedermacher Hans Seiwerth räumt anstandslos ein, dass man beim Blick in den Spiegel „mit sich selber Katz und Maus spielt“ und es zwecklos ist, vor dem eigenen Schattenbild weglaufen zu wollen. „Sollte ich jetzt vor dem Spiegel stehn, nähme ich ihn in beide Hände,/untersuchte sorgfältigst alle Wände und brächte ihn anderswo an!“ Gut, dass Hans Seiwerth Musiker geblieben ist und die Politik gerne anderen überlässt.

Wenn sich in der modernen Welt ein Beruf ergreifen lässt, ohne den nichts geht, der aber auch vieles unmöglich macht, dann die Politik. Politik braucht Kultur und Kultur braucht Politik. Für seinen Mut, es frank und frei zu dichten und zu singen, verdient Hans Seiwerth dickes Lob. Denn „wenn jemand SIEBEN BURGEN baut, dann hat er vielem nicht vertraut./Am Hang, wo SIEBEN BIRKEN blühn, kannst Du die dunklen Mauern sehn./Es ist, als seufze jemand laut: ‚Hier wurde auch die Sicht verbaut!‘/Die alten Mauern schützen kaum vor Fernweh, Furcht vor leerem Traum,/Verlust, Vergeltung, Hoffnung, Zwang… Es zieht dich fort,… der Weg ist lang.“ So spurt auf dem Album „Im Spiegelbild ein Kakadu“ das „Heimatlied“ des im Jahr 1990 in die Bundesrepublik Deutschland emigrierten Mitbegründers der „De Lidertrun“.

Dem Gelehrten Johann Gottfried Herder zufolge ist „Heimat dort, wo man sich nicht zu erklären braucht.“ Dass Heimat genau darum eine empfindliche Sache ist, weiß Hans Seiwerth nur zu genau. „Es treibt ein unbedachtes Wort dich plötzlich fort von jenem Ort,/wo Du mit keinem Wort dich zu erklären brauchst.“ Folglich weiß er auch, dass im Schweigen Unbotmäßiges gären kann, der Verzicht aufs Erklären also gebrochen werden darf und sogar muss, wenn „der Kuckuck und sein Kakadu“ über Vergangenheit fachsimpeln. „Strrreng im Stechschrrritt und im Einheitskleid,/für Rrreich und Volk in Blutrrreinheit,/macht sich breit der braune Wahn;/er kam auch in Siebenbürgen an.../“, und noch ehe diese Strophe endet, schwenkt die Gitarre vom fröhlichen Marschtempo zu zögerndem Moll um.

Als Referenz für diesen groben Schnitzer eignet sich das Nachwort „Biografie der gewussten Wirklichkeit“ auf das Interview „Gott weiß mich hier. Radu Carp im Gespräch mit Eginald Schlattner“ (Pop Verlag Ludwigsburg, 2020), worin der evangelische Pfarrer in Rothberg/Ro{ia und international bekannte Autor erzählt, dass „im Juni 1943 etwa 70.000 wehrfähige ‚Volksdeutsche‘ aus Rumänien zum deutschen Heer eingezogen wurden. Meines Erachtens ist das der Anfang vom Ende unserer Volksgemeinschaft gewesen. Oder im Umgangsjargon: Nicht das Kommen der Russen im August 1944, sondern das Kommen der Deutschen ein Jahr vorher.“ Im Lied „‚Vom Wandel der Dinge‘ oder ‚Corona in mutatio rerum‘“ streut Hans Seiwerth ebenso einen Löffel Salz in die Geschichtswunde: „Die einen wollen´s nicht verstehn, die andern nie und nimmer eingestehn.“

Eine Antwort darauf, die niemanden von der Pflicht befreit, schrieb zu Lebzeiten Dr. Paul Philippi (1923-2018), Ex-Ehrenvorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR), denn „da haben wir wohl (…) nichts ‚einzugestehen‘. Es liegt seit Langem offen. Wohl aber hatten auch wir manches einzusehen und haben manches aufzuklären. Für uns für andere.“ (ADZ vom 18. August 2006).

Will heißen, dass auch Liedermacher Hans Seiwerth Binnenkritik und Binnenpluralismus nicht einfach besingt, um zu vergraulen. Mit seiner CD jedoch lässt sich bei Bedarf gesund zur Ordnung rufen. Fast fühlt man sich bei ein paar würzigen Chansons an Thomas Mann erinnert – „War Vaterlandsliebe nicht (…) eine Liebe, die sich so gut mit der Sympathie und Bewunderung für andere Abwandlungen des Menschlichen, die geistigen Reize und kulturellen Beiträge anderer Nationalitäten vertrug?“ (Deutsche Hörer! Radiosendungen nach Deutschland aus den Jahren 1940-1945, Fischer Verlag 1987). Die Stimme von Hans Seiwerth haucht dem Heimatlied „Af deser Iërd“ die tiefste Reflexion ein, die es nur haben kann.

Das volle „Ya-hoo!“ als Bonus auf den Schluss von „Der Kuckuck und sein Kakadu“ hat denselben Pfiff wie Reinhard Mey am Finale vom Evergreen „Der Mörder ist immer der Gärtner“ (1971). Ehefrau Angela Seiwerth als Mitsängerin dreier Lieder, Michael Gewölb als Layouter sowie auf der zum folkloristischen „Dorule! Das Glück war niemals mein“ herb gestrichenen Violine, Graphiker Nicolaus Damian, Toningenieur Dietrich Schöller-Manno und Hans Seiwerth haben als Quintett eine CD gemacht, die im selben Atemzug mit den Tonträgern von Schauspielerin Ada Milea und dem Hörbuch „Rumänisches Roulette“ von Kulturaktivistin Mercedes Echerer zu nennen ist. 

Köpfe, die in die Grauzonen vordringen, machen den Charme Europas aus. Den hat auch Siebenbürgen. Man lernt eben täglich dazu.