Maulhalten oder Krötenschlucken

Es gab eine Zeit – noch gar nicht so lange – dass man sich abgefunden hatte mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU. „Man” meint beide Seiten, das Vereinigte Königreich und die Mehrheit der EU-Staaten, samt EU-Verhandlungsführer Michel Barnier. Vor allem der Erdrutschsieg der Konservativen unter Boris Struwwelkopf schien den Schlusspunkt gesetzt zu haben hinter den beiderseitigen Schlingerkurs zum Brexit.

Doch der Rabauke Boris und die hinter ihm stehenden Radikalkonservativen der Regierungspartei wollen jetzt, mit dem Risiko von Vertragsbrüchigkeit und Verlust internationaler Glaubwürdigkeit, ein wenig „entertainment” produzieren – weil wohl die Pandemiezeiten die Lust auf politische Unterhaltung wecken. Das hat, neben den bereits zitierten EU-Verantwortlichen, auch den Widerspruch aller fünf noch lebenden britischen Premierminister geweckt, den Vorgängern von Boris Johnson. Sie forderten gleichlautend das Parlament auf, das Unsinnsgesetz von Boris zurückzuweisen, mit dem er die Regelungen bezüglich der Grenze zwischen Irland/EU und Nordirland aufweichen und unterlaufen will. Neben der Gefahr, in welche Großbritannien durch dieses Gesetz über den Binnenhandel schlittert, seine internationale Glaubwürdigkeit zu verlieren, verliere das Vereinigte Königreich auch für alle Zeiten jedes moralische Recht, vergleichbare Vertrauensbrüche anderer Länder zu verurteilen, etwa der autoritär geführten Staaten und der Diktaturen. Großbritannien müsste also das Maul halten bezüglich der Annexion der Krim, der chinesichen Verbrechen in Hong Kong oder im uigurischen Xinjiang. Maulhalten oder Kröten schlucken, andres bleibt nicht übrig, wenn Boris an seiner Gesetzesvorlage festhält. Irgendwie will der britische Premier tricksen, um Nordirland mit einem Fuß in der EU verbleiben zu lassen – und damit das Tor Großbritanniens in eine Richtung offen zu halten. Die EU-Vorteile ohne Verpflichtungen genießen. Dann würde dem Vereinigten Königreich ein „No Deal” weniger schaden, zumal die Prognosen für die Wirtschaftsentwicklung der Insel ab 2021 düster sind und von der Pandemie noch potenziert werden. Fakt ist, dass sich das Kabinett des Draufgängers Boris Johnson in das Austrittsabenteuer gestürzt hat, ohne die Folgen bis ins Letzte durchzuspielen. Dazu war zwischendurch Zeit und das Ergebnis dürfte nicht nur Ernüchterung (nach der Austrittseuphorie) sondern auch Zukunftsangst geweckt haben. Interessant im Kontext die Versicherung von Nancy Pelosi, der Fraktionsführerin der Demokraten im US-Kongress: Wenn der Friede in Nordirland gefährdet werde – keine Chance, im Kongress Zustimmung zu einem Handelsvertrag mit den USA zu bekommen! Hintertürchen zugeschlagen, Boris! Denn eigentlich setzt Boris Draufgänger den Frieden auf der irischen Insel mit seinem Vorpreschen aufs Spiel. Nicht zuletzt: Großbritannien hält verzweifelt am Finanzplatz London fest. Doch wer wird den Briten noch in Geldangelegenheiten vertrauen, wenn sie im Politischen unzuverlässig sind?  Und noch etwas: politische Primadonnen sind zunehmend langweiliger... Selbstverständlich müsste heute und an dieser Stelle ein Kommentar stehen, der sich mit den Kommunalwahlen von Sonntag in unserem Land beschäftigt. Ich gebe zu: Angesichts der massiven (und zum Großteil gesetzlich ungeahndeten) Wanderbewegungen wegen Posten und Pfründen, wegen der falschen „Offenheit” der regierenden PNL gegenüber den politischen Zugvögeln, wegen dem ekligen Populismus der beiden Hauptrivalen auf der politischen Bühne, PNL und PSD, und wegen der offenen Wortbrüchigkeit aller politischen Akteure, die keinen Deut auf ihre früher gemachten Versprechen und Versicherungen geben, soll hier nichts zu den Kommunalwahlen erscheinen – außer dieser Rechtfertigung.

Nichtsdestotrotz: Ich wünschte mir, dass in Temeswar Dominik Fritz zum Bürgermeister gewählt wird.