Migration ist eine Grundkonstante der Weltgeschichte

Hermannstädter Gespräch legte Fokus auf Emigration und Immigration

Dr. Remus Anghel, Dr. Alin Croitoru, Youssef Al Awwad, Prof. Dr. Hans-Christian Maner und Winfried Ziegler (v.l.) Foto: Michael Mundt

„Migration ist ein Schlagwort unserer Zeit“, erklärte Prof. Dr. Hans-Christian Maner von der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz am 10. Dezember bei den „Hermannstädter Gesprächen“ im Spiegelsaal des Forumshauses. Thema der Diskussionsveranstaltung waren Emigration und Immigration, respektive die Wanderungsbewegungen in Rumänien und Hermannstadt nach 1990. In seinem Einführungsreferat nahm der Historiker für die Geschichte Ostmittel- und Südosteuropas zunächst eine Begriffsbestimmung vor und gab anschließend einen historischen Überblick über Migration beziehungsweise Wanderungsbewegungen.

„Das Thema Migration hat zumindest in der westlichen Welt im Allgemeinen und in Deutschland im Besonderen eine wertende und eher negative Bedeutung“, stellte Maner fest. Begriffe wie „Flüchtlingswelle“ und „Flüchtlingskrise“ suggerieren laut dem Historiker, dass Migration etwas „Überfallartiges, Temporäres“ sei, gewissermaßen eine „angstbesetzte historische Ausnahme“. Allerdings stellt Maner klar, dass die Forschung seit geraumer Zeit darauf hinweise, dass Migrationen der Normalfall in der Geschichte sind: „Sie ist Grundkonstante der Conditio humana, denn der Homo sapiens hat sich als Homo migrans über die Welt ausgebreitet“, zitierte er den Migrationsforscher Dr. Klaus Jürgen Bade.

„Der Begriff Migration kommt bekanntlich vom Lateinischen „migrare“ und bedeutet „wandern“ beziehungsweise „wegziehen“, ohne dabei etwas Konkreteres über zeitliche, räumliche oder personenbezogene Ausprägungen von Wanderungen festzulegen“, stellt Maner klar. „Wenn also Migration durchaus als Synonym zu Bewegung oder Wanderung verwendet wird, ist sie zugleich auch eine spezifische Form der Mobilität. Mobilität erscheint dabei als der allgemeinere Begriff, der nicht unterscheidet, ob Wanderungen temporär oder dauerhaft sind.“

Für den Diskurs in der Bundesrepublik Deutschland stellte Prof. Dr. Hans-Christian Maner dazu die unterschiedliche Konnotation der Begriffe „Mobilität“ und „Migration“ heraus. Während Migration eher als Unterschichtenphänomen angesehen werde, sei Mobilität als „Ausdruck von Freiheit, Flexibilität und Leistungsbereitschaft“ davon abgegrenzt.
Migrationsbewegungen auf dem Gebiet des heutigen Rumäniens reichen laut Maner weit in die Vergangenheit zurück. Schon im sechsten und siebten Jahrhundert kamen Slawen auch nach Siebenbürgen, im neunten Jahrhundert ereignete sich dann die magyarische Landnahme und vom elften bis ins vierzehnte Jahrhundert vollzog sich die deutsche Ostkolonisation. In der frühen Neuzeit führten dann religiöse Auseinandersetzungen zur erzwungenen Migration von Protestanten nach Siebenbürgen. Später wanderten verschiedenste Bevölkerungsgruppen aus dem Banat, Siebenbürgen, der Walachei sowie der Moldau nach Amerika aus. „Das gesamte 20. Jahrhundert wird dann mit einer Periode der Zwangsmigration gleichgesetzt“, erklärte Maner weiter. Für die Zeit nach dem Ende des Totalitarismus seien schließlich zwei markante Migrationswellen auszumachen. Bis 1993 verließen insbesondere Deutsche, Ungarn und Juden dauerhaft das Land. Ab spätestens der Mitte des Jahrzehnts begann mit der temporären Arbeitsmigration die zweite Welle, welche sich wiederum in kleineren Schüben abhängig von politischen und insbesondere wirtschaftlichen Entwicklungen vollzog.

Zum Abschluss seines Referats ging Prof. Dr. Hans-Christian Maner noch auf die Auswirkungen der Migrationsbewegungen auf Hermannstadt ein. Laut einer Studie von 2017 stehe die Stadt auf dem zehnten Platz, was die Anziehungskraft unter den rumänischen Städten betreffe. Dabei kommen die meisten Zugezogenen aus einem Gebiet von maximal 40 Kilometern um Hermannstadt sowie aus Râmnicu Vâlcea. Den jährlich rund 3000 Neuankömmlingen steht allerdings eine etwa gleichgroße Gruppe von Abwanderern gegenüber.
In der anschließenden Podiumsdiskussion sprach Moderator Winfried Ziegler dann mit Youssef Al Awwad sowie Dr. Remus Anghel und Dr. Alin Croitoru. Youssef Al Awwad stammt aus Syrien und kam 2012 zum Wirtschaftsstudium nach Hermannstadt. Heute betreibt er eine Wechselstube in der Stadt. Dr. Anghel forscht an der Klausenburger Babeș-Boylai-Universität zu nationalen Minderheiten sowie in Rumänien, Deutschland und Italien zu verschiedenen Themen wie irregulärer Migration, ethnischer Migration und Transnationalismus von Migranten. Dr. Croitoru unterrichtet an der Hermannstädter Lucian-Blaga-Universität Soziologie und forscht am Zentrum für Migrationsstudien (CESMIG) der Universität Bukarest zu Unternehmertum und internationaler Migration.

Gleich zu Beginn der Diskussion stellte Dr. Anghel klar, dass Migration kein Armutsphänomen ist, sondern insbesondere Menschen mit den notwendigen wirtschaftlichen Ressourcen und beruflichen Qualifikationen Rumänien verlassen. Das unterstützte später auch Dr. Alin Croitoru noch einmal mit Bezug auf seine eigene Forschung. Für Hermannstadt habe eine Studie mit 500 befragten Auswanderern gezeigt, dass 60 Prozent der Abwanderer gegangen sind, obwohl sie einen Arbeitsplatz hatten. Auch seien die Gründe für die rumänischen Migranten fließend, so bedingen sich wirtschaftliche und politische Gründe sowie nicht erfüllte Erwartungen gegenseitig, erklärten Dr. Anghel und Dr. Croitoru.