Mit vorsichtigem Optimismus voran

Hermannstädter Wirtschaft trotzt der Coronavirus-Pandemie

Harald Friedrich als Redner auf einer der letzten, im Freien veranstalteten Mitgliederversammlungen des Deutschen Wirtschaftsclubs Siebenbürgen. | Bild: Vlad Popa

Die Wirtschaft und das Geschäftsmilieu sind für die Stadtentwicklung von Hermannstadt/Sibiu ausschlaggebende Faktoren mit weitreichenden Auswirkungen. Seit der Einrichtung des Industriegebietes West Anfang der 2000er Jahre haben dort Tausende eine Anstellung gefunden und das Projekt zu einer der Antriebskräfte der Hermannstädter Erfolgsgeschichte werden lassen, die nun von der Coronavirus-Pandemie bedroht wird. Über die 2020 verzeichneten Folgen der Pandemie in und um Hermannstadt sowie andere Themen sprach ADZ-Redakteur Vlad Popa mit Harald Friedrich, dem Vorsitzenden des Deutschen Wirtschaftsclubs Siebenbürgen (DWS).

Welche Auswirkungen hatte die Coronavirus-Pandemie im Vorjahr auf die Hermannstädter Wirtschaft und besonders auf die Mitgliedsunternehmen des DWS?
Letztes Jahr kann man als ein Jahr der erzwungenen Veränderung bezeichnen: Die Wirtschaft, und zwar in fast allen Bereichen, wurde in einer schon seit längerem nicht dagewesenen Härte von der SARS-CoV-2-Pandemie schwer getroffen. Dies hatte einen signifikanten Einfluss auf Unternehmen und Mitarbeiter, und zwar nicht nur auf der finanziellen Seite.
Auch bei den Mitgliedern des DWS sind die Auswirkungen unterschiedlich, und zwar sehr stark branchenabhängig. Die meisten Unternehmen haben mit signifikanten Umsatzeinbußen zu kämpfen, die zum Teil bis hin zu Betriebsschließungen geführt haben. Andere wiederum haben aufgrund ihres vorhandenen oder angepassten Geschäftsmodells sogar Umsatzwachstum zu verzeichnen. Wie in jeder Krise gibt es Gewinner und Verlierer. Wichtig ist, dass man aus einer Krise lernt, sich anpasst und versucht, gestärkt herauszukommen.

Vor welchen Herausforderungen haben die Arbeits- und die Steuergesetzgebung die Unternehmer in Verbindung mit der Pandemie gestellt, und welche Lösungen konnten zur Eindämmung der nachteiligen Folgen ermittelt werden?
Höchste Flexibilität wurde Organisationen und Individuen abverlangt. Es mussten neue Arbeitsschutzregeln eingeführt werden, die großen Einfluss auf die Arbeitsbedingungen hatten und noch haben. Dabei möchte ich nur einige Beispiele nennen, wie die räumliche Distanzierung am Arbeitsplatz, das Tragen von Atemschutzmasken, die Einhaltung von Mindestabständen, die Einführung von Trennscheiben zwischen den Arbeitsplätzen, eine angepasste Pausenregelung, verschobene Schichtmodelle, regelmäßige Desinfektionen, geänderte Fahrdienste und vieles mehr.
Vor allem diese Hygieneregeln haben in den meisten Betrieben dazu geführt, dass die Verbreitung von Infektionen und die Hotspots weitestgehend vermieden wurden.
Bei diesen Entscheidungen war die oberste Priorität der Schutz von Leib und Leben der Menschen. Innerhalb des DWS-Netzwerkes wurden gute und kreative Beispiele rege diskutiert und auch ausgetauscht.

Die Pandemie hat die Regierung zu zahlreichen Gesetzesänderungen gezwungen, unter anderem auch, um besonders schwere Verluste im Wirtschaftsmilieu zu vermeiden. Hatte der DWS die Gelegenheit, hier mitzuwirken und Anregungen oder Empfehlungen auszusprechen?
Ja, in der Tat, eines der Beispiele wie folgt. Im zweiten Quartal letzten Jahres haben sich einige Deutsche Wirtschaftsclubs wie der DWS und die AHK zusammengetan und miteinander einen offenen Brief mit einem Vier-Punkte-Vorschlag an die Regierung übermittelt. Inhaltlich ging es um die Betreuung von Kleinkindern im Kindergarten, um die Rückkehr der Eltern in das Berufsleben zu erleichtern; einen konkreten Konzeptvorschlag zur Einführung des Modells der „Kurzarbeit“ in Rumänien; Steuerbefreiungen für Arbeitgeber bei Erhaltung von Arbeitsplätzen; und die Aufhebung der institutionalisierten Quarantänebestimmungen für Geschäftsreisende nach Rumänien.
Teilweise konnten wir Elemente dieses Vorschlages in den folgenden Entscheidungen der Regierung wiederfinden, was ich als einen offensichtlichen Erfolg der Aktion deuten würde.

Inwieweit konnten die von der Regierung getroffenen Maßnahmen, die angebotenen finanziellen Beihilfen oder Darlehen zu Sonderbedingungen, konkret Abhilfe schaffen?
Aus der kritischen Situation heraus mussten zum Beispiel die Entlohnungssysteme angepasst werden, aus eigener Kraft, aber vor allem über Subventionsprogramme der Regierung wie „șomaj tehnic“, was übersetzt „Betrieblich bedingte Arbeitslosigkeit“ bedeutet oder später auch die vorher erwähnte Kurzarbeit. Damit konnten erfreulicherweise flächendeckend große Entlassungswellen vermieden werden.
Das ist sehr viel Neuland für alle Beteiligten. Aufgrund von fehlenden Erfahrungswerten konnte sicherlich nicht alles optimal geplant und umgesetzt werden. Nichtsdestotrotz war es ein gewaltiger Kraftakt für alle und unter dem Strich dann doch einigermaßen verträglich für die Gesellschaft.

Wie gestaltet sich die lokale und regionale Wirtschaftslage aktuell, welche Hürden sind geblieben, welche konnten abgeschafft werden, welche sind neu hinzugekommen?
Nach wie vor sind die Maßnahmen mit den ganz oder teilweisen sozialen Distanzierungsvorgaben eine ziemliche Belastung für die Wirtschaft, und zwar für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die Betriebe sind immer noch angehalten, alle Maßnahmen zum Schutze der Mitarbeiter aufrecht zu halten. In der Stadt Hermannstadt hat die Inzidenzrate inzwischen Werte erreicht, die zu teilweisen Lockerungen im öffentlichen Leben geführt haben, bestes Beispiel ist die Freigabe zur teilweisen Belegung von Restaurants, was zumindest teilweise eine Sozialisierung erlaubt.
Die Unternehmen, aber auch Behörden wurden gezwungen, die Abläufe und Strukturen neu zu definieren und sehr stark in Richtung Automatisierung und Digitalisierung zu gehen. Dies wird sicherlich auch zu sichtbaren Konsequenzen auf dem Arbeitsmarkt führen. Home Office ist in aller Munde, und das haben bereits viele praktiziert. Der bis dato gewohnte Gang zur Arbeitsstelle wird für einige wegfallen und die Arbeit von Zuhause zur Normalität werden.
Für die Zukunft müssen wir uns alle in der Gesellschaft auf häufigere und auch schwerwiegendere Veränderungen einstellen, und das verlangt sicherlich von uns allen eine hohe Flexibilität.

Bieten Ihrer Meinung nach die gegen den Coronavirus entwickelten Impfstoffe das notwendige Instrument für eine schrittweise Rückkehr zu der Wirtschaftstätigkeit vor der Corona-Zeit, und wie schnell kann das geschehen?
Nun, hier kann ich mich nur auf die Aussagen der Wissenschaftler berufen. Mit Impfungen gegen das Corona-Virus soll zumindest der Grundstein für eine neue Normalität im Alltag gelegt werden. Für mein Verständnis, basierend auf den Aussagen der Virologen, werden wir mit dieser Art von Viren über längere Zeit leben müssen und sie werden sich als Teil unseres Daseins, also von pandemisch zu endemisch, entwickeln. Nichtsdestotrotz, die ersten Impfergebnisse sowie die laufenden Studien scheinen vielversprechende Ergebnisse zu liefern. Das gibt Grund zur berechtigten Hoffnung, auch wenn die Anzeichen darauf hindeuten, dass die Impfkampagne uns mittel- und langfristig begleiten wird.

Sollte bzw. kann die Impfung der Mitarbeiter in lokalen Großunternehmen (hier konkret Continental, Marquardt, usw.) vom Arbeitgeber zur Auflage für die Wiederaufnahme der Berufstätigkeit unter „normalen“ Bedingungen gemacht werden?
Das liegt formaljuristisch nicht in der Hand der Unternehmen. Eine derartige Auflage zu bestimmen liegt offensichtlich und ausschließlich in der Hand des Gesetzgebers, da hier mehrere gesellschaftliche Aspekte zum Tragen kommen.

Welche sind die Hauptziele und Vorhaben des DWS für das laufende Jahr?
Natürlich haben wir auch in diesem Jahr, trotz der immer noch andauernden Einschränkungen, unsere Projekte im DWS.
Um nur zwei Beispiele zu nennen: Das bereits laufende Projekt zur Förderung der Dualen Ausbildung werden wir in unserem DWS-Arbeitskreis auch dieses Jahr weiterführen. Als neues Projekt haben wir uns vorgenommen, den Bekanntheitsgrad der Region Siebenbürgen zu verbessern. Ziel ist es, potenziellen inländischen, vor allem aber ausländischen Investoren die Vorteile unserer Region aufzuzeigen, um ihnen die Entscheidung hier zu investieren leichter zu machen. Dabei arbeiten wir mit einigen siebenbürgischen und deutschen Wirtschaftsclubs zusammen. Das Projekt nimmt bereits deutlich Form an und Fahrt auf.
Abschließend würde ich sagen, dass wir uns die letzten Jahre gut entwickelt und vorbereitet haben. Das lässt annehmen, dass wir in unserer Region einer durchaus vielversprechenden Zukunft entgegenblicken.
Der DWS ist einer der stärksten Deutschen Wirtschaftsclubs in Rumänien und hat dementsprechend ein gewichtiges Netzwerk. Gerne freuen wir uns auf neue Mitglieder, die diesem Netzwerk beitreten und es dadurch weiter stärken.

Vielen Dank für das Gespräch!


Der Deutsche Wirtschaftsclub Siebenbürgen (DWS) wurde 1998 in Hermannstadt als gemeinnütziger Verein gegründet. Der zu dieser Zeit amtierende Generalkonsul der Bundesrepublik Deutschland, Harald Gehrig, gründete als Vorläufer des heutigen DWS einen Unternehmerstammtisch, an dem in Hermannstadt tätige deutsche Geschäftsleute teilnahmen. Zur Runde gehörten überwiegend kleinere Betriebe, die erste Erfahrungen mit Südosteuropa machten und auf gegenseitige Hilfe und einen regen Erfahrungsaustausch hofften und ihn dort auch fanden.
Als die Runde stetig wuchs und die Aufgaben zunahmen, wurde aus dem Stammtisch der heutige Deutsche Wirtschaftsclub. Da sich die Mitglieder immer in Hermannstadt trafen und sich niemand ausgeschlossen fühlen sollte, denn es waren auch Mitglieder aus Kronstadt und Klausenburg bei den Treffen, wurde kurzerhand der Name „Deutscher Wirtschaftsclub Siebenbürgen“ (DWS) gewählt.
Heute zählt der DWS rund 200 aktive Mitgliedsunternehmen. Als Anlaufstelle für Unternehmen aus dem deutschsprachigen Raum leistet der DWS einen aktiven Beitrag zur Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Herkunftsländern und Rumänien. (Quelle: DWS)