Nationalität und Identität

Der deutsche Außenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier hat am 9. März bei seinem Besuch in  Hermannstadt eine Ansprache von grundsätzlicher Bedeutung gehalten. Wir von ihr Betroffenen – wir Deutsche Rumäniens, die vom „Demokratischen Forum der Deutschen in Rumänien politisch   vertreten werden – wir sollten sie gründlich überdenken: Unser Forum vertritt in Rumänien nach Herrn Dr. Steinmeier die „deutsche Identität innerhalb rumänischer Nationalität“.

Diese Formulierung müssen wir – und im Nachgang vielleicht müsste es auch das deutsche   Auswärtige Amt – miteinander noch einmal durchgehen: „Nationalität“ versteht Dr. Steinmeier „im   Sinne von Staatsbürgerschaft“. So verstehen es die westlichen Staaten schon seit langem. In   Deutschland hat dieses Verständnis von „Nation“ wohl schon (oder erst?) nach 1848 langsam   eingesetzt, während man bis zu diesem Zeitpunkt und auch nachher noch eher von der „Kulturnation“   sprach, zu der sich, über Staatsbürgerschaften hinweg, alle zählten, die in der gleichen Sprache   dachten, sprachen, sangen und schrieben, so dass sich z.B. die „sächsische Nation“ Siebenbürgens   selbstverständlich ebenso „deutsch“ verortete wie es die Österreicher und gar auch die sog.  Deutschschweizer taten – bei klarer staatlicher Abgrenzung gegenüber Deutschland, welches es ja vor 1871 als Nationalstaat noch gar nicht gab. So zitiert Steinmeier denn auch unsern Staatspräsidenten Johannnis: „Mein Deutschtum hat nichts mit der Bundesrepublik als Staat zu tun, sondern mit der Sprache und mit der Kultur“.

„Nation“ hat freilich immer schon etwas mit rechtlich-politischer Verfasstheit zu tun. „Nationalität“   jedoch hat im östlichen Europa, hat mindestens im Ausstrahlungsbereich des alten Großösterreich   einen andern Klang als in Westeuropa. In meinem Kronstädter Abiturzeugnis z.B. wird meine Identität noch in rumänischer Sprache klar durch drei Bezeichnungen erklärt: „Cet²]enia: român², Na]ionalitatea: german², Religia: evangelic A.B.“. Also: Staatsbürgerschaft rumänisch, Nationalität deutsch, Religion evangelisch. Als wir Soldaten dann nach dem Krieg in amerikanische   Kriegsgefangenenlager kamen, mussten wir für einen Fragebogen 137 Fragen beantworten. Hinter der Schreibmaschine saß ein deutscher Feldwebel, der uns die englisch formulierte Frage nach der   „nationality“ auf Deutsch stellte: Der eine Feldwebel fragte: „Staatsbürgerschaft?“ – und der   sächsische Bauer aus Belleschdorf antwortete: „rumänisch“. „Ab nach links!“ Der andere Feldwebel fragte: „Nationalität?“ und der Kamerad aus dem gleichen Dorf antwortete: „deutsch“. Der Feldwebel: „Ab nach   rechts!“. Das gleiche Wort, verschieden verstanden, führt zu gegensätzlichen Entscheidungen, führt zu   Fehlentscheidungen!

Unsere rumänische Verfassung nennt uns im Artikel 6 „nationale Minderheiten“, „minori-t²]i   na]ionale“, „national minorities“, und sie verbindet mit „national“ zugleich den Schutz der   „ethnischen Identität“. Sie bewegt sich also in aller Selbstverständlichkeit auf dem Boden der   Begrifflichkeit, die wir der osteuropäischen Tradition zugerechnet haben. In der Sache meinen die   rumänische Verfassung, der deutsche Außenminister und unser Staatspräsident das selbe: Die   Bewahrung der ethnischen Identität einer Minderheit, die innerhalb der gleichen, gemeinsamen   Staatsbürgerschaft mit den Bürgern der ethnischen Mehrheit gewährleistet ist. Diese Identität einerseits zu ermöglichen und andererseits sie zu erstreben ist uns durch die institutionellen Grundlagen sowohl   der rumänischen Verfassung als auch des Freundschafts- und Partnerschaftsvertrages zwischen   Deutschland und Rumänien von 1992 garantiert. Im Ausdruck dieser Garantie freilich zeigt sich (nur) der Unterschied der sprachlichen Tradition.

Außenminister Steinmeier spricht sich aus für „eine deutsche Identität innerhalb rumänischer   Nationalität“. Das würden wir in unserer Sprachtradition so nicht sagen. Wohl aber können wir es   bejahen, wenn andere, wie Steinmeier, „Nationalität“ ganz klar mit „Staatsbürgerschaft“ übersetzen. Doch ist diese Übersetzung eben nicht selbstverständlich. Diese Ausdrucksweise zu verstehen oder gar zu übernehmen, fällt uns schwer. Ich erinnere mich, wie in den 1980er Jahren einmal in einem Pfarrkonvent eine Ceauşescu-Rede diskutiert wurde: Als ein klarer Beweis dafür, dass der Untergang unserer Minderheit in Bukarest bereits beschlossene Sache sei, wurde angeführt, der Diktator habe die Minderheiten als einen Teil der einheitlichen rumänischen Nation bezeichnet. Als ich mir erlaubte, darauf aufmerksam zu machen, diese Redeweise sei im französischen, englischen Diskurs durchaus gängig, sei weltläufig, so dass diese Redeweise Ceauşescus allein noch nicht tauge, als klares Signal für den geplanten Untergang zu gelten, machte ich mich damit verdächtig, ein falscher Einflüsterer zu sein.

Sollen wir aber jetzt, 2015, doch umlernen? Sollen wir uns der westlich globalisierten Ausdrucksweise jetzt einfach anpassen und uns als „Rumänen“ bezeichnen – was ggf. unsere bundesdeutschen Gesprächspartner befriedigen würde, nicht aber auch unsere rumänischen Mitbürger. Für die heißen wir gerade als diejenigen, die ihre Identität gerne mit rumänischer Staatsbürgerschaft verbinden, „saşi“ und „şvabi“ und bleiben gerade auf diese Weise „nemţi“? Ich vermute, dass wir zwar lernen müssen, (dass wir schon länger hätten lernen müssen!) als „Romanians“ bezeichnet zu werden.

Englisch heißt es ja auch richtig: „Rumänier“ was wir ja auch sind! In unserer Muttersprache aber bleiben wir ruhig dabei, „Schwaben“ und „Sachsen“ zu heißen und gerade demzufolge als “Deutsche“ zu gelten. Deutsche freilich, die als solche rechtlich „nichts mit der Bundesrepublik als Staat zu tun“ haben – um es mit den Worten unseres Staatspräsidenten zu sagen. Nichts zu tun haben?? Doch! Mit den Bewohnen und Institutionen der Bundesrepublik verbinden uns intensive kulturelle, freundschaftliche Bande, die uns erlauben Brückenbauer auch zwischen den beiden Staaten zu sein. Auch dieses hat der Bundesaußenminister uns am 9. Mai in seiner Rede bestätigt. So bejahen wir gerne, was Steinmeier gemeint und gesagt hat. Wir drücken das jedoch, zusammen mit unserer rumänischen Verfassung und unserer eigenen geschichtlichen Tradition, anders aus. Das dürfen wir. Wir müssen es allerdings auch verstehen lernen, wenn andere, die dasselbe meinen, es anders sagen.