Online-Debatte über aktuelle Tourismus-Lage

Temeswar könnte im Herbst aus dem Dornröschenschlaf erwachen

Eine schöne Architektur, eine interessante Geschichte, freundliche Menschen: Wer einmal in Temeswar war, der empfiehlt es auch anderen, wissen Touristenführer. Im Bild: die orthodoxe Kathedrale, die als Symbol der Stadt Temeswar gilt. Foto: Zoltán Pázmány

Der Tourismusbereich hat weltweit die Auswirkungen der Corona-Krise zu spüren bekommen. Auch in Rumänien und in Temeswar/Timișoara, der Europäischen Kulturhauptstadt 2021, ist es nicht anders. Touristenführer, die vor wenigen Monaten noch ihren Lebensunterhalt nur mit Hilfe von Stadtrundgängen verdienen konnten, suchen sich nun sicherere Jobs, während Hostels, Hotels oder gar Privatwohnungen, die über Portale wie „Booking“ oder „Airbnb“ vermietet wurden, weitgehend leer bleiben und Reiseagenturen zeitweilig ihre Tätigkeit eingestellt und Personal entlassen haben.

Wie schwer haben es die im Tourismus tätigen Menschen in der Krise? Was bietet die Stadt Temeswar den Touristen und wann könnte sie wieder aus ihrem gesundheitskrisenbedingten Dornröschenschlaf erwachen? Auf diese und andere Fragen versuchten am Montagabend, dem 25. Mai, drei junge Menschen, die im Tourismusbereich tätig sind, zu antworten. Auf Einladung von Bürgermeisterkandidat Dominic Samuel Fritz, der regelmäßig die Online-Sendung „Timișoara de aproape. Dialoguri la distanță“ (deutsch: „Temeswar von nah betrachtet. Ferndialoge“) auf seiner Facebook-Seite organisiert, unterhielten sich Raluca Șpiac, Inhaberin der Incoming-Reisegesellschaft „Beyond Dracula“, Touristenführer Ludovic Satmari und Hostel-Inhaber Alex Smaranda, der die Hostels „Costel“ und „Cornel“ sowie mehrere Privatwohnungen an Reisende vermietet.

„Der Tourismus ist ein Bereich, der von den verschiedensten Krisen stark beeinflusst wird. Straßendemos oder sonstige Probleme schlagen sehr leicht auf den Tourismus über, die Menschen haben dann Angst und bleiben lieber zu Hause. Deswegen versuche ich im Moment, ein Backup zu finden, einen sicheren Job“, sagte Ludovic Satmari, der zu Beginn der Diskussion erwähnte, in der Isolation die Idee von Online-Stadtrundgängen aufgegriffen zu haben, die vielleicht im Bereich des jüdischen Kulturerbes der Stadt eine konkrete Form annehmen könnten.

Hostel-Inhaber Alex Smaranda berichtete, dass sein Geschäft in der Krise komplett eingestellt war. Er selbst hätte sein Geschäftsmodell nach der Wirtschaftskrise 2008-09 aufgebaut, als die Menschen verstärkt billigere Unterbringungsmöglichkeiten für ihre Reisen suchten. „Als ich 2010 meinen Geschäftsplan aufstellte, wurde ich als verrückt betrachtet, denn alle dachten, dass die Menschen wegen der Krise nicht mehr reisen würden. Ich hatte einigermaßen Erfolg und konnte das investierte Geld zurückgewinnen, aber damals war es eine Wirtschaftskrise, und keine Gesundheitskrise, die die Menschen vielmehr in Angst versetzt“, sagte Alex Smaranda. 80-90 Prozent der Reisenden, die gewöhnlich in seinen beiden Hostels übernachten, seien Ausländer, informierte er. Die Rumänen waren und sind auch heute noch nicht sehr „hostel-gesinnt“, die Ausländer kennen das Konzept und kommen gerade deswegen nach Temeswar. „Die Rumänen waren nicht daran gewöhnt, zu sechst oder zu acht mit unbekannten Menschen in einem Zimmer zu übernachten, während Abenteuerlustige aus dem Westen gerade diese Art der Unterkunft, des Zusammenkommens suchen“, erklärte der Hostel-Besitzer.

„Was lockt Touristen nach Temeswar?“, wollte Moderator Dominic Samuel Fritz wissen. Ludovic Satmari erzählte, dass viele übers Wochenende nach Temeswar kamen, vor allem mit den Low-Cost-Flügen von WizzAir. „Sie finden erschwingliche Flugtickets für das Reiseziel Temeswar, googlen es, es klingt interessant, und gehen dann meist sehr zufrieden von hier wieder fort“, erzählte Ludovic Satmari. Viele erstmalige Temeswar-Besucher erzählen auch ihren Freunden davon, und dann steigen die Ansprüche der Besucher schon, so der Touristenführer. Eine andere Kategorie von Reisenden sei die jener Leute, die eine Balkan-Tour unternehmen und unterwegs auch in Temeswar landen. „Andere wiederum bereisen Rumänien, um nach ihren Banater oder Siebenbürger Wurzeln zu suchen. Das sind die individuellen Touristen“, sagte Ludovic Satmari. Außer diesen Touristen seien es die Touristengruppen, die Rumänien- oder Balkan-Rundreisen unternehmen – Dutzende solche Gruppen konnte der Touristenführer in den verstrichenen 17 Jahren, in denen er in diesem Bereich tätig ist, begleiten. Ein spürbarer Rückgang der Touristenzahlen sei eingetroffen, nachdem vor zwei Jahren die Billig-Airline „Ryanair“ beschlossen hat, Temeswar zu verlassen. „Es war viel besser, als es zwei Low-Cost-Anbieter gab, denn die Preise waren erschwinglicher, die Konkurrenz tat gut“, sagte Ludovic Satmari.

Zu den Touristen, die eine Übernachtung im Hostel buchen, gehören jene, die die Route Belgrad – Temeswar – Hermannstadt/Sibiu wählen. In diesem Zusammenhang erzählte Alex Smaranda, dass es seit drei Jahren keinen Direktzug mehr zwischen Belgrad und Temeswar gibt, was sich ebenfalls negativ auf die Zahl der Gäste seiner Einrichtungen ausgewirkt habe. „Meine Gäste sind Abenteuertouristen, die außerhalb des Schengener Raums reisen wollen. Es sind Menschen, die mehrere Monate lang unterwegs sind, die sich vielleicht ein sogenanntes Gap-Jahr genommen haben und unabhängig reisen wollen“, sagte Alex Smaranda.
Raluca Șpiac, Incoming-Agentur-Betreiberin, richtet sich mit ihren Angeboten an eine völlig andere Touristensparte: die Ausländer, die gewillt sind, viel Geld für eine Reise nach Rumänien auszugeben. „Wir haben oftmals keine Unterkunftsplätze, die den hohen Anforderungen der Touristen entsprechen. Ich glaube, es würden mehr Touristen nach Temeswar kommen, wenn mehr Unterkunftsmöglichkeiten dieser Kategorie vorhanden sein würden“, sagte Raluca Șpiac.

Die meisten Touristen, die Ludovic Satmari durch Temeswar führte, ließen sich von der Architektur der Stadt begeistern, aber auch von einem gewissen „Überraschungselement“. „Unser Image im Ausland ist immer noch ziemlich grau, die Menschen haben Vorurteile Rumänien gegenüber, es gibt weiterhin Menschen, die nach den schrecklichen Kinderheimen fragen, die es in den 1990er Jahren hier gegeben hat. Und dann kommen sie her und sehen, dass Temeswar doch wie eine mitteleuropäische Stadt aussieht, ein bisschen Wien, ein bisschen Budapest, ein bisschen Salzburg ist dabei, die Menschen sind rundum begeistert. Sie bewundern die schöne Architektur, sie hören sich die interessante Geschichte der Stadt an und sie bekommen gutes Essen zu erschwinglichen Preisen“, sagte Ludovic Satmari. „Den Touristen gefallen auch die Menschen hier – die Rumänen sind warmherzig, offen, freundlich. Das ist auch ein Grund, weshalb viele zurückkehren“, fügte Alex Smaranda hinzu.

„Was könnte man tun, um die Attraktivität von Temeswar zu steigern?“, wollte Dominic Samuel Fritz wissen. Raluca Șpiac erklärte, dass es eines umfangreicheren touristischen Angebotes für Temeswar und dessen nähere Umgebung bedürfe, dass man auch das Thema der Revolution 1989 irgendwie touristisch vermarkten müsste. „Ich würde mich nicht damit rühmen, dass Temeswar billig ist. Damit wirbt man viel zu oft und ich finde es eine äußerst schlechte Marketing-Strategie“, sagte Raluca [piac. Eine touristische Vermarktung der Stadt fehle, bemerkte auch Dominic Samuel Fritz. Touristenführer Ludovic Satmari fügte hinzu, dass im Bürgermeisteramt Temeswar „Ameisenschritte“ in Richtung Tourismusförderung getan werden. Zwischen den Akteuren auf Stadt- und Kreisebene gäbe es aus politischen Gründen kaum eine Kommunikation, so der Touristenführer, was wiederum ein Nachteil für das Marketing der Stadt Temeswar sei. Die Europäische Kulturhauptstadt wurde in der Zwischenzeit fast gar nicht vermarktet, waren sich alle Teilnehmer an der Diskussion einig. „Wir haben den goldenen Apfel und halten ihn versteckt in einer Schublade“, umschrieb Ludovic Satmari das touristische Marketing für Temeswar 2021.

Dennoch zeigten sich die Diskussionsteilnehmer optimistisch, was die Wiederbelebung des Temeswarer Tourismus angeht. Hostel-Besitzer Alex Smaranda glaubt voller Zuversicht, dass es nicht zwei Jahre dauern werde, bis der Tourismus in Osteuropa und implizite auch in Rumänien und Temeswar wieder auflebt. „Ich glaube, dass die Menschen kaum abwarten können, wieder zu reisen. Klar wird es nicht alle in den Norden Italiens ziehen, aber nach Osteuropa schon. Die Menschen werden wahrscheinlich kürzere Reisen unternehmen, vielleicht mehr mit dem eigenen Auto, und nach sicheren Ländern Ausschau halten.“ Er nahm auch vorweg, was dann am 1. Juni wirklich eingetreten ist: „Ich glaube, dass, sobald die Terrassen wieder offen sind, die Menschen dorthin stürmen werden – und so wird das auch mit dem Tourismus geschehen“, fügte er hinzu.