Porajmos: Widerstand gegen das Verschweigen

Der Völkermord an den rumänischen Roma

Am Internationalen Tag der Roma, jährlich am 8. April, wird auf die Verbrechen der Vergangenheit und die Missstände heute aufmerksam gemacht und die Roma-Kultur gefeiert. Bild: Eli Driu für „Libertatea“

„Es ging uns gut damals, wir waren es gewohnt, im Zelt zu wohnen. Ich erinnere mich, wie es innen war, die Wärme. Das Leben war gut. Wenn die Rumänen gekommen sind und uns gesehen haben, sagten sie: ‘Die Armen, schaut sie an, sie wohnen im Zelt, die armen Kinder erfrieren!’ Dann kommt in unser Zelt’, lachten wir, ‘seht, wie wir erfrieren!’“
Das „gute Leben“ dauerte für diesen damals kleinen Jungen nicht lange an: Er und seine Familie wurden 1941 wie Hunderttausende nach Transnistrien deportiert, heute ist er einer der wenigen noch lebenden Zeugen eines der größten Verbrechen in der rumänischen Geschichte. Während die Vernichtung der rumänischen Juden noch eher bekannt ist, ist der Genozid an denjenigen rumänischen Bürgern, die als „Zigeuner“ und daher „Volksschädlinge“ betrachtet wurden, kaum im kollektiven Gedächtnis präsent – weder in Rumänien noch in einem der anderen Länder, in denen versucht wurde, Kultur und Leben der europäischen Roma auszulöschen. 

Gegen dieses Verschweigen wendet sich die Ausstellung „Remember to resist. Memoria genocidului din România“/„Erinnern um Widerstand zu leisten. Gedenken an den Genozid in Rumänien“, die am Nationalen Institut für Politikwissenschaft und Administration (SNSPA) in Bukarest zu sehen war. Anhand von Dokumenten, Fotografien und Zeitzeugenberichten zeichnet sie das Verbrechen nach. Die Zitate in diesem Artikel, von überlebenden Roma sowie Dorfbewohnern in Transnistrien, stammen aus dieser Ausstellung. Sie wurde koordiniert vom deutschen Bildungswerk für Friedensarbeit in Zusammenarbeit mit der Asocia]ia Plural und dem Elie Wiesel-Institut und ist Teil eines größeren Projektes mit dem Ziel, die Erinnerungen der Überlebenden für eine breitere Bevölkerung sichtbar zu machen – und um sie den nachfolgenden Generationen zu erhalten, denn bald gibt es keine Überlebenden mehr, die davon erzählen können, was ihnen widerfahren ist. 

Wie viele Roma während der 1930er und 40er Jahre in Europa den Anhängern nationalistischer Rassenideologien zum Opfer fielen, ist nicht genau bekannt: Während über diejenigen, die in Konzentrationslagern ermordet wurden, von den Nationalsozialisten präzise Buch geführt wurde, gibt es keine genauen Aufzeichnung über diejenigen, die in den „Blood-lands“ Osteuropas durch Massenerschießungen, Hunger, Kälte oder Krankheiten zu Tode kamen. Die Autoren Donald Kenrick und Gratton Puxon schätzten die Zahl der Ermordeten auf etwa 200.000.
Unter Antonescu wurden aus Rumänien etwa 25.000 Roma nach Transnistrien deportiert, etwa die Hälfte überlebte – die Dunkelziffer liegt wahrscheinlich höher. Das Gedenken an den Porajmos – so lautet auf Romanes die Bezeichnung für diesen Völkermord, zu Deutsch „das Verschlingen“ ist aber wichtig: Einerseits aus Respekt für die Opfer, andererseits, um sich in Anbetracht der politischen Entwicklungen in Europa die Gefahren vor Augen zu führen, die Nationalismen und die Abgrenzung von „anderen“ in sich bergen. 

Die faschistische und Rassenideologie fand auch im Rumänien der 1930er Jahre zahlreiche Anhänger, auch hier wurde von einer „Reinheit des Blutes“ und deren Bedrohung durch „minderwertige Rassen“ phantasiert. Ein wichtiger Importeur dieser Ideologie war der Leiter des Nationalen Amts für Statistik, Sabin Manuilă – er wurde zum einflussreichen Berater Ion Antonescus, mit dessen Machtergreifung 1940 die ethnische Homogenisierung zur Staatsdoktrin wurde. 1941 begann die Deportierung der Roma Bukarests in die B˛r˛gan-Steppe, wohin ein Jahrzehnt später auch die kommunistischen Behörden 40.000 Menschen verschleppen sollten. Nach der Eroberung Transnistriens im August des gleichen Jahres wurde auf Vorschlag Manuilăs hin beschlossen, Roma und Juden dorthin zu deportieren.

Es wurden also Listen erstellt – ganz so, wie es im Juni 2018 der damalige italienische Innenminister Matteo Salvini wieder vorgeschlagen hatte. Die Namen von 9417 nomadisch und 31.438 sesshaft lebenden Roma wurden erfasst und sie als „gefährliche und unerwünschte Personen“ eingestuft, um deportiert zu werden. Die Deportation krimineller Rumänen, die nicht als Roma klassifiziert waren, war nicht geplant – es handelte sich also nicht um eine Maßnahme der Verbrechensprävention, sondern eindeutig um ethnische Säuberung. Auch war die Hälfte der Opfer Kinder.
Ein interessanter Aspekt ist, dass es gegen die Deportationen durchaus Proteste gab, oft von Bürgermeistern, Lehrern oder Priestern – was dafür spricht, dass die Menschen gar nicht so sehr nach „Blut“ unterschieden, wie es die Staatsdoktrin gefordert hätte. Viele Dörfer waren außerdem auf das Handwerk der Roma in der Gemeinde angewiesen.

„Ich war in der vierten Klassen. Mein Vater war Messingschmied. Er reparierte auch Waffen, machte Schlüssel und Kerzenleuchter für die Kirche. Wir lebten in der Stadt Alexandria und hatten zwei Häuser dort. Wir bezahlten Steuern.“
Von multikultureller Harmonie, die von einem faschistischen Regime jäh zerstört wurde, kann aber auch keine Rede sein: Die Abschaffung der Sklaverei 1856 hatte mangels begleitender Maßnahmen dazu geführt, dass die jetzt rechtlich freien Bürger über keinerlei ökonomische Grundlage für ihr Dasein verfügten. Dies führte zur Verelendung und dazu, dass arme Rumänen und ehemalige Sklaven plötzlich in Konkurrenz um knappe wirtschaftliche Ressourcen standen, was kaum zur Popularität letzterer beitrug. 

Wenn es auch keinen wirklichen Widerstand gegen die Deportierung und Ermordung dieser Menschen gab, blitzen in manchen Geschichten doch Gesten von Menschlichkeit auf: 
„Unsere Familie zählte 14 Seelen. Nur eine Schwester hat überlebt, alle anderen wurden umgebracht. Sie wurden in eine Reihe gestellt und deportiert. Ich war klein, und meine Schwester auch, wir nahmen uns an den Händen und versteckten uns in einer Grube im Garten. Wir blieben so den ganzen Tag, bis sie weg waren. Wir litten an Hunger und Kälte. Danach kam eine Nachbarin und nahm uns zu sich.“

Ab 1. Juni 1941 erfolgte die erste, im folgenden September die zweite Deportationswelle; letztere wurde, wohl aufgrund der miserablen militärischen Lage, frühzeitig gestoppt. Über Sterben oder Überleben entschied oft die Willkür der Zuständigen – wurde jemand nicht zuhause angetroffen, nahm man eben jemand anders mit. Auch wurden keine Einzelpersonen, sondern immer ganze Familie deportiert – daher die hohe Anzahl an Kindern unter den Opfern. 
Während der langen Transporte und Märsche waren die Menschen Prügel und Vergewaltigungen durch Gendarmen ausgesetzt; viele erlagen unterwegs Hunger, Durst oder Erschöpfung. In Transnistrien waren kaum Vorkehrungen für die Unterbringung oder Versorgung der vielen Tausend Menschen getroffen worden. Wer in Transnistrien ankam, fand also kein Land mit Haus und Tieren vor: Die Familien kamen in Scheunen oder Erdlöchern unter, auch im Winter. Es hieß, die Deportierten sollten sich durch Arbeit selbst erhalten – aber abgesehen von der Zwangsarbeit gab es in dem dünn besiedelten, bitterarmen Landstrich kaum Verdienstmöglichkeiten. 
„Nachdem sie sie hier hergebracht hatten, kümmerten sich die Rumänen überhaupt nicht mehr um sie, sie ließen sie dahinsiechen. Die Zigeuner liefen durchs Dorf und bettelten um Brot und Mehl. Aber wir hatten auch nichts mehr. (…) Sie wurden nur hierher gebracht, um zu sterben.“ 

Da die Menschen ihres Besitzes beraubt waren und Deportationen in der warmen Jahreshälfte durchgeführt wurden, hatte kaum jemand angemessene Kleidung für den Winter. Selbst die geringen Essensrationen, die offiziell zugestanden wurden, bekamen die Menschen selten. Die meisten wurden nicht durch Tötungsaktionen, sondern dadurch umgebracht, dass sie Kälte und Hunger schutzlos ausgeliefert wurden. 
Hinzu kamen Krankheiten – vor allem Typhus, der einigen Tausend das Leben kostete. Dennoch waren die Überlebenschancen der Roma im rumänisch besetzten Gebiet Transnistriens deutlich höher als die in von Nationalsozialisten besetzten Gebieten. Vor allem, weil es wenig Massenerschießungen gab, wie sie beispielsweise die paramilitärische Organisationen „Volksdeutscher Selbstschutz“, durchführte, dem auch viele Angehörige der deutschen Minderheit in Transnistrien angehörten. „Solch eine Schweinerei“, schrieb der aus Siebenbürgen nach Transnistrien versetzte Pfarrer Hermann Binder über die Mordaktionen der Nationalsozialisten, hätten „die Bolschewiken in zwanzig Jahren nicht gemacht, was diese in wenigen Monaten getrieben haben“. Die Behauptung, dass niemand von etwas gewusst hätte, ist eben nur eine solche. 

1944 schließlich befreite die Rote Armee die Deportierten in Transnistrien – den Heimweg, zu Fuß, ohne jedwede Unterstützung, überlebten aber wiederum viele nicht.
„Bei der Rückkehr lag so viel Schnee! Wegen des Schnees haben es viele nicht geschafft und sind dort geblieben. Wer zusammenbrach, blieb auf dem Weg liegen und starb. Die Toten lagen da wie Steine. Niemand hat sie begraben, niemand hat sich um sie gekümmert. (…) Auch mein Vater ist dort gestorben, bei der Rückkehr. Mama hat uns dann zurückgeführt.“
Wer zum Zeitpunkt der Deportation ein Haus besessen hatte, erhielt dies meist zurück; aller bewegliche Besitz, der geraubt worden war, wurde nicht rückerstattet. Bemühungen, die Überlebenden für das an ihnen begangene Unrecht zu entschädigen, oder auch nur Schuld einzugestehen, gab es sehr lange nicht. In Deutschland entschied der Bundesgerichtshof 1956, dass als „Zigeuner“ klassifizierte Bürger bis zur Deportation ins Lager Auschwitz-Birkenau 1943 nicht „rassenideologisch“ verfolgt wurden, sondern aufgrund der „asozialen Eigenschaften der Zigeuner“ – sie waren also gemäß dieser Richter zu Recht in Konzentrationslager verschleppt worden. 

In Rumänien wurde von Politikern wiederholt geleugnet, dass es überhaupt einen Völkermord im Land gegeben hätte – schließlich sei Transnistrien ja kein Teil Rumäniens gewesen. Einzelne Historiker begannen in den 1990ern, diese Geschichte aufzuarbeiten. Unter internationalem Druck wurde schließlich 2003 eine Historikerkommission unter der Leitung von Elie Wiesel eingesetzt, die auch den Genozid an Roma untersuchte und die Täterschaft Rumäniens zweifelsfrei nachwies, sodass Präsident Iliescu im gleichen Jahr die Verantwortung der damaligen rumänischen Administration eingestand.

Viele Überlebende, denen eigentlich eine kleine Entschädigungszahlung zustünde, scheitern bis heute am Unwillen der Behörden. Die meisten Täter dagegen waren nach Kriegsende weder mit juristischen Konsequenz noch sozialer Ächtung konfrontiert und leben teils bis heute unbescholten weiter – im Schutze des Schweigens, das gemeinsam über die Grauen gelegt wurde, und das die Opfer mit ihrer Trauer und ihren Erinnerungen alleine lässt. Empathie mit den Opfern verhindern auch die Ressentiments, die Roma gegenüber bis heute ungebrochen fortbestehen. Das 2009 errichtete Holocaust-Denkmal in Bukarest steht mit seinen imposanten 17 Metern Höhe in seltsamem Kontrast zur andauernden Ausgrenzung. 
„Wo wir damals gelebt haben, ist jetzt Wald. Und als sie die Zigeuner dort hinbrachten, war da auch Wald. Sie haben dort als Holzfäller gearbeitet. Ich möchte sehr gerne einmal dorthin gehen und ein Denkmal aufstellen.“