RANDBEMERKUNGEN: Ein traditionsorientierter Verrat am Wähler

Was uns, den gewissenhaften, vom bürgerlichen Selbstverständnis getriebenen Wählern, durch die vom Präsidenten abgesegneten Mesalliance – „Mesalliance = heute eine unglückliche Verbindung von Partnern, die nicht zueinander passen oder zu passen scheinen“, schreibt Wikipedia – der gegenwärtigen Regierungskoalition angetan wurde, hat in Rumänien Tradition. Denn die Hauptpartner, die „Sozialdemokraten“ der PSD und die „Liberalen“ der PNL fühlen sich pudelwohl beim Wählerverrat (oder, wie es ordinär, aber treffend im Titel eines Stücks von Werner Schwab von 1992 heißt: „Mesalliance. Aber wir ficken uns prächtig“). Was sich der schlüpfrige Ungarnverband UDMR und die sich mit als Zünglein an der Waage aufplusternde Gruppe der Minderheitsabgeordneten davon erhoffen, bleibt weitgehend im Dunkeln. Aber in einer wahren Demokratie hätte jeder Schwenk zu so einer monströsen Koalition einer Mitgliederbefragung bedurft.

Wir aber leben hierzulande seit 1877 mit einer Regierungshaltung und Politikusance, die vom Bukarester Hochschullehrer und Literaten Ioan Stanomir (Jg. 1973) „Brătianismus“ getauft wurde. Darunter versteht Stanomir alle von einer Regierung ergriffenen Initiativen in Richtung Europäisierung (aus der vorgeblichen Mitte eines immer noch extrem stark dem Osten Europas verbundenen – und zutiefst zugeneigten – Volkes, geprägt durch Mehrheitsreligion, Mentalitäten, Gebundenheit ans Landleben und lyrisch-nostalgisches Dauerlechzen danach, offiziellgeschichtliche Prägung und den Mangel an reflektiertem Denken) und einer Entwicklung des Großraums Rumänien, die sich auf Bereicherung durch Korruption und auf die Anwendung von Nepotismus stützte. Dieser eigene und eigen-willige „originäre“ „Stil“ der rumänischen Herrschaft schaffe die Möglichkeit, die natürlichen, finanziellen und menschlichen Ressourcen des regierten Landes in doppeltem Interesse zu nutzen: im privaten, eigenen, und im öffentlichen. Und das gleichzeitig. 

Dies sei die Essenz des liberalen Impulses in der Politik, den der Bojar Ion Constantin Brătianu („Iancu“, 1821-1891, zwischen 1867-1888 Ministerpräsident der Donaufürstentümer) ab 1877 losgetreten habe und den sein Sohn „Ionel“ (Ion I.C.Brătianu, 1864-1927, über 18 Jahre lang Vorsitzender der Nationalliberalen Partei) jahrzehntelang in seiner Eigenschaft als politisches Faktotum Rumäniens konsolidierte. 

Der „starke liberale Impuls“ den der „Brătianismus“ Rumänien verlieh – auch vor, vor allem nach der Gründung Großrumäniens – geschah auf „vollkommen undemokratische Weise“, mittels eines untergeordneten Wahlsystems, eines politischen Netzwerks von „Nahestehenden“ und „Operativen“, die für und mit Familienclans arbeiteten und in spezifischen Institutionen eines modernen europäischen Staates tätig waren. Diese Institutionen wurden unmittelbar nach ihrer Gründung umgehend von diesen „Nahestehenden“ – heute spricht man von der „politischen Klientel“ und dem „Klientelismus“, neben dem Nepotismus und seiner pursten rumänischen Ausprägung, dem in dieser Rubrik oft erklärten „Naschismus“ (vom rumänischen „naș“, dem Taufpaten) mit Beschlag belegt und ungeniert erschöpfend ausgenutzt.

Die vergangene Woche vereidigten Regierungspartner haben uns während ihres Postengeschachers dauernd etwas vorgespuckt von hehren Idealen der Europäisierung, von Entwicklung, sozialer Gerechtigkeit und Liberalismus, meinten aber in Wirklichkeit das Einebnen der Autobahn für straffreie Korruption, Klientelismus und Nepotismus. Denn wenn es überhaupt noch eines Beweises bedurfte, dass zwischen PSD und PNL allergrößte Einigkeit besteht (einer der meistgelesenen politischen Kommentatoren Rumäniens fragte sich schon verwundert, wieso die beiden denn nicht einfach fusionieren, bei so viel Einvernehmlichkeit?): In der letzten Novemberwoche sind alle Zweifel beseitigt worden.