Reisen in Zeiten von Ausgangssperren und räumlicher Distanzierung

Streifen Sie durch verlassene Städte und beobachten sie wilde Tiere am Computer

Gespenstische Leere auf dem Kleinen Ring in Hermannstadt Foto: www.sibiu.ro

Bären in der Nähe von Gheorgheni im Kreis Harghita Foto: www.medveles.eu

Die Restaurants in der Hermannstädter Altstadt sind genauso geschlossen wie das Brukenthal-Museum. Wandern im Zibinsgebirge ist verboten. Serbien, Ungarn, die Ukraine und die Republik Moldau lassen ausländische Staatsbürger nicht mehr einreisen und die Bevölkerung Rumäniens steht unter kollektiver Isolation. Gute Vorzeichen für einen Urlaub sind das nicht. Doch trotz der der Polizei, der Gendarmerie und streckenweise auch des Militärs, welche auf den Straßen patrouillieren, lässt es sich verreisen. Und zwar vom Sofa aus!

Für den Anfang bieten die guten alten Internetkameras eine einfache Möglichkeit, sich einen Einblick in die einstigen Tourismusdestinationen zu verschaffen. Doch auf den Tausenden Kameras rund um den Globus sieht man zunächst einmal nur gespenstische Leere. Am Trevi-Brunnen in Rom plätschert das Wasser auch ohne Touristen vor sich hin, auf den Markusplatz in Venedig verirren sich nur noch die Möwen und die Skilifte in den Dolomiten stehen still. Mit Ausnahme der Krankenhäuser scheint Italien zum Stillstand gekommen zu sein.

Es ist ein fast schon morbider Charme, der diese Bilder umgibt. Und sie gleichen sich. Auf kaum einer Internetkamera zwischen Konstanza und Buenos Aires sind noch Menschen zu sehen – nicht an der berühmten Strandpromenade von Rio de Janeiro, nicht auf dem Las Vegas Strip in der amerikanischen Casino-Metropole und auch nicht auf dem Großen Ring in Hermannstadt.

Leider senden die Kameras des hiesigen Bürgermeisteramtes keine Live-Videos, sondern nur etwa einmal pro Stunde ein Standbild. Ganz anders hoch oben am Bulea-See, wo hin und wieder ein paar Berghüter ihre Spuren im tiefen Schnee hinterlassen. Das selbsternannte Fenster zu Rumänien ist „webcamromania.ro“, eine Internetseite, die eine Übersicht zu verschiedensten Kameras im Land bietet. Von hier aus lässt sich die Pia]a Unirii in Bukarest beobachten, der zu dieser Jahreszeit ohnehin verwaiste Strand von Eforie oder auch die Repser Festung, die malerischen Burgruinen zwischen Schäßburg und Kronstadt. Integriert ist auch eine Kamera, die das Nest eines Sakerfalken zeigt, der zu den gefährdetsten Greifvogelarten zählt. Bereitgestellt wird diese Internetkamera von „wildliferomania.com“.

Eine besonders interessante Kamera steht in einem Wald östlich von Gheorgheni/Niklasmarkt/Gyergyószentmiklós. Denn hier lassen sich Braunbären beobachten, ganz ungefährlich vom heimischen Computerbildschirm aus. Gewiss, die meiste Zeit des Tages hört der Zuschauer nur allerhand faszinierende Geräusche des Waldes, doch in den Abendstunden kommt tatsächlich täglich ein halbes Dutzend Bären vorbei. Befestigt haben die Kamera Alex und Zsolt Egyed von „Medveles Erdélyben“ (Bärenbeobachtung in Siebenbürgen), inklusive Futterstelle, Hochsitz und Beobachtungshütte für bis zu 45 Personen.

Noch bedeutend spektakulärer sind die Internetkameras von „explore.org“. Die Non-Profit-Organisation betreibt eine Seite mit knapp 100 Echtzeitübertragungen. Gorillas in der Demokratischen Republik Kongo, Pandas in China, Polarbären in Kanada oder Unterwasserkameras vor der amerikanischen Westküste – die Auswahl ist riesig und die Aufnahmen beeindruckend.

Durch ferngesteuerte Kameras, Solaranlagen, Windturbinen und Richtfunkantennen lässt es sich mit „africam.com“ gar auf Safari gehen. Rund 150 Elefanten leben im weitläufigen Tembe Elephant Park in Südafrika, der sich nahe der Landesgrenze zu Mosambik befindet. Rund um die Uhr fängt eine Kamera die sanften Riesen ein, während sie aus dem Mahlesela-Pan-Wasserloch trinken und darin baden. Aber auch verschiedene Antilopenarten, Warzenschweine und Leoparden kann der aufmerksame Zuschauer entdecken. Über Mikrofone wird eine ständig wechselnde Sinfonie aus Schnauben, Grunzen, Knurren, Spritzen und Zwitschern übertragen. Für den eiligen Besucher gibt es die besten Aufnahmen im Zusammenschnitt.

Auch zahlreiche Zoos haben mittlerweile Live-Übertragungen gestartet und demonstrieren damit unbeabsichtigt ihre eigene Überflüssigkeit. Denn die Gefängnisse dienen nicht dem Arterhalt, nicht der Umweltbildung und auch nicht der Forschung, sondern zur Belustigung der zahlenden Besucher. Die Echtzeitaufnahmen von Schwertwalen vor der Küste von Kanada sind beeindruckend, die Bilder von gelangweilten Menschenaffen in viel zu kleinen Gehegen hingegen erschütternd. Unterstützen sie keine Tierquälerei, beobachten sie stattdessen Vögel in Kanada (birdwatchinghq.com) oder Fledermäuse im Südwesten Englands (devonbatproject.org)!