Ruhe, vor dem Sturm?

Jedem kritischen Beobachter der rumänischen politischen Szene ist klar, dass die drei Parteien, die seit 1990 unter dem einen oder anderen Namen die Führung des Landes innehatten, die PSD, die PNL und die zielfixierte Jokerpartei, die Demokratische Union der Magyaren Rumäniens (UDMR), um sich ihre Klientel geschart haben, die ihnen das Handeln, wenn nicht diktieren, so doch zensurieren. Nur diesem Sinn kann auch eine im öffentlichen Raum kaum beachtete Bemerkung der Ärztin Ioana Mihăilă verstanden werden, die den Nagel auf den Kopf trifft, wenn es um die Charakterisierung der amtierenden Regierungskoalition aus PNL, USR-PLUS und UDMR geht: „Meine größte Befürchtung ist, dass es mir nicht vergönnt sein wird, die Reformen zu Ende zu bringen – oder sie wenigsten auf einen unumkehrbaren Weg zu lotsen – deretwegen ich diesen Posten akzeptiert habe.“

Wenn ein Minister am Tag der Eidablegung einen solchen Satz sagt, dann müsste dieser in erster Linie dem Präsidenten zu denken geben, vor dem der Eid abgelegt wurde, er müsste die Führer der Koalition zum Mindesten nachdenklich stimmen und er müsste die Wählerschaft alarmieren: Etwas ist faul im Staate Dänemark...

Die Ärztin ist keine Berufspolitikerin, sie kommt aus der Zivilgesellschaft und ist Mitglied der Partei der Zivilgesellschaft, der Union Rettet Rumänien, USR. Sie hat nichts zu verlieren, wenn sie kein Blatt vor den Mund nimmt. Das macht sie sympathisch. Und wählbar. Ihre Partei wird dadurch aber nicht koalitionsfähiger. Es wird immer offensichtlicher: Die USR hat verfrüht die Chance des Regierens wahrgenommen. Die Rolle eines der beiden Juniorpartner der PNL bekommt ihr nicht. Eine Partei der Zivilgesellschaft sollte die Zügel der Regierung nur ergreifen, wenn sie aufgrund der Wahlergebnisse die Richtung diktieren und führen kann. Umsonst sagte der noch-PNL-Chef Ludovic Orban kurz nach dem Rausschmiss des Vorgängers der jetzigen Gesundheitsministerin und der mühevollen Glättung der Spannungswellen, die die Koalition zu zerreißen drohten, dass „die Dinge in der Koalition im gegenwärtigen Augenblick gut stehen“.

Es schmeckt nach Perversität, den Medien und Mediennutzern zuzumuten, dass sie einem so gewieften Politiker wie Orban so eine Bemerkung blauäugig abkaufen, wo sich doch die Meldungen über Konflikte auf allen Ebenen zwischen gewählten Vertretern der PNL und der USR-PLUS häufen. Als wäre Orban nicht dabei gewesen, als Dr. Ioana Mihăilă ihrer Befürchtung Ausdruck verlieh! Als wüsste er, der Präsident der Abgeordnetenkammer, nichts vom verbissenen Sabotieren, durch die PNL und die UDMR, von allen parlamentarischen Bemühungen der USR-PLUS um grundlegende Reformen (die alle in ihren Wahlprogrammen hatten) – etwa die Bürgermeisterwahl in zwei Wahlgängen, oder die Reform der Justiz.

Kann von Frieden in der Koalition die Rede sein, wenn die PNL-Fraktion im Bukarester 1. Bezirk bei jeder Gelegenheit der USR-Bezirksbürgermeisterin Clotilde Armand Fallen stellt und Fußangeln auslegt? Kann von Frieden die Rede sein, wenn die USR-PLUS-Fraktion in Jassy dem PNL-Bürgermeister die Stimme für seinen Haushaltsentwurf verweigert? Wenn Wirtschaftsminister Ovidiu Năsui (USR) dauernd vom Exportratsvorsitzenden Mihai Ionescu (PNL) attackiert wird (hinter dem wahrscheinlich der PNL-Chef Ludovic Orban steckt)? Oder wenn Europaminister Cristian Ghinea (USR) dem Dauerkläffen der PNL-Bluthunde wegen den Verspätungen in der Ausarbeitung des Wideraufbau- und Resilienzplans PNRR ausgesetzt ist – wo doch hauptsächlich die PNL-Minister die Plantermine durch Hinauszögern vermasselt haben?

Die Defensivtaktik von USR-Chef Dan Barna – ein Präsidentschaftskandidat in spe – ist für die Partei unproduktiv. Kompromisse sollte die USR nur zur Realisierung ihrer Prioritäten akzeptieren, nicht um des Koalitionsfriedens willen. Sonst kündigt Ruhe bloß Sturm an.