Rumänien und die Coronakrise

Ein Lagebericht aus dem Land der fehlenden Backhefe

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Seit wenigen Tagen hat Rumänien eine neue alte Regierung. Der Anfang November 2019, in einer Zeit, als die Welt noch in Ordnung zu sein schien und selbst im entfernten Wuhan das Coronavirus noch schlummerte, zum Premierminister gewählte Ludovic Orban regiert nun weiter, obwohl er und sein Kabinett Anfang Februar von derselben Parlamentsmehrheit gestürzt wurden, die ihn und die PNL-Regierungsmannschaft schnellstens vor Kurzem wieder absegneten, und zwar per Fernabstimmung, um der Verbreitung der Epidemie in den höheren Staatsrängen vorzubeugen. Der inzwischen auf Coronavirus getestete Orban ist nicht infiziert worden, gegen den PNL-Abgeordneten, der einige Parteifreunde angesteckt hat, ermittelt nun die Staatsanwaltschaft. Er dürfte relativ glimpflich davon kommen, denn auf ihn dürfen die in aller Eile verabschiedeten Änderungen des Strafgesetzbuchs nicht angewendet werden, seine Tat erfolgte vor dem Inkrafttreten der neuen Paragraphen.

Dass die Regierung in Anbetracht der Coronavirus-Krise sofort auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft reagiert und härtere Strafen für all jene eingeführt hat, die falsche Erklärungen sowohl zum Herkunftsland als auch Gesundheitszustand abgeben, bzw. durch ihr Tun die Eindämmung der Seuche gefährden, liegt auf der Hand. Zumindest im Falle eines Staates, den diese Epidemie an den Rand seiner ohnehin strapazierten Leistungsfähigkeit treibt. Herausgefordert sind jetzt Regierungen überall auf der Welt und überall auf der Welt versprechen sie dieser Tage, alles zu tun, nicht nur um das Virus zu besiegen, sondern – und das dürfte mittel- und langfristig von weitaus größerer Bedeutung sein – auch um Wirtschaft und Arbeitsplätze zu retten. „Koste es, was es wolle“, so die Parole des österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz, einen ähnlichen Ton wählten auch die deutsche Bundeskanzlerin in ihrer Rede an die deutsche Bevölkerung oder Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.

In Bukarest bleibt Präsident Klaus Johannis weiterhin wortkarg. Er verkündete am vergangenen Wochenende den Notstand und beließ es dabei. An seiner Stelle verlautbaren nun Premierminister Ludovic Orban und Finanzminister Florin Cîțu, aus dem kein Premierminister mehr wurde, ihr Machtwort. Und es sprechen natürlich viele andere, viel zu viele, könnte man meinen. Nachdem Ungarns Ministerpräsident die Aussetzung von Bankraten bis Jahresende versprochen hat, soll die PSD einen ähnlichen Entwurf erarbeiten, denn jeder Bürger will jetzt entlastet werden. Die Sozialdemokraten, denen die Covid-19-Epidemie die bestmögliche Gelegenheit bietet, politisches Kapital herauszuschlagen, übertrumpfen sich mit Dummheiten und schlagen eine Irrsinnigkeit nach der anderen vor, so zum Beispiel die Einführung einer Preisdrosselung für Grundnahrungsmittel. Eine Maßnahme, die vor Inkrafttreten zu einer absurden Preiserhöhung und im Nachhinein zu einem lebendigen Schwarzhandel führt, an dem einige reich, die ärmsten der Gesellschaft aber arg leiden werden. Das weiß jeder, der ein Ökonomie-Lehrbuch geöffnet, gelesen und halbwegs begriffen hat und der darüber hinaus dieser Tage bei Verstand bleibt. Oder es zumindest versucht.

Rumäniens Lebensmittelindustrie, so schwach sie auch ist, arbeitet auf Hochtouren und der internationale Warenverkehr wurde noch nicht erheblich eingeschränkt. Es gibt gute Nachrichten aus der Branche, auch wenn vorige Woche in den Großstädten ein Produkt nicht mehr zu finden war, dem man beim normalen Einkauf nur wenig Beachtung geschenkt hat: die Backhefe. Inzwischen hat Rumäniens einziger Großfabrikant von Backhefe zwei Millionen Packungen an den Einzelhandel geliefert, damit kann man 25 Millionen Brote backen. Hieß es zumindest. Wenn die Hefe ausgeht, könne man Brot auch mit Backpulver backen, und wenn vorübergehend kein Backpulver zu finden ist, dann besinne man sich darauf, dass man im Nahen und Mittleren Osten Brot auch ohne Hefe herstellt, und zwar seit Jahrtausenden.

Und wenn Sie jetzt glauben, der Autor dieser Zeilen übertreibt mit dem Backhefe-Mangel in diesen unwahrscheinlichen Zeiten, dann erlauben Sie ihm, auf den Punkt zu kommen: Diese Krise zeigt schon jetzt zur Genüge, wie verwundbar westliche Gesellschaften sind, wie einfach sie ins Schwanken geraten können und wie viel Mühe und vor allem welch immenser finanzieller Aufwand notwendig sind, um sie wieder in gelenkte Bahnen zu bringen, um zu jener Normalität zurückzufinden, die es vor weniger als zwei Monaten noch gegeben hat und die jetzt so weit weg scheint. Umso härter kann es dann ein Land wie Rumänien treffen, in dem die Produktion der dringend gebrauchten Güter längst eingestellt wurde, sodass man jetzt bei anderen Staaten regelrecht um Masken und Handschuhe betteln muss.

Andererseits wurde vielerorts in diesem Land bewiesen, dass die Bürger sich selbst helfen, dass sie das digitale Angebot des Zeitalters bestens nutzen können und sich an die Anweisung, zu Hause zu bleiben, größtenteils auch halten und somit den Ernst der Lage auch tatsächlich begriffen haben. Selbst die eine oder andere Behörde, der man nicht allzu viel zutraute, agiert halbwegs professionell. Aber es mangelt an Material, an Masken und Handschuhen, an Arzneimitteln und an den dringend notwendigen Testkits, um so viele Bürger wie möglich schnellstens auf die Infektion überprüfen zu können.

Es ist deshalb größtenteils verständlich, warum in der Krise, hier und überall auf der Welt, Rufe nach dem Staat laut und lauter werden. Der Staat solle helfen, er solle die Zahlung fälliger Schulden verschieben, Kurzarbeitergeld bezahlen, Garantien für Kredite übernehmen oder selbst Kredite zur Verfügung stellen, das Kindergeld kurzfristig verdoppeln, ja sogar den Anwälten, die an der weitgehenden Schließung der Gerichte leiden, eine monatliche Unterstützung von sage und schreibe 500 Euro gewähren. So sieht sich die Regierung, ironischerweise eine liberale, die den Staat eher abbauen möchte, mit den verschiedensten Wünschen, wenn nicht Wunschträumen, unterschiedlicher gesellschaftlicher und beruflicher Gruppen konfrontiert, die nie und niemals in ihrer vollen Breite erfüllt werden können und so auch nicht erfüllt werden müssen. Maßnahmen zum Schutz von Arbeitsplätzen nach dem gut funktionierenden deutschen Modell der Kurzarbeit, die Aussetzung fälliger Steuern oder auch der Verbraucherkreditraten und die direkte Unterstützung besonders hart getroffener Unternehmen sind zwingend und sollten von der Regierung umgehend beschlossen und umgesetzt werden.

Es wäre aber höchst gefährlich, wenn die zugegeben absurde neoliberale Wirtschaftspolitik, die die Finanz-und Wirtschaftskrise überlebt und den Zusammenhalt westlicher (auch der rumänischen) Gesellschaften weiterhin ausgehöhlt hat, jetzt durch eine Art Neo-Sozialismus ersetzt werden würde, in dem es zwar weiterhin Privateigentum gibt, aber der Staat überall und immer präsent ist. Wenn aus dem schlafenden Nachtwächter, der im Dienst vor sich hinschlummert, dabei nichts sieht und nichts hört, nun ein hysterischer Feuerwehrmann werden soll, der von einem vermeintlichen Brand zum anderen läuft, aber keinen löschen kann, weil ihm das Wasser ausgegangen ist.

Dass es tatsächlich so kommen wird, ist wenig wahrscheinlich. Eher wird man zum „business as usual“ zurückkehren. Aus der Sicht der jetzt massiv eingeschränkten Bürgerrechte und Freiheiten, ist „business as usual“ das Beste, was geschehen kann. Ein Rückfall in nationalstaatliche Politik, das Zurückschrauben einer globalisierten Wirtschaft, der Verzicht auf die freie Marktwirtschaft zugunsten eines staatlich gelenkten Kapitalismus, das alles wären grobe Fehler, die es zu vermeiden gilt. Bisher hat die Europäische Union genau das Gegenteil bewiesen, nämlich dass sie bei Schönwetter viel taugt, in der Krise aber kaum. Ihre Fundamente sind also nach Covid-19 zu überdenken. Und zu stärken.

Auch in der Coronakrise bewährt sich, dass sich zunächst jeder selbst helfen muss. Die Bürger, wie die Staaten. Unverzichtbar sind letztere nicht. Das steht schon mal eindeutig fest.