Schraubenzieher und Werkzeugkasten

Der frühere EU-Kommissionspräsident Jacques Delors meinte, Europa brauche eine Vision und einen Schraubenzieher. Emmanuel Macron, der neue Staatspräsident Frankreichs, paraphrasierte Delors im Januar in einer Rede an der Berliner Humboldt-Universität: „Leider haben wir zurzeit viele Schraubenzieher, aber uns fehlt noch immer eine Vision“.
Emmanuel Macrons Wahlkampf-Aussagen kreisten um eine „Vision“. Dass er bereits am Tag seiner Amtseinführung die bisherige Strippenzieherin der EU in Berlin besuchte, beweist Konsequenz. Dass Angela Merkel in Hinsicht auf ihren Wahltag (24. September), völlig merkelhaft, nicht auf Konfrontationskurs mit dem Franzosen geht, der antritt, um die EU umzukrempeln, ist Taktik. Erwartungsgemäß wird sie den Idealisten Richtung Realismus zu lenken versuchen.
Noch sind Macron Fesseln angelegt. Er muss am 11. und 18. Juni in der Assemblée Nationale Mehrheiten für sich und seine „République en Marche“ schaffen, wie im Wahlkampf versprochen: mit neuen Leuten.

Es war stark, in den 577 Wahlkreisen neue Gesichter vorzustellen, die auch noch auf Anhieb zum Wahlsieg fähig sein sollen. Damit ist die junge „République en Marche“ noch nicht regierungsfähig. Sie muss siegen. Gesten Macrons, wie die Ablehnung Manuel Valls, Macrons Ex-Chef, der sich anbot, für Macrons Partei zu kandidieren, wirken im Wahlvolk: der Neue will wirklich Neue. Symbolgesten nutzen auch zur Überzeugung seiner Nicht- und Gegenwähler (für ihn stimmten 22 Millionen Franzosen, gegen ihn 11 Millionen, vier Millionen – Rekord! - mieden den Urnengang oder gaben weiße Wahlzettel ab). Für die Kanzlerin, einzige Alliierte in der Umkrempelung der EU – die außerhalb EU-Osteuropas begrüßt wird – gilt es, Macrons ausgezeichnete Beziehungen zur SPD schon wahlkampftaktisch zu untergraben. Vor allem Wirtschaftsminister Gabriel steht in engstem Kontakt zu Macron. Kanzlerkandidat Schulz trommelt ebenfalls für eine Erneuerung der EU – während der Merkel-Einfluss auf Europa sich seit der Flüchtlingskrise laufend verdünnt. Sicher ist: Eine deutsch diktierte EU, wie bisher, wird es mit Macron nicht geben.

Gabriels Positionspapier „Élysée 2.0“ klingt eindeutig wie eine deutsch-macronsche EU-Vision. Vor allem hinsichtlich Außenpolitik („für echte gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“), Wachstum und Arbeitsplätze durch „Zukunftsinvestitionen“ („privates Kapital anziehen und Wirkung staatlicher Mittel verstärken“), „gemeinsamer Euro-Haushalt“ („parlamentarisch kontrolliert, über einen Finanzminister“; Deutschland „muss den Mut haben, über eigene festgefahrene Positionen in der Währungsunion nachzudenken“) gibt es zwischen Macron und der SPD hohe Einstimmigkeit – wie, umgekehrt, Macron im Wahlkampf zu viel Zustimmung seitens der CDU (Schäuble: „Macron ist unser Mitstreiter!“) geschadet hätte.

Hinsichtlich der angestrebten neuen Stärke (EU-)Europas klingen aber Macron und die CDU streckenweise gleichstimmig (Schäuble: „Wenn wir Europa stärker machen wollen, muss jedes Land zunächst einmal dafür sorgen, dass es selbst stärker wird.“). Doch einstweilen übt sich Deutschland Frankreich gegenüber in „Respekt und Zurückhaltung“ (Merkelscher Art). Nach dem wahltechnisch sanktionierten Durchbruch der Alternative Macron muss aber im Juni ihre Machtbestätigung kommen. Die Chancen stehen gut. Ob aber Frankreich, wie in der EU-Vision grob angesprochen, künftig Eingriffe in seine Souveränität duldet („mehr Europa wagen“), das muss bei der Tradition der Grande République bezweifelt werden.