Späte Entschädigung, neue Ohrfeigen für rumänische Justiz

Acht Temeswarer Revolutionsopfer erhalten Entschädigung vom EGMR

Ein Mahndenkmal für die Opfer der Revolution von 1989 im Temeswarer Stadtviertel an der Lippaer Straße.
Foto: Zoltán Pázmány

Die 25 Jahre nach der Wende haben am Beispiel Rumäniens zur Genüge gezeigt, wie lückenhaft und unperfekt ein demokratisches System sein kann: Zum Leidwesen vieler seiner Bürger hat es sich der rumänische Staat in Sachen Wiedergutmachung äußerst schwer gemacht, in Rechtssprechung und Entschädigung den Enrechteten und Enteigneten nur halbherzig, zum Teil oder gar nicht zu ihrem rechtmäßigen Anspruch verholfen.

So auch im Falle der zahlreichen Opfer der rumänischen Dezemberrevolution von 1989. Und wie erwartet, nicht ein Urteil eines rumänischen Amtsgerichts sondern, wie in etlichen anderen Fällen, ein Entscheid einer europäischen Gerichtsinstanz erinnert den rumänischen Staat erneut und, warum nicht uns alle, an die Pflichten und Rechte von EU-Mitgliedsstaaten und -bürgern. Am 17. März verurteilte der EGMR (Europäische Gerichtshof für Menschenrechte) aus Straßburg im Fall „Dobre und Andere“ den rumänischen Staat dazu, acht Temeswarer Revolutionsopfer mit je 8000 Euro pro Person zu entschädigen. Es handelt sich um vier Nachkommen von Personen, die während der Revolution 1989 erschossen wurden, sowie um vier Personen, gegen die Gewalttaten verübt worden waren: Petre Dobre, Stela Ioţcovici, Victoria Balogh, Ioan Tomesc, Virgil Prodan, Daniela-Oxana Radu und Vasile-Adrian Drăgulescu, alle aus Temeswar, und Rădoica Iezdici aus Warjasch, Kreis Temesch.

Der EGMR (gegründet am 21. Januar 1959 mit dem Ziel, über die Einhaltung der Grundrechte zu wachen, derzeit mit 47 tätigen Richtern) begründete seinen Entscheid damit, dass in diesem Fall gegen Artikel der Menschenrechtskonvention, darunter auch der Artikel 2 betreffend das Recht auf Leben, verstoßen wurde. Laut Rechtsanwältin Daniela Iordan, die die acht Kläger vor Gericht vertreten hat (der Fall wurde von der rumänischen Justiz 18 Jahre lang hinausgeschoben und ignoriert, der Prozess dauerte sechs Jahre, nachdem die Klage bereits im März 2009 eingereicht worden war), ist dieses EGMR-Urteil im Grunde als eine ernste Warnung an den rumänischen Staat und seine Justiz mit ihren allzu langsam mahlenden Mühlen zu verstehen: Die bisherige Ineffizienz bei der Untersuchung der Ereignisse in der Zeit der Revolution von 1989 sei ärgerlich – wie auch die Verzögerung einer rechtlichen Aufarbeitung und eines Gerichtsentscheids.

Im Rahmen einer beim Sitz der Gesellschaft Timişoara veranstalteten Pressekonferrenz schlossen sich dieser Haltung entschieden auch zwei direkt Betroffene und Kenner dieses Phänomens, Teodor Mărieş, Vorsitzender der Gesellschaft „21.Dezember 1989“ und Florian Mihalcea, Vorsitzender der Gesellschaft Timişoara, an. „Es ist fraglich, ob man diesen Entscheid als einen Sieg oder eine Niederlage des rumänischen Gerichtssystems ansehen soll“, bekannte Rechtsanwältin Iordan. Es stehe jedoch fest, dass das Urteil, wie auch zahlreiche andere, ein begrüßenswerter Sieg gegen einen Staat darstellt, der leider noch nicht den normalen Anforderungen eines EU-Mitgliedsstaats und Unterzeichners der Meschenrechtskonvention genügt und viel zu leicht und zu oft die Menschenrechte missachte.

Und letztlich gehe es hier um viel mehr als diese kleine und späte Entschädigung. Die Kernfrage wäre eigentlich: Wie konnte es geschehen, dass diese Akten 18 Jahre lang unter Verschluss blieben? Erst 1997-2004 gestatteten nämlich die rumänischen Behörden, wiederum halbherzig, den Zugang zu diesen Akten, die Untersuchungen wurden jedoch systemathisch durch widerrechtlichen Eingriff aus der Politik behindert und verzögert.

„Man kommt nicht umhin, sich zu fragen“, setzte Florian Mihalcea das Tüpfelchen auf das i, „ob dies keine gezielten Verzögerungen waren, um die wahren Schuldigen in Schutz zu nehmen, um die Taten einer Verjährung zuzuführen. Unsere Geschichte kann ohne genaue und korrekte Untersuchungen sowie die abschließenden Gerichtsentscheide nicht geschrieben werden.“

Harte Nuss für die rumänische Justiz: Die „Revolutionsakte“

Dies ist kein Einzelfall: Der rumänische Staat hat in diesem Fall der „Revolutionsakte“ bisher beim EGMR wegen Menschenrechtsmissachtungen und Verzögerung der Wahrheitsuche hinsichtlich der gewalttätigen Ereignisse während der Dezemberrevolution 1989 schon dutzende Male das Nachsehen gehabt. In den meisten Fällen haben die Kläger, Opfer der Revolutionsgeschehnisse, die rumänische Justiz wegen der Verzögerung in der Lösung dieser Fälle angeklagt.

Am 27. Januar 2015 wurde Rumänien vom EGMR dazu verurteilt, 832.500 Euro Entschädigung an 81 Revolutionsopfer aus Bukarest und anderen Städten des Landes zu zahlen. Laut eines früheren EGMR-Beschlusses vom November 2014 hatte der rumänische Staat bereits 45.900 Euro an 34 ehemalige Revolutionäre zu entrichten. Weitere 72 Revolutionsopfer aus Temeswar erhielten im März 2013 nach einem Entscheid des EGMR eine Gesamtentschädigung von 350.000 Euro. Andere, die Temeswarer Revolutionsopfer betreffende Gerichtsurteile durch den EGMR gab es im Mai 2011 (21.000 Euro). Im März 2011 verurteilte dieser den rumänischen Staat, fünf Klausenburger Revolutionsopfer mit insgesamt 52.000 Euro zu entschädigen. Wegen Missachtung ihres Rechts auf einen Prozess kamen weitere vier Temeswarer Revolutionsopfer im Dezember 2009 per EGMR zu ihrem Recht: Der Staat musste sie mit je 5000 Euro dafür entschädigen.

Bekanntlich schaffte es die rumänische Justiz in 25 Jahren lediglich zu einem einzigen Gerichtsentscheid hinsichtlich der Temeswarer Revolution: Die ehemaligen Armeegeneräle Victor Atanasie Stănculescu und Mihai Chiţac wurden von der Militärstaatsanwaltschaft am 30. Dezember 1997 als Hauptschuldige in der blutigen Niederschlagung der Temeswarer Kundgebungen gegen das kommunistische Regime vom Dezember 1989 angeklagt und im Jahr 2000 zu je 15 Jahren Haft verurteilt. Nach einem Einspruch wurden beide 2001 auf freien Fuß gesetzt. Im Oktober 2008 entschied der Oberste Kassations- und Justizhof erneut für eine Gefängsnisstrafe von je 15 Jahren für die beiden Angeklagten. Das Gericht entschied auch, dass diese gemeinsam mit dem Verteidigungsministerium Entschädigungen für die Opfer aus Temeswar zu begleichen haben.