„Theater bedeutet: Schauspieler auf der Bühne und Zuschauer im Saal“

Interview mit Oana Vidoni vom Deutschen Staatstheater und Ioan Rizea vom Nationaltheater Temeswar

Oana Vidoni ist seit der Spielzeit 2014/2015 am Deutschen Staatstheater als Schauspielerin tätig. Sie arbeitet mit dem Tanzensemble Unfold Motion in Tanzvorstellungen und bei Performances mit und nimmt an Residenzprogrammen in Dänemark und Ungarn teil. Bild: Deutsches Staatstheater Temeswar

Ion Rizea ist einer der bedeutendsten Schauspieler des Nationaltheaters Temeswar. Er wirkt in den meisten Großproduktionen des Hauses mit und ist ein vielseitiger Schauspieler. Zudem ist er stellvertretender Generaldirektor am Nationaltheater Temeswar. Bild: Nationaltheater Temeswar

Die Covid-19-Pandemie hat die rumänischen Theater in eine Krise gestürzt: Aufgrund der Sicherheitsmaßnahmen wurden Vorstellungen vor Publikum verboten, viele Theaterhäuser sind ins Internet geflüchtet. Über Facebook oder andere Plattformen werden alte sowie neue Produktionen gestreamt. Im Gespräch mit der DSTT-Schauspielerin Oana Vidoni sowie dem Schauspieler und stellvertretenden Generaldirektor des Nationaltheaters Temeswar, Ion Rizea, wollte ADZ-Redakteur Robert Tari wissen, wie sie ein Jahr Pandemie überstanden haben.


Ein Jahr Corona hat zu vielen Einschränkungen geführt. Eine davon die Schließung der Theaterhäuser in ganz Rumänien. Was war für euch die größte Herausforderung aufgrund der Covid-19-Sicherheitsmaßnahmen?

Oana Vidoni: Für mich hat es anfänglich keine große Umstellung bedeutet, eben weil die Lage am Deutschen Staatstheater in den letzten drei Jahren nicht unbedingt rosig gewesen ist. Es war kein Schock für uns, weil sowieso nicht viel am DSTT passierte. Ich habe das letzte Mal am 5. März gespielt, danach folgten Proben für eine neue Produktion des Spielleiters Alexander Hausvater. Proben, die wir kurze Zeit danach auch wieder einstellen mussten. Er hat über die Sommerzeit das Stück angepasst, die Zahl der Schauspieler reduziert und wir haben dann im Herbst die Proben wiederaufgenommen. Wir haben mit Schutzmasken geprobt und es hat sich auch niemand mit Corona angesteckt, aber wir konnten auf der Bühne kaum Sicherheitsabstände befolgen, das funktioniert einfach nicht.
Trotzdem waren sowohl die Schauspieler als auch das technische Personal vorsichtig. Wir haben versucht, die Sicherheitsmaßnahmen so gut es geht einzuhalten, eben weil niemand riskieren wollte, danach jemanden aus der Familie anzustecken. Ich wohne auch mit meiner Mutter zusammen, die 70 Jahre alt ist, und ich wollte ihre Gesundheit und ihr Leben nicht gefährden. Ich war aber begeistert, wieder proben zu können und auf der Bühne zu stehen. Allerdings fand die Premiere dann nicht mehr statt, weil eine Woche vorher die Theater wieder geschlossen wurden.

Ich hatte noch ein Casting Ende des Jahres. Das Interview fand über Zoom statt, zudem musste ich noch zwei Videos einreichen, die ich Zuhause aufgenommen und produziert habe. Es war nicht einfach, weil mir die Gruppendynamik gefehlt hat und die kreative Energie, die aus der direkten Zusammenarbeit mit anderen Schauspielern hervorgeht, aber zumin-dest wurden wir weiterhin bezahlt und mussten uns nicht, so wie andere Kollegen, auch dem Problem stellen, wie man finanziell über die Runden kommt.

Ion Rizea: Was mich betrifft, ich denke, dass wir am Nationaltheater Glück hatten, weil sich die Auswirkungen der Pandemie kaum bemerkbar machten. Wir sind weiterhin tätig geblieben. Am 9. März hatten wir eine Premiere – die „Einhörner“ in der Regie von Gabor Tompa, danach kam der Lockdown und die meisten mussten Zuhause bleiben. Als stellvertretender Generaldirektor war ich täglich im Büro, es wurde mir also nicht langweilig. Gleich nach dem Lockdown haben wir sofort wieder mit den Proben angefangen, wir hatten eine weitere Premiere mit dem Stück „Homer 2020“, und wir waren das einzige Theater in Rumänien, welches mit Erfolg auch ein Festival veranstaltet hat.
Ende des Jahres haben wir dann noch eine weitere Premiere, und zwar das Stück „Die Geschichte der Personen, die sich an einem Abend um einen Tisch versammelt haben“. Die Vorführung wurde von der Stadt finanziert und ist Teil des Kulturprogramms „Temeswar Kulturhauptstadt Europas 2023“.

Ich kann also nicht sagen, dass ich im vergangenen Jahr dem Theater fern geblieben bin. Wir spielen auch weiterhin die Stücke aus unserem Repertoire auf der Bühne, zwar ohne Publikum, dafür aber werden die Vorführungen Live gestreamt. Wir haben also weiterhin gearbeitet und sind nicht eingerostet. Es ist tatsächlich nicht das Gleiche, ohne Publikum zu spielen, aber zumindest konnten wir optimistisch bleiben und das Beste aus der Situation machen.

Was ist das für ein Gefühl, als Schauspieler, wenn der Saal leer ist?

Ion Rizea: Es ist ein seltsames Gefühl, aber ich möchte lieber das Glas halb voll sehen: Ich kann mehrmals im Monat spielen, ich kann meinen Beruf ausüben und weiß, dass es Menschen gibt, die sich unseren Stream anschauen. Das finde ich großartig. Aber ja, es ist unangenehm, ohne Publikum zu spielen. Aber ich hoffe, dass wir dank den Impfungen langsam wieder auf dem Weg Richtung Normalität sind und wir bald wieder Zuschauer im Saal haben werden.

Oana Vidoni: Mit einer einzigen Ausnahme spielen wir nicht live. Wir haben Aufnahmen älterer Produktionen gestreamt – solche, für die wir die Urheberrechte haben. Ansonsten hatten wir letztes Jahr im Herbst zwei neue Premieren: Olga Töröks „V.I.P. – Very Isolated Person“, eine One-Woman-Show. Olga spielt aus ihrem eigenen Badezimmer und streamt die Vorstellung live über Zoom. Sie kann und möchte aber auch die Vorstellung für die Bühne adaptieren, sobald das möglich ist.

Die zweite Vorstellung ist ebenfalls eine One-Man-Show: Unser jüngstes Ensemble-Mitglied, Niko Becker, hat „Aprčs Ski – Ruhe da oben!“ selber produziert. Die Vorstellung wurde aufgezeichnet und wird online gezeigt.
Welches waren bzw. sind die Sicherheitsmaßnahmen, die das DSTT und das Nationaltheater aufgrund von Covid-19 vorgenommen haben?

Ion Rizea: Ich möchte hier hervorheben, dass wir am Theater keinen einzigen Corona-Fall hatten. Weder die Schauspieler noch das technische Personal haben sich angesteckt. Wir haben sämtliche Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Es wird regelmäßig desinfiziert, nach jeder Vorstellung wird alles gründlich gereinigt. Während der Vorstellung tragen wir nur dann Masken, wenn sehr viele Schauspieler gleichzeitig auf der Bühne sind oder wenn Sicherheitsabstände nicht eingehalten werden können.

Ansonsten haben wir nur eine Produktion, die komplett mit Schutzmasken gespielt wird. Es ist das Stück „Die Geschichte der Personen, die sich an einem Abend um einen Tisch versammelt haben“. Die Entscheidung hat hier der Regisseur getroffen. Wir haben während der Proben ständig Schutzmasken getragen, und es wurde zur Gewohnheit. Darum hat er beschlossen, die Masken mit in die Vorstellungen aufzunehmen.

Sobald wir wieder vor einem Publikum spielen dürfen, werden wir das Stück anpassen und ohne Schutzmasken spielen. Die Vorstellung bleibt aber momentan eine Ausnahme.

Das Stück von Olga Török und „Die Geschichte der Personen (…)“ sind Stücke, die in gewisser Weise als Reaktion auf die gegenwärtige Lage entstanden sind. Je restriktiver die Umstände sind, desto kreativer scheint der Entstehungsprozess zu sein. Es müssen neue Lösungen her. Habt ihr das vergangene Jahr so empfunden? Als eine opportune Zeit für revolutionäre Ideen?

Ion Rizea: Natürlich sucht man instinktiv nach neuen Möglichkeiten sich besser auszudrücken, sobald man als Schauspieler oder Künstler eingeschränkt wird. Die Schutzmaske ist für den schauspielerischen Ausdruck ein Hindernis, es wird zu einer Form von Behinderung. Die Reaktion darauf ist, andere Mittel zu finden und einzusetzen, um zu kompensieren. Mehr Gestik zum Beispiel, weil das Gesicht verdeckt ist.

Aber ich persönlich denke, dass das nur eine vorübergehende Sache ist. Es wird sich auf lange Sicht wohl nichts Grundlegendes verändern.

Oana Vidoni: Ich persönlich habe keine neuen Projekte vorgeschlagen, so wie meine Kollegen, aber das liegt auch daran, dass ich eher in einer Gruppe gut arbeiten kann. Zusammen mit anderen Schauspielern. Aber auch eine kreative Pause kann gut sein. Ich bin mir sicher, dass wir nach dieser Zeit mit viel Elan und neuer Schaffenskraft zur Normalität zurückkehren werden. Diese Zeit hat dazu geführt, dass man sich Fragen stellt: Über die eigene Rolle als Schauspieler, über die Rolle des Theaters, wie gefährdet das Theater ist und der eigene Beruf. Wie relevant ist man eigentlich? Das ist eine Frage, die sich viele gestellt haben. Sowohl Schauspieler als auch der Staat selbst, der im Endeffekt die Theater fördert. Ich glaube, dass viele Fragen aufgeworfen wurden, was ich für richtig halte.

Was hat euch persönlich am meisten gefehlt?

Ion Rizea: Das Publikum, ohne Frage. Uns fehlt das Publikum. Mir fehlt die Interaktion, das Geben und Nehmen. Ich persönlich glaube, ungeachtet dessen, in welche Richtung sich das Theater entwickeln wird: Es wird immer oder es muss immer auf das Wesentliche reduziert werden können, also dem Schauspieler auf der Bühne und dem Zuschauer im Saal. Ohne dieses Wesentliche  ist das Theater kein Theater. Dann ist es ein Film, oder egal wie man es nennen mag, aber es ist nicht Theater.

Oana Vidoni: Ja, klar das Publikum. Ich habe den Unterschied sofort gespürt, als wir die Proben für die Hausvater-Produktion abgeschlossen haben. Als der Vorhang aufging und wir vor einem leeren Saal standen und nur Alexander Hausvater stellvertretend für ein Publikum, das nicht vorhanden war, applaudierte, standen sowohl mir als auch meinen Kollegen die Haare zu Berge. Aber mir fehlt auch die Gemeinschaft. Mir fehlt die Zeit mit den anderen Schauspielern und das gemeinsame Proben sowie die Zeit nach den Proben. Die Gemeinschaft, das fehlt mir am meisten.