Über „Nachwuchs” nachdenken!

Wort des Ehrenvorsitzenden des DFDR, Prof. Dr. Paul Philippi, auf der Vertreterversammlung am 20. November 2015 in Hermannstadt

Der Ehrenvorsitzende des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien, Prof. Dr. Paul Philippi
Foto: ADZ

Seit einiger Zeit beobachte ich nachdenklich, dass viele Söhne und Töchter von leitenden Mitgliedern unserer rumäniendeutschen Gemeinschaften sich nach absolviertem Auslandsstudium beruflich im Ausland niederlassen. Dabei erinnere ich mich daran, wie wir uns 1990/1991 noch hart bemüht haben, unseren jungen Leuten Stipendien für ein Studium im Ausland zu beschaffen, um dadurch ihre Chancen zu verbessern, sich hier, zu Hause, eine entsprechende Zukunft aufzubauen. Zum Beispiel: Unser allererster Stipendiat für so ein vom Forum erwirktes und vom Forum vergebenes bairisches Stipendium war Helge Fleischer. Er kam zurück und wurde im Auftrag des Forums bald Unterstaatssekretär. Ehre seinem Andenken. Sein Weg war ein Modell-Studiengang. Heute ist es für tüchtige junge Menschen kein Problem mehr, im Ausland zu studieren. Aber die meisten unserer jungen Leute entdecken mit ihrer Ausbildung im Ausland auch ihre beruflichen Chancen im Ausland und sie setzen sich, oft auch familiär, gerne dort fest. Das ist zu verstehen. Freilich: Viele von ihnen halten ihre Beziehungen zur Heimat Rumänien durchaus offen, und sie tun das bewusst und aktiv. Ihr Lebensstil ist einfach großzügiger geworden, ist weiträumiger, er ist europäischer geworden, als wir es 1990 erwarteten. Die Jungen können – und sie wollen vielleicht auch – dort UND hier leben.

Auch wir selbst haben uns ja geweitet: Unsern Forumsvorsitzenden haben wir dem ganzen Land abgetreten – er ist dessen Präsident geworden. Der Vorsitzende der Siebenbürger Sachsen in Deutschland ist dort Vorsitzender des Bundes der Vertriebenen geworden (obwohl er selbst gar kein Vertriebener ist) und er hält dennoch wertvolle Beziehungen auch zu uns hier, zum Forum. Unser Parlamentsabgeordneter war Europa-Abgeordneter Rumäniens und seine europäischen Beziehungen wirken bis heute positiv nach. Das alles verleiht unserem Forum mehr Gewicht, mehr Ansehen. Der Erfolg, den wir in Sachen Lehrerbesoldung kürzlich erwirken konnten, hängt mit dieser Weitung unserer Sichtbarkeit zusammen! Und dafür sind wir dankbar. Aber wir müssen auch die andere Seite der Sache sehen: 1990 vertraten wir als Forum 120.000 Deutsche Rumäniens. Bei der nächsten Volkszählung waren es noch 90.000. Dann 60.000 und bei der letzten Volkszählung waren es 36.000. OK. Wir halten daran fest, dass es nicht auf die Quantität ankommt, sondern auf die Qualität unserer Präsenz. UNS kommt es auf die Qualität an! Aber wir spüren, dass bei ANDEREN unsere schrumpfende Quantität eine Rolle spielt – und dass dann schließlich auch bei uns die Atemluft dünner wird. Wie wollen wir mit diesem Schrumpfungsprozess umgehen? Sagen wir einfach: „Da kann man halt nix machen“?

Gut: Es gibt auch Hoffnungszeichen: Ausländische Unternehmer deutscher Sprache fassen in Rumänien Fuß. Junge deutsche Menschen kommen zu uns und begeistern sich für unsere Lebensart. Es lohnt sich neuerdings, in Rumänien zu leben. Auch rumänische junge Menschen schließen sich unseren deutschsprachigen Gemeinschaften an: Sind wir imstande, solche Ankömmlinge zu „integrieren“; können wir sie zu einem Teil von uns 36.000 machen, zu einem Teil, der mit uns gemeinsam politisch ins Gewicht fällt? Wollen wir es überhaupt? Kommt die Wirtschaftskraft dieser Hinzukommenden auch unserer Gemeinschaft zugute – so, wie es im Grunde auch der Artikel XVI des rumänisch-deutschen Vertrags über Freundschaft und Zusammenarbeit in Europa vorsieht? Oder geht das alles an uns und unserer politischen Position vorbei? Wie dem auch sei: Ich meine, es ist Zeit, dass wir darüber nachdenken, wie wir unserem eigenen exportierten Nachwuchs schmackhaft machen, nach dem Studium und nach ersten Berufserfahrungen im Ausland heimzukehren und hier wieder festen Fuß zu fassen. Wir sollten dafür werben! Nicht durch moralischen Druck, sondern indem wir Lust machen, hier im Lande ein sinnvolles, ein lohnendes Leben zu führen. Es lohnt sich, als Deutscher in Rumänien zu leben und in Rumänien mit Deutschen Gemeinschaft zu halten. Heimatliebe per Distanz kann schön sein und sie ist nicht immer unfruchtbar für uns. Aber sie ist keine perennierende Pflanze. Heimatliebe aus der Ferne ist nichts auf die Dauer. Und weil wir als deutsche Gemeinschaften autochthone Mitbesitzer dieses Landes sind, gehört zu unserer Bodenhaftung auch die Sorge für Nachwuchs. Darüber, liebe Freunde, sollten wir gründlich nachdenken.